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17.11.07 / Rupert Neudeck: Entwicklungshilfe einstellen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 46-07 vom 17. November 2007

»Moment mal!«
Rupert Neudeck: Entwicklungshilfe einstellen
von Klaus Rainer Röhl

Jeden Tag laufen Bilder aus Afrika über den Fernsehschirm. Fast immer sind es schreckliche Bilder. Von Dürren und Hungerkatastrophen, von Überschwemmungen, Bürgerkriegen, Toten, Gefolterten, Vergewaltigten, Müttern mit kranken Kindern in ihren jämmerlichen Behausungen, Flüchtlingen, die zu Tausenden auch noch diese jämmerlichen Behausungen verlassen mußten, weil bewaffnete Horden das Land überfallen haben oder weil Dürren sie zur Flucht gezwungen haben. Kaum einer nimmt noch Notiz von dem Alltag des Elends. Es muß schon etwas außergewöhnlich Elendes im Elend passieren. Zum Beispiel dieses: Tausende Kongolesen haben sich vor den Kriegswirren in den Virunga-Nationalpark zu retten versucht. Erst als die Berggorillas durch die Flüchtlingsmassen bedroht waren, reagiert die Öffentlichkeit. Die Welt starrt auf Darfur, wo das größte Massensterben stattfindet, ohne daß die Uno oder andere Organisationen dem Einhalt gebieten können. Die Hilfsorganisationen müssen schon dankbar sein, wenn man sie überhaupt ins Land läßt.

Wie reagiert das deutsche Publikum auf diese Flut des Elends in unseren Wohnstuben, während die Kinder gerade ihren detaillierten Wunschzettel verfassen und die meisten Familien, alleinerziehende Mütter, Singles und Patchwork-Pärchen Überlegungen anstellen, ob sie sich zu Weihnachten den Hit der Unterhaltungs-Elektronik, den noch ziemlich teuren „i-Pod“ kaufen wollen, ein Gerät, mit dem man alles abspielen, laden, runter- und raufladen kann, was man an Unterhaltungsmusik oder Spielen, Fotos, Filmen ohnehin benutzt, nur, daß der i-Pod kaum größer ist als eine Streichholzschachtel und bei vielen Jugendlichen bereits Kultstatus erreicht hat.

Welche Wirkungen haben die Nachrichten, Fotos und Fernseh-Sendungen aus Afrika? Ein kurzes Innehalten und dann, wie ein Reflex: Spenden! Wenn möglich durch schnellen Klick per Internet, mit Telebanking. Eventuell auch zu Weihnachten bei dem alljährlich einzigen Kirchenbesuch, wenn möglich mit Bachkonzert und Chor mit Solisten. Die Deutschen sind geradezu Weltmeister im Spenden. Sie helfen nicht, sie spenden. Sie haben sogar ein eigenes Ministerium für Spenden geschaffen: das Entwicklungsministerium. Es wird geführt von der Altlinken und früheren Juso-Vorsitzenden der SPD, Heidemarie Wieczorek-Zeul, die wegen ihrer einstigen Gesinnung und ihres noch real existierenden knallroten Haars immer noch die „rote Heidi“ genannt wird. Ich kenne die engagierte Heidi aus meiner sozialistischen Frühzeit: Sie schrieb für meine damaligen Zeitschrift „dasda-avanti“ Kommentare. Sie schrieb über viele Themen, für Entwicklungshilfe interessierte sie sich damals meines Wissens noch nicht, das muß erst später gekommen sein, mit dem Amt oder als Vorbereitung dazu. Die rote Heidi fühlt sich, wahrscheinlich als eine der wenigen Minister der Großen Koalition, in ihrem Amt pudelwohl. Jedenfalls versicherte sie letzte Woche in einem Gespräch mit der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“: „Mein Job als Entwicklungshilfeministerin ist für mich der schönste im Kabinett.“ Kein Wunder, hat sie doch viel Geld zu verteilen, 4,5 Milliarden beträgt der Etat ihres Ministeriums in diesem Jahr, im nächsten Jahr sollen es 5,1 Milliarden sein. Der Anteil der Entwicklungshilfe am Bruttosozialprodukt soll nach Beschluß der EU bis zum Jahre 2015 noch weiter wachsen. Und wenn das Geld auch auf viele Einzelstaaten wie mit einer Gießkanne verteilt wird, von Afghanistan (100 Millionen Euro) bis Chile (fünf Millionen), so ist es doch geschenktes Geld, das ohne Gegenleistung vergeben wird. So hat die Ministerin eigentlich keine natürlichen Feinde mehr in der Welt und wird überall gerne gesehen.

Doch die Zweifel am Nutzen solcher staatlichen Entwicklungshilfe wachsen. Vor allen in Afrika und anderen Entwicklungsländern selbst. Längst ist fast allen Beobachtern bekannt, daß die vielen Lebensmittellieferungen die einheimische bäuerliche Wirtschaft nicht nur schädigen, sondern vielfach auch zum Erliegen bringen. Warum soll ein Bauer in oft mühsamer Arbeit auf den Feldern ein paar Zentner Reis oder anderes Getreide über seinen eigenen Bedarf hinaus produzieren, wenn die Hilfsorganisationen das Getreide kostenlos in die Dörfer bringen und dort verteilen? Vor Ort gibt es dann auch Organisationen oder Banden, die die Lebensmittellieferungen des Westens mit Gewalt an sich bringen und sie dann gewinnbringend verkaufen. Kleine Zwischenhandelsbetriebe oder Nahrungsmittelfabriken werden ebenso wie die Bauern durch die Entwicklungshilfe oft in den Ruin betrieben, das Land nicht bebaut, eine Infrastruktur nicht gefördert, und die Bauern wandern ab in die Städte, wo sie als wurzelloses Proletariat weiter zu den Unruhen und Bürgerkriegen beitragen.

