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24.11.07 / Ohne Rücksicht auf Verluste attackiert

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 47-07 vom 24. November 2007

»Moment mal!«
Ohne Rücksicht auf Verluste attackiert
von Klaus Rainer Röhl

Wolfgang Thierse ist ein verläßlicher Mann. Man kann aus seinem Munde ziemlich zuverlässig erfahren, was Sache ist in Deutschland, was gut oder was schlecht ist für das Land. Es ist mit Sicherheit das Gegenteil von dem, was Wolfgang Thierse sagt oder schreibt. Ein Mann, der aus der Tiefe des realen Sozialismus der Honecker-DDR aufgestiegen ist, wo er, zuerst als Mitarbeiter beim „Ministerium für Kultur“ und später beim „Zentralinstitut für Literaturgeschichte der (Ostberliner) Akademie“ den Kommunismus überwintert hatte. Nachdem er dabei Kraft gesammelt hatte wie ein Faultier im Tiefschlaf, war er zur Wendezeit sehr schnell in die neugegründete SPD eingetreten und hatte es dort, vermittels seines Rübezahlbarts und geschmeidigen Taktierens zu einigem Bekanntheitsgrad und Ansehen gebracht. Der Mann ist zäh. Daß er dauernd wegen seines leicht verfilzten Bartes verspottet wird, finde ich unfair. So wurde letzte Woche in der „Welt“ auf der Satireseite erörtert, warum man ihn nicht Zwangsrasieren könnte: Weil der Verdacht besteht, daß in seinem Bartfilz die außerordentlich schützenswerte breitmäulige Zwerg-Fledermaus sich versteckt haben könnte. Das ist blöd. Was machen wir denn, wenn Thierse sich wirklich den Bart abrasieren läßt? Ist er dann besser geworden, der nachtragende Feind von Helmut Kohl und Befürworter von Rot-Rot, wäre er ohne Bart weniger gefährlich für  unsere freiheitliche antitotalitäre Demokratie? Er, der erbitterte Gegner des Bundes der Vertriebenen und ihres lange geplanten „Zentrums gegen Vertreibungen“, ist immerhin Inhaber eines der höchsten Ämter in Deutschland, jenes des stellvertretenden Bundestagspräsidenten. Er kann auch heute noch viel Schaden anrichten. Wir haben gut in Erinnerung, wie Wolfgang Thierse vor ein paar Wochen den Beschluß der Bundesregierung kommentierte, nun endlich das „Zentrum gegen Vertreibungen“ in Berlin zu bauen und zu finanzieren. Schnell hatte Thierse eine Pressekonferenz einberufen, um zu verkünden, daß im Vorstand der neuen Gedenkstätte auf keinen Fall die Bundestagsabgeordnete Erika Steinbach sitzen dürfe, auch kein Vertreter der Vertriebenen – aus Rücksicht auf Polen. Schon jubelte die für zynische Bonmots bekannte linke Tageszeitung „taz“: „Vertriebene aus dem Zentrum vertrieben!“ Zu früh gefreut, die Kanzlerin steht zu ihrer Zusage. Es gilt das gegebene Wort, nicht das gebrochene Wort. Doch Thierse hatte wenigstens im eigenen Lager gepunktet. Bosheit nützt. Ähnliche Bösartigkeit war am Werk, als er den Altkanzler Kohl weit unter der Gürtellinie angriff: Von der „Leipziger Volkszeitung“ auf Münteferings Ausscheiden aus seinem Amt angesprochen, sagte er wörtlich: „Es ist eine ganz unpolitische Entscheidung, daß Franz Müntefering seine Frau in der letzten Phase ihres Lebens direkt begleiten will. Seine Frau im Dunkeln in Ludwigshafen sitzen zu lassen wie es Helmut Kohl gemacht hat, ist kein Ideal.“ Hannelore Kohl hatte sich nach einer schweren Erkrankung, die sie hochgradig lichtempfindlich machte, überraschend das Leben genommen, während ihr Mann in Berlin weilte. Nach schweren Vorwürfen und einer Rücktrittsaufforderung im Bundestag, die nicht nur den Beifall der CDU/CSU und der FDP, sondern auch der Grünen und sogar der Linken fand, gab Thierse in einem Schreiben an Kohl, keine Entschuldigung ab, sondern erklärte nur, das Zitat sei aus dem Zusammenhang gerissen, was der Interviewer der „Leipziger Volkszeitung“ sofort dementierte.

Bundeskanzlerin Angela Merkel wurde diesmal ziemlich scharf: „Die Äußerungen von Herrn Thierse sind für mich menschlich zutiefst unverständlich. Sie grenzen für mich an Niedertracht. Wenn er noch einen Funken von Größe hat, muß seinem halben Bedauern umgehend eine wirkliche Entschuldigung folgen. Inzwischen gab es noch eine, wieder halbherzige Entschuldigung Wolfgang Thierses, die der Altkanzler, der in Berlin gerade seine Erinnerungen vorstellte, gelassen annahm. Doch Wolfgang Thierse bleibt der Gutmensch vom Dienst, den alle Linken und Halblinken mögen. Warum mag jemand Wolfgang Thierse? Warum stimmt jemand für Andrea Nahles? Warum wählt jemand Gregor Gysi? Das ist rätselhaft, aber doch zu erklären. Durch die  kulturelle Hegemonie.

