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24.11.07 / Hoffnungsvoll auf die Ewigkeit gerichtet / Ein christliches Wort zum Ewigkeitssonntag

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 47-07 vom 24. November 2007

Hoffnungsvoll auf die Ewigkeit gerichtet
Ein christliches Wort zum Ewigkeitssonntag
von Klaus Plorin

Mehrmals im Jahr, sobald der letzte Schnee geschmolzen war bis in den grautrüben November hinein, ging meine Mutter mit mir, dem kleinen Jungen, zur Pflege zweier Gräber auf den Friedhof. Von allen Verwandten wohnten wir ihm am nächsten, und so hatte meine Mutter, die gärtnerisch begabt war, diese Pflicht gerne übernommen. Ich ging jedes Mal erwartungsfroh mit. Denn schon auf unserem langen Weg durch den Königsberger Park Luisenwahl und erst recht beim Unkraut jäten, Bepflanzen, Begießen und Harken der beiden Gräber in der besinnlichen, stillen Umgebung erzählte meine Mutter aus dem Leben ihres Vaters und ihres Schwiegervaters. Es waren so interessante und spannende Geschichten, daß ich immer nur bedauern konnte, meine beiden zu früh verstorbenen Großväter nicht mehr erlebt zu haben.

Natürlich stellte ich meiner Mutter auch eine Menge kindlicher Fragen zu ihren Erzählungen und zum Leben und Sterben überhaupt, die sie aufmerksam anhörte und mir dann geduldig und kindgemäß beantwortete. Hier bekam ich eine erste Ahnung von Lebensläufen und Schicksalen, von der Vergänglichkeit des Lebens, vom Trauern um unsere Toten, aber auch von liebevoller Dankbarkeit gegenüber den längst Verstorbenen. Das von der Mutter am Schluß gesprochene Vaterunser, in das ich mit zunehmendem Alter immer mehr einstimmen konnte, legte in mir einen Grund der Hoffnung über unser irdisch-vergängliches Leben hinaus.

Besonders in unserer heutzutage so schnellebigen und oft geschichtsvergessenen Zeit ist es gut, wenn mit dem regelmäßigen Besuch an Familiengräbern die Erinnerungen an unsere Verstorbenen wachgehalten oder neu belebt werden. Wenn wir mit der Pflege ihrer Gräber unsere Toten liebevoll ehren. Der letzte Sonntag im Kirchenjahr, der volkstümlich Totensonntag, kirchlich auch Gedenktag der Entschlafenen, offiziell aber Ewigkeitssonntag genannt wird, ist ein gerne genutztes Datum dafür. Im Gottesdienst werden die Namen der verstorbenen Gemeindeglieder des letzten Kirchenjahres verlesen und Gebete für sie und die Hinterbliebenen gesprochen. Da wird durch Trost und Mahnung des Evangeliums der Trauer Ausdruck verliehen, neue Zuwendung zum Leben geweckt, aber auch unsere Verantwortung für eigenes und fremdes Leben gestärkt, unser Blick hoffnungsvoll auf die Ewigkeit bei Gott gerichtet.

Leider mußte ich als Pfarrer auch mehrmals einen bedauerlichen Trauerkult mit ansehen, bei dem Hinterbliebene täglich stundenlang am Grab des Verstorbenen verbrachten, stille oder laute Zwiesprache mit dem Toten hielten, das Grab immer neu mit Blumen überschütteten. Anstatt zum Beispiel der überlasteten Tochter oder Schwiegertochter im Haushalt oder bei der Betreuung der Kinder zu helfen. Oder es wurde ein unausgesprochener Wettbewerb um die schönste und aufwendigste Grabgestaltung ausgefochten.

