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24.11.07 / Verwalter, nicht Macher / Strategiewechsel: Olaf Scholz folgt auf Franz Müntefering

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 47-07 vom 24. November 2007

Verwalter, nicht Macher
Strategiewechsel: Olaf Scholz folgt auf Franz Müntefering
von Hans Heckel

Verhandlungsstark, ein kompetenter Arbeitsrechtler und geschickter Strippenzieher – der neue Arbeitsminister Olaf Scholz (SPD) kann zufrieden sein mit den Kommentaren, die seinen Aufstieg ins Bundeskabinett begleitet haben. Bislang wirkte er als Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion. Eine mächtige Position: Die Geschäftsführer sind es, die im Hintergrund über Karrieren der einfachen Abgeordneten entscheiden, sie sorgen für den geordneten Ablauf der Arbeit, die fraktionsinterne Koordination. Daß man sie in der Öffentlichkeit kaum wahrnimmt, sollte über ihren Einfluß nicht hinwegtäuschen.

Ab sofort aber steht der 49jährige im Rampenlicht; es ist bereits sein dritter Anlauf in die erste Reihe, den ersten startete er schon vor über sechs Jahren. Als Antwort auf den kometenhaft aufsteigenden Politrebellen und Parteigründer Ronald Schill hoben ihn die damals in Hamburg regierenden Sozialdemokraten im Mai 2001 – wenige Monate vor der Landtagswahl – auf den Stuhl des Innensenators. Er sollte die verheerende Hinterlassenschaft von Vorgänger Hartmuth Wrocklage in Windeseile aufräumen und das Versagen der Hamburger SPD beim Thema Innere Sicherheit vergessen machen. Umgehend korrigierte Scholz tatsächlich die übelsten Auswüchse wie den dreist offenen Drogenmarkt, doch es war zu spät. Die SPD unterlag und mußte das Heft im Oktober 2001 nach 44jähriger Herrschaft an einen bürgerlichen Senat abgeben. Scholz’ Posten ging ausgerechnet an Erzwidersacher Schill. Entgegen allen Gepflogenheiten lehnte Scholz es ab, seinen demokratisch gewählten Nachfolger persönlich im Amtssitz zu begrüßen.

Im Oktober 2002 machte Gerhard Schröder ihn zum SPD-Generalsekretär. Keine anderthalb Jahre später jedoch mußte Scholz auch diese Position wieder räumen, als Schröder den Parteivorsitz im Frühjahr 2004 an – Ironie des Schicksals – Scholz’ jetzigen Vorgänger im Ministeramt Franz Müntefering abgab.

Und nun also Bundesminister: Was wird sich gegenüber der Ära Müntefering ändern mit einem Arbeitsminister Olaf Scholz? Inhaltlich signalisierte der Neue bereits seine Abkehr von der „Agenda 2010“-Linie seines Vorgängers: „Weitere Einschränkungen der Leistungen der sozialen Sicherungssysteme“ stünden für ihn „nicht auf der Tagesordnung“, ließ er schon im Sommer durchblicken. Scholz, der „Machttechniker“, setzt nicht auf große Reformen.

Ganz im Stile eines geübten Parteitaktikers will er vor allem anderen Wahlen gewinnen und wird alles meiden, was diesem Ziel abträglich sein könnte. Wer für die Große Koalition nur noch Stillstand und gegenseitiges Belauern und Behaken bis zum vorzeitigen Bruch oder gar bis zum regulären Wahltermin Ende 2009 befürchtet hat, darf sich durch den Wechsel von Müntefering auf Scholz daher bestätigt sehen.

Obschon er bei manch öffentlichen Auftritten als hemdsärmeliger Polemiker erscheint, beherrscht Scholz auch die Kunst des geschickten Kompromisses. Gemeinsam mit Unionsfraktionschef Volker Kauder fixierte er den schwarz-roten Koalitionsvertrag, den nach Meinung nicht weniger bürgerlicher Kritiker eine recht einseitig sozialdemokratische Handschrift prägt.

Neben dem kompromißfähigen Scholz, dem gelernten Technokraten, bricht der Polemiker jedoch immer mal wieder auf wenig hanseatische Art aus dem SPD-Politiker heraus. Und anders als Vorgänger Müntefering ist ihm jene knorrige Art, die den Vorgänger auch in Augenblicken des Zorns noch sympathisch erscheinen ließ, nicht gegeben. In einer nach den Rangeleien der vergangenen Wochen ohnehin angezählten Koalition kann dies zu unabsehbaren Reaktionen beim Partner führen – insbesondere, wenn der ohnedies schon auf der Suche nach einem günstigen Ausstiegsszenario sein sollte. Die Union könnte einen Scholz dem deutschen Publikum allemal glaubwürdiger als destruktiven Buhmann der Koalition präsentieren als einen Müntefering. Die Strategen von CDU und CSU wissen das.

Offen bleibt, welche Rolle Franz Müntefering künftig zu spielen gedenkt. Gleich nach seinem Abschied aus dem Amt stellte er klar: „Ich bleibe in der Politik“, und er bestand darauf, daß ihn weder Amtsmüdigkeit noch Enttäuschung über seine Partei zum Rücktritt bewegt hätten, sondern allein die Krankheit seiner Frau. Der Ex-Minister wird nun Zeit haben, in Interviews und Reden seinen Standpunkt aus dem Hintergrund in die Medien zu bringen. Welcher das ist, ließ er im Gespräch mit dem „Spiegel“ durchblicken: Schon bei Kohl habe es zu wenig Reformeifer gegeben, und auch die Schröder-Regierung habe es in ihrer ersten Legislatur von 1998 bis 2002 „zu locker genommen“. Für Müntefering gibt es zur „Agenda 2010“ aus dem Jahre 2003 keine Alternative. Ein Herunterschalten beim Reformtempo, wie es Nachfolger Scholz als Linie ausgegeben hat, verträgt sich mit dieser unveränderten Position nicht. Man darf gespannt sein, was Müntefering  zur Politik seines Nachfolgers in den kommenden Monaten verlautbaren läßt.

Foto: An Becks Seite: Olaf Scholz (r.) soll nun den „demokratischen Sozialismus“ der SPD durchsetzen, während Müntefering (l.) sich um seine Frau kümmert.


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