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17.11.07 / KPD und NSDAP zogen die Fäden / Vor 75 Jahren läutete der Streik bei der Berliner Verkehrsgesellschaft Weimars Ende ein

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 46-07 vom 17. November 2007

KPD und NSDAP zogen die Fäden
Vor 75 Jahren läutete der Streik bei der Berliner Verkehrsgesellschaft Weimars Ende ein
von Klaus Rainer Röhl

Es ist Streik in Berlin. Fast Generalstreik. Der Verkehr in der Hauptstadt ist lahmgelegt. Kommunisten und SA-Leute führen den Verkehrsstreik an. Zwei Tage vor der Reichstagswahl am Sonntag. Niemand ahnt, daß es die letzten freien Wahlen in dieser Republik sein werden.

Seit Wochen schon standen die Zeichen bei den Berliner Verkehrsbetrieben auf Sturm. Die Ankündigung einer Lohnsenkung um 23 Pfennig, eine Maßnahme, welche die Direktion der Berliner Verkehrsgesellschaft (BVG) aufgrund der miserablen Finanzlage der Gesellschaft beschlossen hatte, hatte bei den 22000 Schaffnern, Fahrern und Depotarbeitern der BVG helle Empörung ausgelöst.

Die Kommunisten gaben die Parole aus „Keinen Pfennig Lohnraub bei der BVG!“ Die Parole wurde wortgleich von Goebbels übernommen.

Einen Streik bei der BVG auszulösen, war das Ziel, das der Berliner Kommunistenführer Walter Ulbricht und seine Genossen seit Jahren verfolgten. Die Lahmlegung des Verkehrs – in der Hauptstadt – galt in der kommunistischen Literatur als Vorstufe zum Generalstreik, der dann in eine Revolution übergehen könnte. Die Voraussetzungen schienen diesmal günstig.

Doch hätten die knapp 1400 Kommunisten in der BVG sich wahrscheinlich schwergetan, ihre Kollegen gegen den Willen des „Gesamtverbands“ in einen politisch aussichtslosen Kampf gegen SPD und Gewerkschaft, Staat, Regierung und Polizei zu verwickeln. Aber den KPD-Funktionären kamen, in letzter Minute, die Nationalsozialisten zu Hilfe. Geführt von ihrem Berliner Gauleiter Josef Goebbels.

Die sozialdemokratische Tageszeitung „Vorwärts“ empört sich über die „Verbrüderung zwischen Nazis und Kozis gegen die Gewerkschaften und Sozialdemokratie“. In der Tat war der Streik der Berliner Verkehrsarbeiter ein „wilder“ Streik, der von den Gewerkschaften nicht gebilligt, sondern sogar bekämpft wurde.

Am 29. Oktober, so berichten die V-Leute der Berliner Polizei, deren Protokolle heute noch in mehreren Berliner Archiven aufbewahrt werden, „trafen fünf Unterhändler der NSBO (= Nationalsozialistische Betriebszellen-Organisation) mit Funktionären der KPD auf einer vorbereitenden Versammlung zusammen, auf der sie ihre Bereitschaft zur Unterstützung des Streiks erklärten. Einen Tag später fand im Karl-Liebknecht-Haus, der kommunistischen Parteizentrale, eine Besprechung statt, bei der Einzelheiten der Zusammenarbeit festgelegt wurden.“ Man bildete einen sogenannten Einheitsausschuß von 16 Personen, der im Falle eines Streiks sofort als „Zentrale Streikleitung“ fungieren sollte. In diesem 16köpfigen Ausschuß waren die NSBO-Leute mit immerhin vier Mitgliedern vertreten, neben acht Kommunisten, drei Freigewerkschaftlern und einer „Hausfrau“.

Im September 1932 waren bei der BVG schon die ersten Nationalsozialisten in die „Einheitsausschüsse“ gewählt worden. Das ist ein Treppenwitz der Weltgeschichte: Es sind ja die Einheitsausschüsse der „Antifaschistischen Front“, die 1932 überall in Deutschland den Kampf gegen den Faschismus organisieren sollen. Aber das ist nur scheinbar ein Widerspruch. Unter Faschismus verstand die damalige KP-Führung nämlich, getreu der neuesten „Generallinie“ Moskaus, vor allem die SPD, die „Sozialfaschisten“. Da konnten auch Nazis Bündnispartner in der „Zentralen Streikleitung“ werden.

