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08.12.07 / Putin im Siegesrausch / Die Russen bestätigen bei Parlamentswahlen offiziell den Machtanspruch der Partei des Präsidenten

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 49-07 vom 08. Dezember 2007

Putin im Siegesrausch
Die Russen bestätigen bei Parlamentswahlen offiziell den Machtanspruch der Partei des Präsidenten
von Wolf Oschlies

Schiroka strana moja rodnaja“, singen Russen seit Stalins Zeiten: „Weit ist mein Heimatland.“ Die geographische Bestätigung der Weite brachte am vergangenen Sonntag die Wahl der 450 Abgeordneten zur „Duma“, der ersten Kammer des russischen Parlaments, wozu rund 109 Millionen Wahlberechtigte aufgerufen waren – in einem Riesenland, das elf Zeitzonen umfaßt. Zudem leben fast zwei Millionen Russen im Ausland, wo sie wählen wollten, fast überall in Rußland waren die Duma-Wahlen mit Regionalwahlen und Referenden verquickt – viel Auftrieb beim fünften Wahlgang in postsowjetischen Zeiten. Und beim zweiten Wahlgang der Ära Putin, dessen Präsidentschaft am 2. März 2008 endet. Die Russen hätten ihm gern ein drittes Mandat angetragen, was Putin mit Rücksicht auf die Verfassung ablehnte. Allerdings will er die Fäden in der Hand behalten, neue Parteien- und Wahlgesetze sichern, so daß seine „gelenkte Demokratie“ direkter greift.

Nur elf Parteien waren am 2. Dezember 2007 zur Wahl zugelassen, halb so viele wie 2003. Um 21 Uhr Moskauer Zeit (19 Uhr MEZ) gab Wladimir Tschurow, Chef der Zentralen Wahlkommission, bekannt, daß die Wahlbeteiligung 63 Prozent betragen habe, rund vier Prozent über dem Niveau von 2003, und im (wiederaufgebauten) Tschetschenien knapp unter 100 Prozent lag. Laut vorläufigem Endergebnis kamen nur vier Parteien in die Duma, allen voran „Einiges Rußland“ (ER) mit 64,2 Prozent, wozu ihr Spitzenkandidat Wladimir Putin den Löwenanteil beitrug. 1999 entstand die Partei als Zusammenschluß von drei „Machtparteien“ zur Unterstützung des Kreml. Laut eigenen Angaben zählt sie gegenwärtig rund 1,3 Millionen Mitglieder und verfügt über enorme Geldmittel. Mit 11,6 Prozent folgte die „Kommunistische Partei der Russischen Föderation“ (KPRF), 1992 aus der alten KPdSU hervorgegangen, eine 190000 Mitglieder zählende diffuse Bewegung von häufig altstalinistischer Orientierung. Auf Platz drei landete mit 8,1 Prozent die „Liberal-demokratische Partei Rußlands“ (LDPR), die von dem Politclown Wladimir Shirinowski geführte „älteste postsowjetische Partei“ (gegründet 1989), die heute 146000 Mitglieder hat und einem extremen russischen Nationalismus huldigt. Auf Platz vier kam schließlich mit 7,8 Prozent „Gerechtes Rußland“ (SR), eine 2006 von der ER gegründete Organisation, die ihr rechtes Image „links“ eintönen und landesweit Rentner erfassen soll. Der Politologe Aleksej Puschkow erläuterte, was die vier Parteien darstellen: ER steht für rücksichtslose Karrieristen, KPRF für ewiggestrige Fossile, LDPR für Show-liebende Protestwähler, SR für eine kleine sozialdemokratische „Nische“. Alle anderen Parteien scheiterten an der von Putin auf sieben Prozent erhöhten Hürde, darunter „Jabloko“ mit 1,25 Prozent, die einzige westlich-demokratische Bewegung Rußlands.

