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24.11.07 / Sie überlebten ohne eigenen Staat / Seit dem Mittelalter bilden die Sorben eine Minderheit in Deutschland

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 47-07 vom 24. November 2007

Sie überlebten ohne eigenen Staat
Seit dem Mittelalter bilden die Sorben eine Minderheit in Deutschland
von Helen Bauers

Blicken wir zurück auf die Zeit um das mittelalterliche Jahr 600, so sehen wir, daß westslawische Stämme den Raum östlich von Saale und Elbe besiedeln, den die germanischen Bewohner im Zuge der damaligen Völkerwanderungen verlassen haben.

Die auch Wenden genannten Sorben, Nachfahren jener Stämme, gehören wie Polen, Tschechen und Slowaken zu den Westslawen und sind das kleinste westslawische Volk. Sie lebten in einer altertümlichen, von der Großfamilie geprägten Gesellschaftsordnung fast ohne herrschaftliches Gefüge. Für ihre bereits im Feudalismus und in der christlichen Kirche fest organisierten und militärisch gut gerüsteten Nachbarn waren ihre fruchtbaren Siedlungsgebiete eine begehrte – und leichte – Beute: Im 10. Jahrhundert wurde ihr Land von den Nachbarn erobert und ins Heilige Römische Reich eingegliedert – und sie selber aus ihrer Naturreligion heraus direkt in das deutsche Kirchenwesen „christianisiert“. Seitdem leben die Sorben innerhalb deutscher Staatlichkeit.

Sie selbst nennen sich „Serbja“ beziehungsweise „Serby“ (auf ober- beziehungsweise niedersorbisch). Der ebenfalls geläufige und heute gleichberechtigt gebrauchte Begriff „Wenden“ gilt als Fremdbezeichnung und geht zurück auf römische Geschichtsschreiber, die alle slawischen Stämme zwischen Karpaten und und Ostsee „Venedi“ nannten.

Unter deutscher Herrschaft gab es immer wieder obrigkeitliche Versuche gewaltsamer Germanisierung und Bekämpfung der sorbischen Lebensweise wie Anordnungen zur Abschaffung der sorbischen Sprache und Vernichtung aller sorbischen Bücher sowie Berufsverbote für sorbische Prediger.

In Zeiten gewisser Toleranz respektive Gleichgültigkeit der Herrschenden gegenüber dem slawischen Fremdkörper im eigenen Hoheitsgebiet konnte sich die sorbische Kultur jedoch immer wieder festigen.

Allerdings gelang dieses langfristig nur in der Nieder- und Oberlausitz, wodurch diese beiden Landschaften die „ökologische Nische“ für das spätere Überleben des Volkes bis in unsere Zeit wurden. Begünstigt wurde der Erhalt der sorbischen Kultur in früheren Zeiten ganz sicher durch die für damalige Verhältnisse hohe Bevölkerungszahl von 230000 Menschen und das ausgedehnte Siedlungsgebiet von 40000 Quadratmetern.

Aber in erster Linie verdanken die Sorben, die hauptsächlich von der Landwirtschaft, dem Fischfang, dem Töpferhandwerk und der Waldbienenzucht lebten, das Überleben als Volksgruppe offenbar ihrem handwerklichen Geschick und dem damit verbundenen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ansehen bei den Angehörigen ihrer eigenen sozialen Schicht.

So lebten in den dörflichen Gemeinschaften und in den seit dem Mittelalter aufblühenden Städten Deutsche und Sorben überwiegend einträchtig miteinander und stritten während der folgenden Jahrhunderte in Bauern- und Bürgeraufständen sowie während der 48er Revolution Seite an Seite gegen obrigkeitliche Willkür, für die Befreiung aus feudaler Abhängigkeit und später für bürgerlich-demokratische Verhältnisse – parallel aber auch in einigen Fällen für gleiche Rechte der Sorben als Mitbürger.

Ein einschneidendes Ereignis war die Reformationsbewegung in den 1520er Jahren: Sie verursachte eine konfessionellen Spaltung der Sorben in katholische und protestantische Gläubige. War das das Aus für die sorbische Kultur?

