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17.11.07 / Weithin unbekannt und meist unerkannt / Lungenhochdruck – eine heimtückische, inzwischen aber heilbare Krankheit

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 46-07 vom 17. November 2007

Weithin unbekannt und meist unerkannt
Lungenhochdruck – eine heimtückische, inzwischen aber heilbare Krankheit
von H.-J. Mahlitz

Anita D. (Name von de Redaktion geändert), Krankenschwester, stets auf eine gesunde Lebensweise bedacht und immer „kerngesund“, wird mit 27 Jahren schwanger. Nach der Geburt leidet sie immer intensiver unter Erschöpfung und Atemnot bei der geringsten körperlichen Belastung. Postnatale Erschöpfungsdepression, so die verhängnisvolle Fehldiagnose. Um die vermeintliche Depression zu überwinden, geht die junge Mutter nach einem Jahr Erziehungsurlaub wieder arbeiten. Am vierten Arbeitstag bricht sie zusammen, drei Wochen später ist sie tot.

Anita D. litt und starb an einer Krankheit, die in Deutschland kaum jemand kennt – und die auch kaum ein Arzt rechtzeitig erkennt: pulmonale Hypertonie (PH), Lungenhochdruck. Die ersten Symptome – Luftnot bei Belastung, chronische Müdigkeit, Reizhusten – werden meist anderen Lungen- oder Herz-Kreislauferkrankungen zugeordnet. So werden Patienten oft jahrelang wegen Asthma behandelt, bis endlich die richtige Diagnose gestellt wird. Allzu oft zu spät:

Noch vor einem Jahrzehnt lag die durchschnittliche Lebenserwartung eines PH-Patienten bei 2,8 Jahren; die Diagnose Lungenhochdruck kam einem Todesurteil gleich. Einem breiteren Publikum – und auch einem nicht unerheblichen Teil der Ärzteschaft – ist der Begriff Hypertonie nur im Zusammenhang mit dem Blutdruck geläufig. Hier gilt die Faustregel: der obere (systolische) Wert sollte bei 120 Millimeter Queck-silber (mmHg) liegen, der untere (diastolische) bei 80.

Doch neben diesem allgemeinen Kreislauf, der den ganzen Körper über das Blut mit Sauerstoff und lebenswichtigen Nährstoffen versorgt und zugleich Stoffwechselprodukte abtransportiert, zirkuliert im menschlichen Organismus ein zweiter, interner Blutkreislauf. Es handelt sich um den Lungenkreislauf, der bei 20 bis 30 Prozent des allgemeinen Blutkreislaufs arbeitet und die eigentliche Lebensader darstellt. Hier nämlich findet der Gasaustausch statt; die rechte Herzhälfte pumpt verbrauchtes, sauerstoffarmes Blut in die feinen Kapillargefäße der Lunge. In einem hochkomplizierten Vorgang wird das Blut mit Sauerstoff aus der Atemluft angereichert, zugleich wird das bei Verbrennungsprozessen im Körper entstandene Kohlendioxid dem Blut entzogen und ausgeatmet. Die linke Herzhälfte pumpt das „frische“ Blut über die Aorta wieder in den allgemeinen Kreislauf. Die Kapillargefäße der Lunge sind äußerst sensibel und vertragen nicht mehr als 20 bis 30 mmHg Druck, der nur bei Belastung kurzzeitig und geringfügig überschritten werden sollte.

Im Ruhezustand läßt das Herz vier bis fünf Liter Blut pro Minute durch die Lungenkapillare fließen. Wird dem Körper mehr Leistung abverlangt, kann die Durchflußmenge auf bis zu 20 Liter steigen, bei austrainierten Sportlern sogar auf 40 Liter. Gesteuert wird die Durchflußmenge unter anderem durch Verengung oder Erweiterung der Arterien. Die Muskulatur in den Gefäßwänden erhält die entsprechenden Befehle durch sogenannte Botenstoffe wie das Hormon Adrenalin.

Anders als die Gefäße des allgemeinen Blutkreislaufs reagieren die Lungenkapillargefäße aber auf erhöhten Druck in äußerst gefährlicher Weise. Liegt der Mitteldruck regelmäßig über 25 mmHg oder steigt er bei Belastung deutlich über 30 mmHg, setzt bald ein verhängnisvoller Umbau der Gefäßwände ein. Der lebenserhaltende Austausch Sauerstoff gegen Kohlendioxid wird zunehmend gestört, die körperliche und bald auch die geistige Leistungsfähigkeit des Patienten sinkt rapide.