Wissen Sie, was „kulturelle Hegemonie“ ist? Müssen Sie auch nicht. Es ist ein Quassel-Fremdwort für eine ganz einfache Sache. Eine viel zitierte, verquaste und verqualsterte Bemerkung des früheren italienischen Kommunistenführers Antonio Gramsci über die Wichtigkeit der Medien für die Durchsetzung einer schlechten Sache, zum Beispiel des Kommunismus. Oder um ein Beispiel von heute zu bringen: der RAF. Der 68er. Der Linkspartei. Kommunismus, Sozialismus. Die meisten Menschen mochten schon damals, als Gramsci lebte, die linken Utopien nicht, sie mißtrauten ihnen, lehnten sie ab. Da hatte Antonio Gramsci beobachtet, daß man eine schlechte und unbeliebte Sache durchsetzen kann, wenn man in der Öffentlichkeit eine Diskussion entfacht, einen Diskurs. Über ein Thema, das man selber erfindet. Also einfach mal eine Diskussion vom Zaun bricht über ein beliebiges Thema und möglichst viele Journalisten, Schriftsteller und andere Meinungsbildner dazu bringt, über das bestimmte Thema (soziale Mißstände, zu niedrige Löhne, Hunger, Kinderarbeit, Krieg, Faschismus, Gefahr von rechts, Rassismus oder was man dafür hält) zu diskutieren, gern auch kontrovers. Hauptsache ist, man redet über dieses eine Thema, das natürlich die Partei ausgewählt hat. Am Ende hat man „das“ Thema besetzt, das heißt man hat die Menschen, auf deutsch gesagt, besoffen gequasselt. Den Diskurs beherrschen. So einfach ist das. Die Schüler Gramscis können wir in den letzten Tagen und Wochen bei der Arbeit beobachten. Sie besetzen die Themen, sie legen fest, worüber jeden Tag neu diskutiert wird und welche Themen unter den Tisch gekehrt werden. Einer gibt das Stichwort, und die Medienmeute stürmt los. Kohl ist längst zur Strecke gebracht. Die Medienmeute hechelt hinter einem neuen Thema her. Sie kläfft nun hinter dem her, der gejagt werden soll, dem neuen Feind. Heute ist es Stefan Aust, der Chefredakteur des „Spiegel“, den seine eigenen linken Kollegen gewissermaßen bei Nacht und Nebel aus dem Amt jagten, und dessen Sturz die ganze Meute jetzt wild bejubelt.

Hatte er zuletzt nicht nur die RAF, sondern das ganze sie unterstützende Umfeld in seiner „Spiegel“-Reportage und einer gleichzeitigen Fernseh-Dokumentation als menschenfeindlich und zerstörerisch entlarvt, und sich in seinem letzten „Spiegel“-Titel zuletzt nicht einmal gescheut, die 68er auf den ihnen zustehenden Platz – auf Null – zu bringen und sie in einem wundervollen Titelbild dem Spott preiszugeben (siehe PAZ Nr. 45)? Damit war er offenkundig ans emotional Eingemachte seiner linken Kollegen gegangen. Haben wir nun eine Trendwende? Einen Linksruck in der Bundesrepublik? Ganz im Gegenteil: Es ist eher ein letztes Aufbegehren der 68er Mediengurus gegen ihre drohende Entmachtung. Durch die gesellschaftliche Realität im 21. Jahrhundert, im Zeitalter der Globalisierung und Automatisierung. Man lese dazu das in Massenauflage verbreitete Buch „Der große Selbstbetrug“ des einstigen Kohlvertrauten und jetzigen Chefredakteurs von „Bild“, Kai Diekmann. Halb Deutschland liest jetzt, wie er die 68er und ihre rot-grünen Nachfolger der Gender-, Windmühlen- und Öko-Fraktion als Selbstbetrug, als „linke Lebenslüge“ enttarnt. Es gibt eine Trendwende in Deutschland, aber anders als von den Erben der 68er geahnt oder geplant. Sie beherrschen nicht mehr den Diskurs. Die deutsche Gesellschaft und ihre akademische Jugend ist dabei, aus den utopischen Träumen in der Welt von heute zu erwachen. Je eher, desto besser. Die Gegenseite ist alarmiert. Und eines ist ihr noch für lange Zeit sicher: die Parteilichkeit unserer Medien. Immer getreu nach der Methode Gramsci. Was auch im Irak, in Afghanistan oder sonst wo in der Welt die militanten Gegner der USA unternehmen, deutsche Reporter werden es mit großer Aufmerksamkeit filmen, und Kommentatoren werden es, mit großem Verständnis für die Terroristen, die neuerdings im Fernsehen häufig auch „Kämpfer“ genannt werden, mit gebührender Betroffenheit begleiten. Immer aber wird das Mißtrauen gegen die USA und die Bundesregierung als festes Vorurteil vorhanden sein. Attentate, Massenmorde und verletzte deutsche Soldaten? Selber schuld. Warum seid ihr nach Afghanistan gegangen? So verkünden die linken Schreiber und Reporter. Und die gute Tante „Zeit“ blicket stumm auf dem ganzen Tisch herum. Einerseits – andererseits, wie es sich in der „Zeit“ seit ewigen Zeiten gehört. Aber das Herz der Redakteure schlägt für die große und schöne Bewegung, aus der sie fast alle gekommen sind, und über deren Fehler sie nicht ernsthaft diskutieren wollen. Auch nicht in der „Zeit“, im „Stern“ oder im „Spiegel“, den Hamburger Blättern, die die Rebellion damals hochputschten. Es war nicht alles schlecht! Sie haben ja recht. Die 68er Bewegung, die unsere ganze Gesellschaft so umfassend verändert hat, machte keine Fehler. Sie war der Fehler. Aber das sagten wir schon.


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