Wichtigster Einwand gegen die Entwicklungshilfe aber ist die Überlegung, daß fast ganz Afrika und auch große Teile Asiens und Südamerikas von Diktatoren oder sogar brutalen Gewaltverbrechern regiert werden, die die Entwicklungshilfe-Gelder ohne Federlesens in die eigene Tasche stecken, sich für das so gesparte Geld aufwendige Paläste oder Luxus-Autos aus der Staatskasse kaufen oder es auf ihr immer bereitstehendes Flucht-Konto in der Schweiz überweisen. Schon vor einigen Jahrzehnten gingen Berichte über die massiv goldenen Betten der Häuptlinge und Staatsoberhäupter durch die deutsche Presse und erregten beträchtliche Verärgerung bei uns. Dergleichen Plumpheiten wurden in Einzelfällen entlarvt, aber an dem Grundprinzip der Bereicherung mit ausländischen Hilfsgeldern hat sich wenig geändert. Dazu kommt oft eine kleine Oberschicht von Funktionären oder Händlern, die sich durch Korruption an der Ausplünderung ihres Landes beteiligt und damit die Entwicklungsgelder verbraucht. Der kenianische Wirtschaftswissenschaftler James Shikwati fordert daher die völlige Einstellung der Entwicklungshilfe zumindest für Afrika, weil sie den Kontinent nicht einen Schritt vorangebracht, autoritäre Führer gestärkt, freie Unternehmer geschädigt und Korruption begünstigt habe.

Ähnlich denkt auch Rupert Neudeck, einer der wohl integresten deutschen Entwicklungshelfer, der einst durch die „Cap Anamur“ berühmt wurde und der sein ganzes Leben der Hilfe für Menschen geweiht hat, die in Not sind. Er sagte auf die Frage der schon erwähnten „Frankfurter Sonntagszeitung“ nach dem Nutzen der Entwicklungshilfe, man solle überhaupt nur noch zwei Ländern helfen, Ruanda und Äthiopien. Alles andere sei nutzlos oder bewirke sogar das Gegenteil. Und er erzählt ein Beispiel aus dem Kongo, das er selber vor zwei Jahren erlebt hat. Der umstrittene Präsident des Kongo, Joseph Kabila, wird in Anwesenheit der deutschen Entwicklungsministerin gefragt, wo denn die Millionen von Dollar geblieben seien, die sein Land zum Ausbau der Straßen des Landes erhalten habe. Die Straßen des Landes seien allesamt in einem miserablen Zustand. Da habe der Präsident lange geschwiegen und dann plötzlich gesagt, daß dafür der Planungsminister zuständig sei und der offenbar versagt habe. „In Wahrheit ist das Geld versickert“, sagt Neudeck. Und fügt hinzu, daß die vielen Organisationen, Gesellschaften und Vereine, die vom Ministerium koordiniert werden, in „Afrika nur herumstehen und die Regierungen von der Arbeit abhalten, wie die „Gesellschaft für technische Zusammenarbeit“ (GTZ), die vom Ministerium beauftragt ist, von vielen spöttisch nur noch „Gesellschaft für Tourismus und Zeitvertreib“ genannt wird. Die Länderreferate des Entwicklungsministeriums, die Querschnittsreferate, die Abteilungen, sie alle bildeten zusammen einen riesigen, kostspieligen Apparat, und Neudeck fragt sich, was 40 Jahre Entwicklungshilfe denn nun gebracht hätten. Er zieht die überraschende Schlußfolgerung: „Ohne die Abschaffung des Entwicklungsministeriums wird es nicht besser werden.“

Das hört sich zwar hart an, ist aber nicht die einzige derartige Stimme in Deutschland. Die FDP-Bundestagsfraktion forderte in diesem September in ihrem Deutschland-Programm sogar die Auflösung des Ministeriums, weil es ständig als eine Konkurrenz zum Außenministerium aufgefaßt wird: „Die jetzige Trennung in zwei unterschiedliche Ministerien – Auswärtiges Amt und Entwicklungsministerium – ist von der Sache her künstlich und führt dazu, daß Sachfragen allzu oft von dem Gerangel um Kompetenzen und Einfluß überschattet werden.“

Und der außenpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Werner Hoyer, meint dazu, daß Deutschland keine „Nebenaußenpolitik durch das Entwicklungsministerium“ machen dürfe.

Langfristig scheint Angela Merkel daran zu denken, die Macht dieses zweiten Außenministeriums zumindest einzudämmen. Das wäre auch bitter notwendig. Wie so vieles in dieser real existierenden Koalition mit den Erben der 68er.

Foto: Heidemarie Wieczorek-Zeul: Bei der Feier zur Beendigung der Beschneidungspraxis an Mädchen in Benin


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