Das Teuflische an dieser Krankheit: Sie ist nur schwer und erst in fortgeschrittenem Stadium zu diagnostizieren. Die ersten Symptome können auch auf eine Reihe anderer Erkrankungen hindeuten. Und während der „normale“ Blutdruck mit recht einfach zu handhabenden Geräten auch von Laien gemessen werden kann, ist eine Messung des Lungenblutdrucks wesentlich aufwendiger und verlangt spezielle medizinische Fertigkeiten. Dies führt, wie anfangs beschrieben, oft dazu, daß eine zuverlässige Diagnose oft erst vorliegt, wenn der tödliche Verlauf der Krankheit kaum noch aufzuhalten ist.

Ebenso aufwendig wie die Diagnose ist aber auch die Therapie. Erst seit gut einem Jahrzehnt stehen wirkungsvolle Medikamente für die verschiedenen Erscheinungsformen der Krankheit zur Verfügung. Ermöglicht wurde dies, wie Prof. Dr. Wolfgang Kübler (Heidelberg) im Gespräch mit dem Autor betonte, durch Fortschritte bei der Herzkathederdiagnostik, bei Operationen am offenen Herzen, vor allem aber durch neuartige molekular-biologische Untersuchungsmethoden.

Mit entscheidend für einen Erfolg der Therapie – sei es rein medikamentös oder in Kombination mit chirurgischen Eingriffen – ist aber die aktive Mitwirkung des Patienten. Und hier, wie Prof. Dr. Horst Olschewski (Graz) uns gegenüber hervorhob, vor allem die vor elf Jahren von Bruno Kopp gegründete Selbsthilfeorganisation „pulmonale hypertonie e. v.“ mitsamt ihrer René-Baumgart-Stiftung lobend zu erwähnen. Ihr gehören inzwischen über 1000 Betroffene an, die sich über ein gut organisiertes bundesweites Netzwerk bei der Langzeittherapie unterstützen. Dazu gehört, neben allerlei praktischen Maßnahmen und Informationsangeboten, ganz wesentlich auch die gegenseitige Unterstützung bei der Überwindung der mit dieser heimtückischen Krankheit einhergehenden starken psychischen Belastungen. Zu den Massenkrankheiten zählt der Lungenhochdruck nicht. Seriösen Angaben zufolge hat man von etwa 70 Betroffenen pro einer Million Einwohner zu rechnen; in Deutschland wären das zwischen 5000 und 6000. Wegen der schwierigen Diagnose kann man jedoch mit einer deutlich höheren Dunkelziffer rechnen.

Dunkelziffer – dieser Begriff ist irgendwie symptomatisch für die Situation der Patienten. Allzu lange mußten sie das Gefühl haben, im Schatten zu stehen, mit ihrem Leiden nicht wahrgenommen oder nicht ernstgenommen zu werden. Für PH-Patienten gibt es keine Fernsehgalas und keine Millionenspenden, sie werden in keine Talkshows eingeladen und kommen in den Massenmedien nicht vor. Um so verdienstvoller ist es, daß Betroffene wie Bruno Kopp ihr Schicksal selbst in die Hand genommen haben, indem sie nicht nur im engeren medizinischen Sinne diese tückische Krankheit besiegten, sondern mit ihrer Selbsthilfeorganisation auch den Weg in die Öffentlichkeit suchten – und fanden.

Ebenso verdienstvoll ist es, daß die wenigen Mediziner, die sich auf diese Krankheit spezialisiert und hier in Forschung und Anwendung inzwischen eine weltweite Spitzenposition erreicht haben, sich engagiert an die Seite des gemeinnützigen Selbsthilfevereins stellen, mit dem sie in der Therapie wie in der Öffentlichkeitsarbeit eng zusammenarbeiten.

Neben den bereits Zitierten sei an dieser Stelle besonders der Direktor der Medizinischen Klinik Gießen, Prof. Dr. Werner Seeger, erwähnt, an dessen Institut zwei der drei in den letzten 15 Jahren weltweit zugelassenen PH-Medikamente entwickelt wurden.

Unbekannt und unerkannt – unbekannt in der Öffentlichkeit und unerkannt von vielen Ärzten, das galt noch vor wenigen Jahren generell für die pulmonale Hypertonie, den Lungenhochdruck. Es wurde höchste Zeit, daß sich dies gründlich ändert.


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