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22.12.07 / Ein Artikel war der Anfang / Vor 60 Jahren entstand das internationale katholische Hilfswerk »Kirche in Not«

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 51-07 vom 22. Dezember 2007

Ein Artikel war der Anfang
Vor 60 Jahren entstand das internationale katholische Hilfswerk »Kirche in Not«
von Manfred Müller

Rund 190000 D-Mark Bargeld, 40 Tonnen Liebesgaben, vier Autos, 47 Motorräder, zwölf Pfund Gold- und Silberschmuck sowie 13 Kilogramm alte Silbermünzen. Dieses Ergebnis erzielte Pater Werenfried van Straaten aus der flämischen Abtei Tongerloo 1954 bei seiner Predigtaktion in den katholischen Kirchen der Ruhrmetropole Essen. Sieben Jahre zuvor, Weihnachten 1947, hatte Pater Werenfried in der Zeitschrift seines Klosters einen Artikel veröffentlicht, mit dem er, ohne das damals zu erahnen, der Begründer und Propagandist eines großen Hilfswerks wurde. Dieses kam in den Anfangsjahren vor allem deutschen Ausgebombten, Flüchtlingen und Heimatvertriebenen zugute.

Der am 13. Januar 1913 im niederländischen Mijdrecht geborene Geistliche hatte sich von der entsetzlichen Misere, in der die Menschen in dem niedergeworfenen und zerstörten Deutschland damals leben mußten, anrühren lassen: „Nach meiner ersten persönlichen Begegnung mit der Not des geschlagenen Deutschland kam ich zutiefst erschüttert zurück in die Abtei …“ Der Artikel und das persönliche Engagement des Paters lösten eine Welle der Hilfsbereitschaft aus. Werenfried sprach in Kirchen, bei Kaffeetafeln katholischer Vereinigungen, auf Marktplätzen und sammelte vor allem Speck und Geld. Eine rundlich-derbe flämische Bäuerin verpaßte ihm bei einer der Marktplatz-Predigten den Spitznamen „Speckpater“, ein Reporter hörte und veröffentlichte es, und unter diesem Namen wurde Werenfried überaus bekannt.

Der „Speckpater“ wollte aber nicht nur den entsetzlichen Hunger in Deutschland lindern, sondern ebenso energisch der seelischen Not der Deutschen, insbesondere der Heimatvertriebenen, begegnen. Viele hunderttausend heimatvertriebene deutsche Katholiken hatte es in die Diaspora verschlagen, wo es für sie weder gut erreichbare Kirchen noch eine geregelte Seelsorge gab. Zwar bemühten sich die mit ihnen vertriebenen Kapläne und Pfarrer, ihre Schäflein aufzufinden und zu sammeln. Aber in der Regel war dies nur als „Rucksackpriester“ möglich, der zu Fuß, mit dem Fahrrad und in einigen wenigen Fällen mit dem Motorrad seine Gemeinde aufsuchte.

Ende 1950 wurde Pater Werenfried durch eine Meldung aufgeschreckt: Innerhalb einer Woche starben in Westdeutschland drei „Rucksackpriester“. Der erste, 39 Jahre alt, brauste an einem Sonntagabend, nachdem er tagsüber sechs heilige Messen gelesen hatte, völlig erschöpft mit seinem Motorrad gegen einen Baum. Der zweite, 41 Jahre alt, brach mit einem Herzinfarkt zusammen. Er hatte 32 Dörfer zu Fuß zu betreuen. Den dritten, 47 Jahre alt, warf der Tod unter ähnlichen Umständen nieder. Van Straaten baute nun die von ihm initiierte Ostpriesterhilfe über den ursprünglichen Rahmen hinaus aus. Nun predigte und sammelte der Pater vor allem, um Volkswagen für „Rucksackpriester“ bereitstellen zu können. Innerhalb der ersten zwei Monate hatte er bereits 120 Wagen zusammen.

Die Ostpriesterhilfe weitete der agile Pater über den Eisernen Vorhang nach Ostmittel- und Osteuropa aus. Zentrum dieser Aktivitäten war Königstein im Taunus. Entlang der Zonengrenze entstanden zwölf geistliche Stützpunkte, sogenannte Festungen für Gott, die bereits im Hinblick auf eine Neuevangelisierung gen Osten nach einem Zusammenbruch des kommunistischen Systems konzipiert waren.

1953 setzte Pater Werenfried noch einen anderen wichtigen Akzent bei seinen breitgefächerten Hilfsaktionen. Er wurde zum Gründer des Internationalen Bauordens (mit Baugesellen auf Zeit). Damals lebten in der Bundesrepublik Deutschland noch immer viele Ausgebombte, Flüchtlinge und Heimatvertriebene zusammengepfercht in viel zu kleinen Wohnungen und Notquartieren. Der freiwillige Arbeitseinsatz junger Menschen sollte ein wenig dazu beitragen, für solche Menschen familiengerechten Wohnraum zu schaffen. Die Baugesellen sollten bei allen Arbeiten eingesetzt werden, die keine speziellen Fachkenntnisse erforderten, und von Fachleuten angeleitet wurden. Bei ihren mehrwöchigen Einsätzen lebten die Baugesellen in Gemeinschaftsunterkünften und pflegten auch gemeinsam das religiöse Leben.

Der erste Einsatz von Baugesellen fand vom 6. bis 18. April 1953 in Nienberge bei Münster / Westfalen. Die Freiwilligen kamen vom Jesuitengymnasium Gent. Prof. Dr. Jan Kerkhofs SJ, damals Lehrer dieser jungen Männer, erinnerte 1985 an die Anfänge dieses europäischen Friedenswerkes: „Wir wollten Deutschland zeigen, daß wir als Christen vergeben konnten und mitwirken wollten beim Bau von Häusern und Kirchen für unsere früheren Feinde.“

Als Pater Werenfried am 31. Januar 2003 in Bad Soden starb, hinterließ er ein weltweites Netzwerk tätiger Nächstenliebe und Versöhnung. „Wir verlieren in ihm den wohl größten Bettler der Kirchengeschichte aller Zeiten“, hieß es in der Todesanzeige seines Hilfswerkes „Kirche in Not“. Viele, die ihn einst predigen hörten, werden ihn nicht vergessen: den Prämonstrantensermönch, der mit einem großen Schlapphut persönlich sammelte, den Mann mit dem sprechenden Ordensnamen Werenfried (Kämpfer für den Frieden).

Etwas Weihnachtliches jenseits von Kitsch und Sentimentalität haftete dem großen Liebeswerk seit den Anfängen an, denn der Pater sah seine Hauptaufgabe darin, „allen zu helfen, die das Schicksal des verfolgten Christuskindes teilen“.

Pater Werenfried in seinem Element: Beim Beschenken von Vertriebenenkindern Foto: KIN


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