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01.12.07 / Gut aufgehoben / Vertrauen ist ein wichtiger Bestandteil im Verhältnis Apotheker und Patient

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 48-07 vom 01. Dezember 2007

Gut aufgehoben
Vertrauen ist ein wichtiger Bestandteil im Verhältnis Apotheker und Patient
von E. Knorr-Anders

Jeden Passanten der schmalen Wiesbadener Marktstraße besticht die rote Sandsteinfassade des alten Gebäudes, in dessen Parterre seit 1837 die „Hirsch-Apotheke“ ansässig ist; über der Eingangstür blinkt ein goldener Hirschkopf. Die Inneneinrichtung wurde aus kaukasischem Nußbaum, dunklem Bernstein gleichend, geschaffen. In den Regalen, zum Teil hinter Glas geborgen, reihen sich die auf den Laien geheimnisvoll wirkenden Gefäße, von denen kein Kunde wußte, was in ihnen steckte, jedenfalls enthielten sie nicht nur aromatische Gewürze, Salben, Öle, sondern auch Gifte, die, fehlerhaft dosiert, nicht die Heilung, jedoch den Tod beschleunigten.

Am 1. April 2001 übernahm die 1963 geborene Susanne Kalb die in langer Familien-tradition geführte Apotheke von ihrem Vater, dem Pharmazeuten und Naturwissenschaftler Dr. Oskar Kalb. An jenem Tag betrat ich mit einem Rezept die Apotheke. Gerammelte Fülle! Blumengestecke überall. Sekt wurde kredenzt. Susanne Kalb stand von Stammkunden umringt. Beglückt lachte sie in die Runde. Plötzlich verstummte das Lachen. Sekundenlang beschattete tiefer Ernst ihr Gesicht, geradeso, als befände sie sich weit und breit allein.

„Genau das empfand ich“, bestätigt Susanne Kalb. Jetzt sitzen wir uns beim Interview gegenüber: „Ich wußte selbst nicht, wie es geschah. Jäh wurde mir bewußt, daß ich nun alleinverantwortlich für das Fortbestehen der Apotheke, für meine Angestellten, für die zuverlässige Betreuung meiner Kunden war. Es muß klappen“, schwor sie sich. Und es klappte.

Am 1. Januar 2005 hatte die Barmer Ersatzkasse als erste Krankenkasse das sogenannte „Hausarztmodell“ eingeführt. Sehr bald folgten andere gesetzliche Krankenkassen. Das Modell hat zum Inhalt, daß Patienten sich verbindlich für einen Arzt ihrer Wahl entscheiden, um das Kosten verursachende „Springen“ von Praxis zu Praxis zu vermeiden und überflüssige Doppeluntersuchungen auszuschließen. In der Regel fällt die Wahl auf den langjährigen und bestens vertrauten Arzt. Von diesem erhält man die Überweisungen an entsprechende Fachmediziner. Ein Wechsel ist jederzeit möglich. Die Hausarztwahl wird mit Formular schriftlich bestätigt. Zugleich nennt man die Apotheke, in der die verordneten Medikamente erworben werden sollen. Das hat den Vorteil, daß Arzt und Apotheker eng zusammenarbeiten. Noch ein weiterer finanzieller Vorteil des Modells ist zu nennen: Der Patient zahlt nur einmal im Jahr die obligatorischen zehn Euro. Für die folgenden drei Quartale entfällt die Gebühr. Eine Ersparnis von immerhin 30 Euro.

Für den Arzt gilt seit altersher die Schweigepflicht, für die Patientenkartei der Apotheke, in der jedes ausgehändigte Medikament gespeichert wird, ist der Datenschutz verpflichtend. Hat der Kunde den Namen eines frei verkäuflichen Präparats, einer Hautcreme, vergessen, drückt Susanne Kalb die Computertaste: „Eucerin 5 Prozent Urea“, verkündet sie fröhlich. Sieh’ mal an! Und so etwas soll der Laie im Gedächtnis behalten!