Wie weise ist doch in solchen Fällen der banale Rat: „Schenket die Blumen während des Lebens! Denn nach dem Tode sind sie vergebens.“

Was aber, wenn wir gar keine Orte mehr haben, unsere Toten zu besuchen? Die Gräber meiner Großväter in Königsberg fanden wir 1991 ausgehoben, die Grabsteine weggeschafft; an ihrer Stelle steht neuerdings eine Autowaschanlage. Die Gräber meiner Großmütter in Hamburg und Kiel und meiner Eltern in Köln sind mit Ablauf der Liegezeiten längst aufgelöst. Und wie viele Tote des Krieges sind an unbekannten Orten nur verscharrt worden oder liegen unter Trümmern begraben. Nur für eine geringere Zahl namentlich bekannter gefallener Soldaten konnten Kriegsgräberfriedhöfe eingerichtet werden. Aber selbst wenn ein Hinterbliebener herausfinden konnte, wo sein Verwandter begraben liegt. Wie oft, oder genauer, wie selten wird er das Grab in der Heimat, in den Weiten Rußlands oder anderswo in Europa oder Afrika mit zunehmendem Alter noch besuchen können?

Lange habe ich die Leute beneidet, deren verstorbene Angehörige am gleichen Wohnort oder nicht weit weg begraben liegen. Vielleicht über Generationen hinweg in einem Familiengrab, als leicht erreichbares Ziel für besinnliche Besuche – wie für mich in meiner Kindheit in Königsberg. Doch je länger und mehr ich auf die Gräber meiner Vorfahren verzichten mußte, desto wichtiger wurde für mich anderes, das mich lebhaft an meine Verstorbenen denken läßt. Orte, an denen ich mit ihnen gemeinsam damals Erfreuliches erlebte, auch Schweres durchhielt, sind mir nun wichtiger als ihre Gräber, die mich ja nur oder allzusehr an den Tag ihrer Beerdigung erinnerten. Fotos und Briefe von ihnen, die ich aufbewahrt habe, wecken gute und lebhafte Erinnerungen. Bei Musik, die sie gerne hörten, Speisen, die sie gerne aßen, muß ich intensiv und dankbar an sie denken. So habe ich angefangen, meine Erinnerungen an meine Vorfahren aufzuschreiben. Gerade auch, wie sie schlimme Zeiten und persönliche Katastrophen ausgehalten und überwunden haben. Ich tue das einerseits, um für mich selbst meine Erinnerungen fest zu halten, bevor mein Gedächtnis zu sehr nachläßt. Andererseits, um sie meinen Kindern und Enkeln weiterzugeben, in der Hoffnung, bei ihnen Ähnliches anzuregen, wie es meiner Mutter einst bei mir gelang.

Mag sein, daß meine Aufzeichnungen solches leider nicht bewirken können. Es ist zwar gut, wenn unsere Verstorbenen „in unserer Erinnerung weiterleben“, wie manchmal gesagt wird. Aber irgendwann gehören wir doch alle zu den kaum noch interessanten und erwähnenswerten und schließlich längst vergessenen Ahnen, bestenfalls mit Namen und Daten in einer Ahnentafel, falls sie von jemandem überhaupt geführt wurde. Dann ist es um so wichtiger, daß wir von Gott nicht vergessen sind, sondern in seinem „Buch des Lebens“ verzeichnet sind.

Daß Gott als unser Schöpfer und Erhalter endgültig wahr macht, was er uns bei unserer Taufe zugesagt hat, als er uns zu seinen geliebten Menschenkindern erklärte und in seine Familie aufnahm. Daß wir seine grenzenlose Liebe nicht nur in unserm irdischen Leben, sondern auch nach unserm Sterben in seiner Ewigkeit spüren dürfen. Daß uns nichts „scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn“ (Römer 8,19 b).

 

Gebet

Herr Jesus Christus, der Du selbst ein menschliches Dasein durchlebt und durchlitten hast bis zum unschuldigen Leiden und Sterben am Kreuz und auferweckt wurdest in ein neues Leben bei Gott.

Wir bitten Dich für unsere Verstorbenen wie einst für uns selbst: Laß sie und uns in Deiner Gnade sehen und erleben, was wir hier nur erhoffen und erbitten können!

Die ewige Herrlichkeit Deines Reiches. Wo Friede und Freude lachen. Wo uns nichts mehr von Dir und Gott und voneinander trennen kann. Weder unsere Schuld, noch Krankheit, Unfall, Krieg und auch nicht der Tod. Das bitten wir Dich von Herzen. Amen.


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