Nachdem das seltsame Bündnis einmal geschlossen ist, überstürzen sich die Ereignisse. Die Urabstimmung am 2. November ergibt eine Mehrheit von nur 62 Prozent für Streik. Zu wenig. Die Gewerkschaft erklärt die Mehrheit für verfehlt, aber die Kommunisten zögern keine Minute: Noch sind nicht alle Bahnhöfe ausgezählt, da erklärt der kommunistische Betriebsrat Otto Schmirgal auf einer Versammlung, daß sich 83 Prozent der Belegschaft für den Streik ausgesprochen hätten und dieser somit beschlossen sei: „Keine einzige Karre darf am 3.11. früh mehr ausfahren. Ab halb 4 Uhr früh sind alle Bahnhöfe und Depots mit Posten zu besetzen …“

Nach dieser Eröffnung liest der rote Betriebsrat sogleich die Namen der Mitglieder der Streikleitung vor, deren „Anweisungen unbedingt Folge zu leisten“ sei. Unter den Genannten sind auch fünf Mitglieder der NSDAP. Eine Wahl der Streikleitung findet nicht statt. Warum auch? Die Streikvorbereitungen laufen bereits auf vollen Touren.

Spät am Abend vergattert Walter Ulbricht im Karl-Liebknecht-Haus noch einmal seine Genossen. Am gleichen Abend spricht Hitler im überfüllten Sportpalast. Die Rede wird in vier weitere Säle übertragen, darunter in die „Kammersäle“, wo 4000 zum Teil uniformierte BVG-Arbeiter nach der Führerrede die Teilnahme am Streik „beschließen“. Die Schlacht kann beginnen. Nur die SPD ist ahnungslos. Am nächsten Morgen, als der Verkehr der Reichshauptstadt bereits restlos stillgelegt ist, macht die sozialdemokratische Tageszeitung „Vorwärts“ mit der Schlagzeile auf: „Keine Streikmehrheit bei der BVG!“

Die Berliner stellen sich auf den Streik ein. Man zeigt sogar eine gewisse Sympathie für die Streikenden, schlägt sich irgendwie durch zu einer Station der S-Bahn. Berlin läßt sich nicht aus der Ruhe bringen.

Auch die Reichsregierung bleibt gelassen. Reichsminister Dr. Bracht hielt den Streik für eine Kraftprobe der KPD. Die Parteizeitung „Rote Fahne“ wurde bis zum 12. November verboten. Offensichtlich arbeiteten die Kommunisten auf einen Generalstreik hin. Der Reichsminister des Inneren berichtete, daß die Nationalsozialisten stimmungsmäßig Unruhen nach dem 6. November vorbereiteten, gegebenenfalls gemeinschaftlich mit den Kommunisten.

Fünf Tage dauert der Streik. Nur wenige Wagen verließen die Bahnhöfe und Depots, bemannt mit gewerkschaftstreuen Schaffnern und begleitet von Polizisten, die den Befehl hatten, bei jedem Angriff sofort zu schießen. Doch gewinnen konnten die Streikenden den ungleichen Kampf nur, wenn es ihnen gelang, den Notverkehr, den die Berliner Verkehrsgesellschaft aufzubauen suchte, zu verhindern. Das aber ging nur mit Gewalt.

„Massenstreikschutz“ nannte man das damals. Dazu mobilisieren beide totalitären Parteien Zehntausende ihrer Anhänger: Arbeitslose und vor allem die Mitglieder der militanten, paramilitärischen Schlägertrupps, die Mitglieder des (verbotenen) Roten Frontkämpferbunds, den kommunistischen MSS (Massenselbstschutz) sowie die SA und SS. Barrikaden werden gebaut, Schienen blockiert, Straßen aufgerissen, um die Omnibusse und Straßenbahnen anzuhalten. Halten sie, geht Steinhagel auf sie nieder, Oberleitungen werden herausgerissen, Schaffner aus dem Wagen gezerrt und verprügelt. Dann greift die Polizei ein, und weil 1932 verschärfte Republikschutz-Gesetze gegen Gewalttäter gelten und Wasserwerfer damals unbekannt sind, schießt sie auch in die Menge, als diese beginnt, Straßenbahnwagen zu demolieren und auch auf mehrfache Anweisung nicht auseinandergeht. Pistolenschüsse fallen. Vier Menschen werden am „blutigen Freitag“ von der Polizei erschossen, darunter eine unbeteiligte Rentnerin.

