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17.11.07 / Hiebe statt Liebe / Oder Wenn in Beziehungen Gewalt an der Tagesordnung steht

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 46-07 vom 17. November 2007

Hiebe statt Liebe
Oder Wenn in Beziehungen Gewalt an der Tagesordnung steht
von Corinna Weinert

Es passiert täglich und überall, aber nur selten wird darüber gesprochen: Gewalt in der Partnerschaft. Mißhandlungen durch den Ehemann, Freund oder Lebenspartner sind für viele Frauen und ihre Kinder auch in Deutschland leidvolle Realität. Experten schätzen, daß in Deutschland jährlich zwischen 100000 und einer Million Frauen Opfer häuslicher Gewalt werden. So wie Mia. Jahrelang hat die junge Mutter Demütigungen und Übergriffe ertragen – und geschwiegen. Die äußeren Wunden sind inzwischen verheilt, die inneren aber haben tiefe Narben in der Seele der gelernten Fachverkäuferin im Einzelhandel hinterlassen.

Nicht nur bei ihr, auch die achtjährige Tochter und der fünfjährige Sohn, die immer wieder mit ansehen mußten, wie der Vater auf die Mutter einprügelt, oft sogar selbst Opfer der Gewaltexzesse waren, sind durch die Erlebnisse traumatisiert. Fast hätte Mia den letzten Wutausbruch, bei dem ihr Mann sie unablässig mit den Fäusten traktierte und würgte, nicht überlebt. Meistens verließ er anschließend die Wohnung, so auch an jenem Tag. Mia blieb bewußtlos auf dem Fußboden in der Küche liegen. Als sie wieder zu sich kam, kauerten die Kinder weinend neben ihr. „Meine Tochter rüttelte unablässig an mir und schrie mit tränenerstickter Stimme: Mama, Mama, du darfst nicht sterben!“, erzählt Mia. „Das hat mir dann endlich die Augen geöffnet.“

Mia flüchtete aus dem Eheleben, aus dem eigenen Heim in eines der vier Hamburger Frauenhäuser. Wohin genau, darf niemand wissen. Aus Furcht vor Nachstellungen oder Racheattacken wütender Ehepartner oder Lebensgefährten werden die Adressen der Frauenhäuser streng geheim gehalten. Opfer körperlicher oder seelischer Gewalt sollen hier Ruhe und Sicherheit finden. „Endlich gab es wieder vier Wände, die Geborgenheit schafften“, schildert Mia die ersten Tage in fremder, aber friedlicher Umgebung. 

„Gewalt gegen Frauen ist kein Randproblem, sondern etwas, das mitten unter uns und auch täglich geschieht“, erklärt Karin Müller von der BIG e. V. Hotline in Berlin, die Hilfe bei häuslicher Gewalt gegen Frauen bietet. 400 Frauenhäuser und Frauenschutzwohnungen hierzulande dokumentieren diesen Tatbestand. Etwa 45000 Frauen und ihre Kinder nehmen die Einrichtungen jährlich in Anspruch. „Schätzungen zufolge kommt es in jeder dritten Partnerschaft zu Gewalt“, weiß Müller, die als Koordinatorin bei der Hotline arbeitet. „Frauen sind demnach von häuslicher Gewalt mehr bedroht als durch andere Gewaltdelikte“, fügt sie hinzu. Die Dunkelziffer ist groß, genaue Zahlen liegen nicht vor. „Betroffen sind alle Frauen, unabhängig von Alter, Bildungsstand, Einkommen, sozialer Schicht und Nationalität“, so Müller.

„Die Frauen in den Frauenhäusern sind jedoch nur ein kleiner Teil derjenigen, die Gewalt erfahren haben“, berichtet Oya Cüre, die seit zehn Jahren in einem der Hamburger Frauenhäuser tätig ist. 900 hilfesuchende Frauen und 869 Kinder fanden im vergangenen Jahr Unterschlupf in den Hamburger Notquartieren – manchmal nur für einen Tag, manchmal Monate.

„Gewalt äußert sich nicht nur in körperlichen Mißhandlungen oder sexuellen Übergriffen, sondern auch in subtileren Formen wie Beschimpfungen, Demütigungen, Drohungen, Einschüchterungen, Freiheitsberaubung, Kontrolle, Nachstellen und Verboten“, erklärt Karin Müller. Und: „Gewalt in der Partnerschaft ist kein einmaliges Ereignis. Trotz der gezeigten Reue wird früher oder später wieder zugeschlagen“, so die Psychologin. „Aus Angst oder Scham vor neuen gewalttätigen Konflikten schweigen viele Frauen. Selbst nach schwerer Mißhandlung erstatten sie keine Anzeige. So entsteht ein Teufelskreis“, fährt sie fort.

Die Polizei hatte bis vor wenigen Jahren kaum Möglichkeiten, gegen die Täter vorzugehen und trat somit in erster Linie als Schlichter bei sogenannten „Familienstreitigkeiten“ in Erscheinung, ohne daß die Partnergewalt damit langfristig verringert werden konnte.

Das am 1. Januar 2002 in Kraft getretene Gewaltschutzgesetz eröffnet nun ganz neue Wege: „Prügelnde Männer müssen damit rechnen, aus der gemeinsamen Wohnung verwiesen zu werden, betroffene Frauen und Kinder erhalten verbesserte Unterstützungsangebote“, erörtert Müller. Das Gewaltschutzgesetz ermöglicht dem Familiengericht, dem Täter langfristig das Betreten der gemeinsamen Wohnung zu verbieten. Darüber hinaus kann das Gericht die Verpflichtung anordnen, der gefährdeten Person die gemeinsam genutzte Wohnung zumindest befristet – grundsätzlich für höchstens sechs Monate mit der Möglichkeit der Verlängerung um höchstens sechs weitere Monate – zu überlassen, ganz unabhängig davon, wer Allein- oder Miteigentümer beziehungsweise Mieter der Wohnung ist. Dennoch ist für viele Frauen die Flucht ins Frauenhaus die einzige Möglichkeit, der Beziehung, die für sie und die Kinder zu gefährlich ist, zu entkommen.

Ziel der Einrichtungen ist es, daß die Frauen lernen, ihr Leben in die Hand zu nehmen und neu zu organisieren. Mia ist auf dem besten Weg dorthin: Sie wird demnächst in eine Dreizimmer-Wohnung weit weg vom früheren Zuhause ziehen. „Ich bin froh, daß ich letztendlich die Kraft gefunden habe, den Schlußstrich zu ziehen“, sagt Mia. „Schon der Kinder wegen.“ Lächelnd fügt sie hinzu: „Und ich habe noch etwas gefunden – mich selbst.“

Der 25. November ist der Internationale Tag gegen Gewalt an Frauen. Ursprünglich riefen lateinamerikanische Frauenrechtlerinnen den Tag 1981 als Aktionstag ins Leben, um der Ermordung dreier Widerstandskämpferinnen aus der Dominikanischen Republik durch das Trujillo-Regime am 25. November 1960 zu gedenken. Seit 1987 wird am 25. November weltweit mit Aktionen auf die Gewalt an Frauen und Mädchen aufmerksam gemacht.

Foto: Schutzlos ausgeliefert: Tägliche Gewalt ist in vielen Haushalten zu finden.


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