Hauptsächlich die Gemeinden im Städtedreieck Bautzen–Kamenz–Hoyerswerda blieben katholisch und hüteten das sorbische Brauchtum besonders sorgfältig in zweifacher Abgrenzung gegenüber der deutschen Bevölkerungsmehrheit und den sie umgebenden evangelischen Kirchspielen.

Aber die neue evangelisch-lutherische Kirche war für die Entwicklung sorbischer Kultur erst recht von hoher Bedeutung: Statt des mittelalterlichen liturgischen Kultgottesdienstes stellte sie die Predigt und den Gemeindegesang in den Vordergrund und wertete damit die Volkssprache auf. Erstmals wurde die sorbische Sprache jetzt auch geschrieben. Das war der erste Schritt zur Entstehung einer Bildungsschicht in Gestalt von sorbisch sprechenden schriftkundigen Pfarrern und Lehrern. So entwickelte sich aus dem Kreis der Geistlichen, die in ihren Dörfern in der Muttersprache predigten, eine kleine Gruppe Intellektueller, welche die Grundlagen sorbischer Schriftsprache und Literatur schufen. 

In Bautzen als Zentrum sorbischer Kultur und Geschichte wurden wesentliche Marksteine gesetzt: Um 1530 wurde das älteste sorbische Schriftzeugnis aufgezeichnet, der Bürgereid der Stadt Bautzen („Der Burger Eydt Wendisch“), in dem sorbische Bürger ihre Treue zur Stadt bezeugen. 1574 erschien in einer Bautzener Buchdruckerei als erstes gedrucktes sorbisches Buch ein Liederbuch mit Katechismus, 1706 das Neue Testament in sorbischer Übersetzung und 1728 die erste vollständige sorbische Bibel.

In dieser Epoche wirkten Sorben als Humanisten, Philosophen und Mediziner außer in Bautzen auch an namhaften Universitäten jener Zeit in ganz Europa. Werke von sorbischen Dichtern und Sprachwissenschaftlern wurden veröffentlicht und übersetzt. Die Abhandlung über Bienenzucht eines sorbischen Autoren erlangte Weltgeltung. 

Im 19. Jahrhundert kam es zu einem besonderen intellektuellen Aufschwung der sorbischen Kultur in Bautzen: Der Dichter Handrij Zeijler, Begründer einer eigenständigen sorbischen Nationalliteratur, gründete die erste sorbische Wochen-, später Tageszeitung, die bis 1937 kontinuierlich erschien. Im Zuge der Aufbruchstimmung zur späteren 48er Revolution fand das erste sorbische Gesangsfest statt, das die Tradition späterer Sängertreffen und Konzerte begründete. Die sorbische wissenschaftlich-kulturelle Gesellschaft Macica Serbska wurde gegründet. Sie war das geistige Zentrum für überkonfessionelle und überregionale Sorbenkunde aller Bereiche. Ihre Zeitschrift erschien ebenfalls regelmäßig bis 1937. Der Wissenschaftler und Publizist Jan Arnost Smoler gründete die erste sorbische Verlagsbuchhandlung und die erste sorbische Druckerei. Erste Theaterstücke in sorbischer Sprache und von sorbischen Autoren wurden aufgeführt. Das „Wendische Haus“ als Zentrum sorbischen Kulturlebens – mit Druckerei, Verlag, Bibliothek, Archiv, Nationalmuseum, Café und Lesesaal – wurde errichtet. Die Domowina, der Dachverband zur Stärkung aller sorbischen Vereine in der Kaiserzeit mit Sitz im Wendischen Haus in Bautzen, wurde gegründet.

Nach dem Ersten Weltkrieg kam es jedoch wiederum zu einem totalen Umschwung der politischen Stimmung: Noch 1919 legte die Weimarer Verfassung fest, daß die „fremdsprachigen Volksteile … in ihrer freien volkstümlichen Entwicklung … nicht beeinträchtigt werden“ – ausführende Bestimmungen allerdings wurden nicht beschlossen. Doch bereits 1920 wurde zur Überwachung der Sorben bei der Bautzener Verwaltung die „Wendenabteilung“ gegründet. Ihr Zweck war die „Aufdeckung jeder wendischen Nationalbewegung als reichsfeindlich“ und „die Förderung des Aufgehens der Wenden im Deutschtum“.