Die Kommunisten nennen den Tag später den „Roten Freitag“. Doch bei den Steineschlachten tut sich besonders die SA hervor, die Kampfverbände der Kommunisten halten sich auffällig zurück. Zwei Tage dauert die Schlacht auf den Straßen. Aber auch am dritten und vierten Tag hält die Streikfront. Kaum ein Bus, fast keine Straßenbahn verläßt die Depots. Die Gegenmaßnahmen bleiben wirkungslos. Der Notverkehr muß eingestellt werden. Die Verbindungen der Zentralen Streikleitung zu den einzelnen Bahnhöfen reißen zwar ab, nachdem einige Funktionäre und Kuriere festgenommen worden sind und die Streikleitung aus Furcht vor einer Verhaftung untergetaucht ist. Aber die örtlichen Streikkomitees an den Bahnhöfen und Depots halten die Streikenden zusammen.

Bis zum Abend der Reichstagswahl vom 6. November, die der KPD hohe Stimmengewinne bringt. In Berlin ist sie sogar zur stärksten Partei geworden. Die NSDAP hat, als Ergebnis ihrer Beteiligung am Streik, in den Arbeitervierteln von Berlin kaum Stimmen verloren. Sie bleibt die stärkste Partei, ohne die bald keine Regierungsbildung mehr möglich sein wird.

Am Montag nach der Wahl zeigten die ungleichen Bündnispartner kein Interesse mehr am BVG-Streik. Beiden Seiten ging es jetzt nur noch darum, der anderen den Schwarzen Peter des Streikbruchs zuzuschieben. Die Nationalsozialistische Betriebszellenorganisation beendet den Streik offiziell erst Dienstag. Die Titelzeilen der NSDAP-Zeitung des Gaues Berlin „Der Angriff“ lauten an diesem Tag: „Kommunisten würgen BVG-Streik ab. Wie die deutsche Arbeiterschaft vom Marxismus verraten wird.“

Man begräbt seine Toten, ehrt die Märtyrer.

Am 11. November trägt Goebbels in sein Tagebuch ein: „In Schöneberg tragen wir den SA-Mann Reppich, der während des Streiks erschossen wurde, zu Grabe. 40000 Menschen geben ihm das Geleit. Er wird zur Ruhe gebettet wie ein Fürst. Über dem Friedhof kreisen Flugzuge mit umflorten Hakenkreuzwimpeln, als wollten sie dem Toten die letzten Abschiedsgrüße zurufen. Die SA-Leute sind tief ergriffen.“

Der Berliner Verkehr läuft ab Dienstag, 8. November 1932, wieder normal.

Am 18. November aber lud das Reichswehrministerium die Wehrkreise zu einem „Planspiel“ ein, das am 25. und 26. November unter Leitung des Chefs der Wehrmachtsabteilung, Oberst Eugen Ott, durchgeführt wurde. Dieses Planspiel ging, ausdrücklich unter Bezugnahme auf den BVG-Streik, von der Voraussetzung aus, daß „die KPD und die Freien Gewerkschaften eine starke Aktivität für einen Generalstreik entfalten würden und daß Teile der SA und der nationalsozialistisch orientierten Arbeiterschaft sich anschließen würden“.

Das „Planspiel Ott“ kam zu dem Ergebnis, daß die Reichswehr nicht in der Lage sein werde, unter den angenommenen Umständen die Aufrechterhaltung der Ordnung zu gewährleisten. Dieses Ergebnis ließ Reichswehrminister General von Schleicher in der Kabinettssitzung vom 2. Dezember 1932 durch Oberst Ott vortragen. Die Vorlage dieses Planspiels war der letzte Anlaß für den Kanzler von Papen, umgehend seinen Rücktritt zu erklären und damit den Weg frei zu machen für eine neue Regierung unter General von Schleicher, der ein letztes Mal versuchte, eine Regierung ohne Hitler zu führen.

Am 3. Dezember 1932 um 12.45 Uhr trat das Kabinett von Schleicher zum ersten Mal zusammen. Es regierte noch 57 Tage. Dann kam Hitler.

Foto: Notverkehr der BVG: Mit Polizeigewalt wird er gegen militante Streiksympathisanten verteidigt.


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