Wenig bekannt ist, daß einzelne Präparate im Labor der Apotheke hergestellt werden. Es handelt sich um Verordnungen von Haut- und HNO-Medizinern, die in Fertigprodukten nicht erhältlich sind. Die Zubereitung der gewünschten Salben, Tropfen erlernen Pharmazeuten während ihres Studiums.

In jedem Geschäftsbereich treten schwierige Kunden auf. Wie kommt man mit ihnen zurecht? Erneut wird Susanne Kalbs Blick ernst: „Es gibt keine schwierigen Kunden, es gibt nur Kranke. Und alle Kranken haben Angst. Hier hilft nur Geduld, zuhören, mitfühlen, beraten und erklären können.“

Welchem Kranken ist nicht schon beim Lesen des „Beipackzettels“ himmelangst geworden? Die Aufzählung der „Nebenwirkungen“ ist um Längen umfangreicher, als die Angaben über die Wirksamkeit des Medikaments.

Horror verursachende Möglichkeiten werden geschildert: Schwindelgefühle, Verwirrtheit, Muskelerschlaffung, Sturzgefahr, Atembeschwerden, Erbrechen, Kopfschmerzen und vieles andere. Und woher bitte soll der Kranke wissen, ob er allergisch gegenüber Pyrazolonen ist? Wen wundert es noch, daß eingeschüchterte Kranke sich das Heilmittel erst gar nicht einverleiben, sondern gleich auf den Müllbeutel zusteuern.

Beraten und erklären! Geduld haben! Das Team in der Apotheke beweist diese Erfordernisse tagtäglich. Kranke entwickeln Mißtrauen. Es ist die Grundlage vieler Fragen. „Warum sind die Tabletten jetzt gelb? Sie waren immer grün!“ Ausführlich wird erklärt: Die Herstellerfirma ist eine andere, preisgünstigere. Der Wirkstoff des Medikaments ist jedoch der gleiche. Nach geraumer Weile läßt sich die Kundin überzeugen.

Seit ungefähr zehn Minuten beantwortet Ilona Mezger die Fragen einer alten Dame. Ebenso lange warte ich auf ihre Kollegin Gisela Steinebrunner, die mit meinem Rezept verschwand. „Ich frage bei Ihrem Hausarzt zurück. Sicher ist sicher“, hatte sie mir zugerufen.

Auch das fällt in den Bereich Vorsicht und Fürsorge eines Apothekerlebens. Vorausgesetzt, daß sie gleich zum „Doktor“ durchgestellt werden kann, wird mein bewährter Hausarzt mit auskunftspingeliger Sorgfalt die Rückfrage klären.

Endlich taucht Gisela Steinebrunner auf. Sie strahlt: „Es darf genommen werden!“ Davon war ich ausgegangen, aber „sicher ist sicher“.

Mittlerweile ist auch ihre Kollegin mit ihrer Kundin zum Ende gekommen. Sie packt ihr die Medikamente in einen Beutel, verabschiedet sie mit aufmunterndem Lächeln. Die Seniorin wendet sich zum Ausgang, kehrt aber noch einmal um. „Ich hätte noch eine Frage.“ Ilona Mezger mit unverminderter Engelsgeduld: „Was ist es denn?“

Gisela Steinebrunner reicht mir mein Päckchen: „Jetzt geht es ins Café, stimmt’s?“ Mein Stammcafé liegt der Apotheke gegenüber. Da ich nach zwei Operationen etwas schwächlich auf den Füßen bin, schaut sie mir nach, bis ich an der Drehtür bin. Dann winkt sie mir. Ich winke ebenfalls.

Im Café steuere ich einem Sofaplatz zu. „Wie immer?“ ruft der Kellner. Aber ja.

Ich lege den Beutel mit der Arznei auf den Tisch. Eine Menge Gesundheit steckt in ihm. Ketzerisch überlege ich, ob soviel „Gesundheit“ nicht krankmachen kann. Zu guter Letzt bliebe noch übrig, den Himmel um Hilfe anzurufen.

Foto: Reichhaltiges Angebot: Auch Kräuter, Tinkturen und Salben sind in Apotheken zu finden.


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