1937 schließlich verboten die Nationalsozialisten jede Äußerung sorbischer Sprache und Kultur in der Öffentlichkeit, schlossen alle sorbischen Einrichtungen und verboten die Domowina. Engagierte Lehrer und Geistliche beider Konfessionen wurden aus der Lausitz versetzt. Bis zum Kriegsende fand sorbisches Leben nach außen hin nicht statt.

Wie stark unter der Oberfläche jedoch der Überlebenswille dieser Kultur pulsierte, wurde unmittelbar nach Kriegsende deutlich: Schon am 10. Mai 1945 wurde die Domowina neu gegründet – und von der sowjetischen Besatzungsmacht als demokratische Organisation anerkannt. 1948 beschloß der Sächsische Landtag das „Gesetz zur Wahrung der Rechte der sorbischen Bevölkerung“.

Bis 1958 erfuhr die sorbische Bevölkerung intensive Unterstützung durch das DDR-Regime: Unter Einsatz erheblicher Mittel förderte es die Gründung zahlreicher Institutionen zur Entwicklung sorbischer Kultur und Wissenschaft – ein zweischneidiges Schwert, denn gleichzeitig benutzte der Staat die Einrichtungen dazu, das Machtmonopol der SED bei den Sorben durchzusetzen. Auch die zwischen 1966 und 1989 organisierten sieben „Festivals der sorbischen Kultur“ standen im Spannungsfeld der Förderung sorbisch-kulturellen Ausdrucks einerseits und der Darstellung marxistisch-leninistischer Nationalitätenpolitik und ideologischer SED-Propaganda andererseits.

Anläßlich der „Wende“ und der Öffnung der deutsch-deutschen Grenze 1989 zeigte sich erneut die politische Wachheit der Sorben: Schon in diesem Jahr rief die Sorbische Nationalversammlung zum Dialog mit der Staatsführung auf und forderte von der Domowina eine Neuorientierung, 1990 bis 1992 wurden bisherige sorbische Einrichtungen erneuert und zahlreiche neue gegründet.

Die Jahre 1991 bis 1999 standen im Zeichen der rechtlichen Ausgestaltung einer unabhängigen Förderung sorbischer Eigenständigkeit. Der Bund, der Freistaat Sachsen und das Land Brandenburg errichteten 1991 die „Stiftung für das sorbische Volk“, die der Förderung und Entwicklung der sorbischen Sprache, Kultur und Wissenschaft dient. Der brandenburgische Landtag verabschiedete 1994 das „Gesetz zur Ausgestaltung der Rechte der Sorben (Wenden) im Land Brandenburg“, 1999 wurde der von Brandenburg und Sachsen 1998 unterzeichnete Staatsvertrag rechtskräftig und die Stiftung für das sorbische Volk erhielt ihre rechtliche Selbstständigkeit.

1998 hat das Rahmenübereinkommen des Europarates zum Schutz nationaler Minderheiten in Deutschland vier Minderheiten als schutzwürdig anerkannt: die Dänen, die Friesen, die Sinti und Roma sowie die Sorben.

Auch heute, 16 Jahre nach der Gründung der Stiftung für das sorbische Volk, pflegt die Stiftung keine in einem Freilichtmuseum konservierte Tradition – wie schon die Zweisprachigkeit der Straßen- und Hinweisschilder in der Lausitz zeigt. Diese Kultur lebt – in Form ihrer Sprache und ihres gesamten Brauchtums, ihrer jahreszeitlichen Feste, in Form von Ausstellungen in sorbischen Einrichtungen und Aufführungen im sorbischen Volkstheater, ja, zum Teil durch das tägliche Tragen sorbischer Trachten.

Foto: Zapust in Werben im Spreewald: Unverheiratete Paare in sorbischer Tracht feiern („zampern“) den Beginn der sorbischen Fastnacht.


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