„Putins Sieg – Rußlands Sieg“ lautete der Wahlslogan der ER, deren Chef, Duma-Präsident Boris Gryslow, noch am Wahlabend kühl kommentierte, die Wahl sei „ein Referendum für Präsident Putin“ gewesen. Das traf zu, aber es verblüffte zu sehen, wie oft sich Putin als schärfster Kritiker der ER gerierte. Am 13. November bat er Wähler im südostsibirischen Krasnojarsk, die ER zu wählen, obwohl sie eine Partei undemokratischer Funktionäre und verlogener Demagogen sei, dabei aber doch besser als alle anderen, zumal sie den besten Mann überhaupt aufstellte: Putin! In seiner Wahlrede wurde er am 29. November noch deutlicher: Die jetzige Wahl ist nur ein Vorspiel, und „wer im Dezember siegt, der wird auch bei den Präsidentschaftswahlen im März nächsten Jahres siegen“. Er und die ER wollten die Wahl abwarten, und nachdem diese ihnen eine Zweidrittelmehrheit in der Duma beschert hat, könnte die ER Putin zu jedem Posten verhelfen, ihn sogar zum Zaren Rußlands krönen.

Auf etwas dieser Art wartet das stets staatsgläubige Rußland, das momentan vor Zukunftsangst zittert. Der Präsident übertönt sie mit Weltgeltungsgeklirr und Stornierung alter Verträge – die Bürger fragen auf Wahlkundgebungen, warum auf den Stimmzetteln die Wahlalternative „Gegen alle“ fehlt, mit der man früher Abneigung gegen die Parteien demonstrieren konnte. Dafür gäbe es gerade in diesem „golodnaja osenj“ (Hunger-Herbst) 2007 Grund genug, als Rußland nach Mißernte und Inflationsschub von elf und mehr Prozent in die Krise geriet, aus der es nächstes Jahr nicht herauskommen kann. Hinzu kamen spektakuläre Verhaftungen korrupter Staatsfunktionäre, Entlassungen höchster Militärs, hektische Revirements in der Regierung, Ankündigungen „umfassender Säuberungen“ in der Regierungspartei, was die „kasta silovikov“ (Machthaber-Kaste) kaum tangiert. Die überlegt doch nur, höhnte die ehrenwerte „Nesavisimaja gaseta“ (Unabhängige Zeitung), ob sie den Tag nach der Wahl zum Staatsfeiertag erklärt, um den dann verkaterten Russen leichter böse Nachrichten und harsche Gesetze unterzujubeln.

Oder kommt es ganz anders? Der geistvolle Publizist Boris Kajmakow prophezeite kurz vor der Wahl: „Es naht der Moment der Wahrheit. Ein Höchster (glavnyj) gehört auf die Bühne, der nach Gesetz und Gewissen urteilt. Der ist nicht schwer zu finden, wir kennen ihn längst. Es ist unser nationaler Führer Wladimir Putin.“ So wünschen es viele Russen, von denen Putin das „moralische Recht“ erwartet, in einer Führungsrolle an ihre Spitze zu treten. Genau das fürchtet die internationale Gemeinschaft. Bereits Anfang November erklärte US-Außenministerin Rice, daß man mit den Russen in Globalfragen gut kooperiere, über deren Agieren im „postsowjetischen Raum“ aber besorgt sei. Das heutige Rußland, so Rice, erinnere sie an die Sowjetunion der späten 70er Jahre. Noch schlimmere Assoziationen hatte die Russische Akademie der Wissenschaften, als sie auf einen gewissen „Mechanismus“ in der russischen Geschichte aufmerksam machte: Im ersten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts gab es die mörderischen „Wirren“ um die Thronfolge, Anfang des 18. Jahrhunderts folgte der blutige Krieg gegen Schweden, im frühen 19. Jahrhundert der Krieg gegen Napoleon, 1917 Lenins schreckliche Revolution. In den nächsten Jahren drohen Rußland Chaos und eine große Katastrophe.

Foto: Junge Anhänger Putins. Sie feiern seinen Sieg wie den ihres Lieblingsfußballvereins.


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