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05.01.08 / In den Mühlen der Geheimdienste / Selbstmord eines aufgedeckten Stasi-Spitzels: Die tödlichen Schatten einer düsteren Vergangenheit

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 01-08 vom 05. Januar 2008

In den Mühlen der Geheimdienste
Selbstmord eines aufgedeckten Stasi-Spitzels: Die tödlichen Schatten einer düsteren Vergangenheit
von Markus Schleusener

Am 16. Dezember machte Karlheinz Schädlich Schluß. Der 76jährige setzte sich auf eine Parkbank im Bötzowviertel (Berlin-Friedrichshain), unweit von seiner Wohnung in der Danziger Straße. Dann setzte er sich eine Pistole an den Kopf, drückte ab.

Karlheinz Schädlich war besser bekannt als IM Schäfer. 1975 erklärte er sich zur Zusammenarbeit mit dem MfS bereit. Er tat dies wohl nicht ganz freiwillig. Die Geheimen setzten den Historiker unter Druck, weil er zuvor Kontakt zu minderjährigen Mädchen gesucht habe, so die Berliner Boulevardzeitung „BZ“.

Seine Vorgesetzten attestierten ihm eine „schlechte“ Einstellung zur Arbeit und eine „unklare politische Haltung“, ein schwerwiegendes Fragezeichen im totalitären SED-Staat. Dabei hat Karlheinz Schädlich so ziemlich jeden bespitzelt, mit dem er Kontakt hatte. Der Prominenteste soll Günter Grass gewesen sein. Vor allem aber seinen eigenen Bruder Hans Joachim Schädlich hat er überwacht, was zum Bruch zwischen den beiden führte.

1992 flog alles auf, als die Stasiakten zugänglich wurden. „Karlheinz rief mich an und sagte, daß er sich ja jetzt umbringen könne“, erinnert sich ein ehemaliger Freund. Auch dieser Freund wandte sich bald von Schädlich ab, als er erfuhr, daß auch er zu den Bespitzelten gehört hatte.

So endete ein Leben, weil das DDR-System jemanden gegen seinen Willen zum Täter gemacht hat. Es ist Stoff für eine große Tragödie.

Ein anderer Fall, den das „Hamburger Abendblatt“ ausführlich geschildert hat, böte dagegen die Grundlage für einen Ian-Flemming-Thriller („James Bond“). Es ist die Geschichte von Bernd Ohnesorge. Der Hamburger Tierpräparator beantragte 1966 die DDR-Staatsbürgerschaft, weil seine Eltern in wirtschaftlichen Schwierigkeiten steckten und er für sich im Westen keine Perspektive sah.

Für den Osten waren solche Übersiedler Gold wert. Nach kurzer Zeit wurde er bereits von MfS-Vertretern angesprochen: Wollen Sie nicht für uns arbeiten? Damit er Informationen über die „amerikanischen Imperialisten“ besorge, schleusten ihn die Führungsoffiziere gleich wieder in den Westen zurück.

Ohnesorge bekam einen Job auf dem Flughafen Tempelhof, der zum amerikanischen Sektor gehörte. Dort saßen Spezialeinheiten und Geheimdienstler, die Ohnesorge ausspähen sollte, was er aber nicht tat. Er dachte sich dafür Geschichten aus, mit denen er seine Vorgesetzten fütterte. Die Staatssicherheit aber war nicht blöd. Sie durchschaute das Ganze und strich ihn von der Gehaltsliste.

Der Ex-Agent versuchte an sein altes Leben anzuknüpfen, zog 1969 wieder zu den Eltern, die in Niedersachsen wohnten. Er heiratete und wurde Vater. Aber sein Leben bekam er trotzdem nicht in den Griff. Die Ehe scheiterte. Beruflich hat es auch nicht richtig geklappt. Ohnesorge lebte von Sozialhilfe.

Der Tierpräparator aber gab nicht auf und benutzte wieder seine Phantasie, diesmal kamen seine Geschichten sogar an. Er bemühte sich um einen Job als Gerichtsmediziner und gab sich sogar zeitweise als „Stabsarzt“ aus.

Getragen von einer Mischung aus Ehrgeiz und Erfindungsreichtum wandte er sich dann auch noch an die CIA. Unter Ronald Reagan wollte der US-Geheimdienst seine Aktivitäten ausweiten. Da kam Ohnesorge den Amerikanern gerade recht. Sie flogen ihn in die USA.

Ohnesorge wurde auf eine kommunistische Bulgarin angesetzt, eine Pathologin, durch die die CIA Kontakt zu einem hochrangigen Militär aufbauen wollte. Die Frau verliebte sich tatsächlich in den Mann, der ihr wie zufällig bei einer Tagung einer Pharmafirma über den Weg lief.

Zweimal reiste Ohnesorge nach Bulgarien, um sie zu treffen. Beim zweiten Mal 1984 wurden er und seine Freundin verhaftet. Tagelang nahmen Geheimdienstler ihn durch die Mangel. Er erfand neue Geschichten – wie die, daß er RAF-Mitglied sei.

Gegen den Westdeutschen und seine bulgarische Freundin wurden 1985 hohe Haftstrafen erlassen. Er kam nach Stara Zagora, ein berüchtigtes Gefängnis. Ohnesorge hoffte, daß ihn die Amerikaner oder die Bundesrepublik rausholen würden – vergeblich. Die deutschen Behörden setzten sich nicht besonders für ihn ein, seine Briefe kamen sowieso nie an. Und die USA interessierten sich erst recht nicht mehr für ihren früheren Agenten.

Am 15. Dezember 1987 zündete sich Ohnesorge im Bulgaren-Knast selbst an, nachdem er sich mit Reinigungsmittel übergossen hatte. Fast genau 20 Jahre bevor Karlheinz Schädlich seinem Leben auf einer Parkbank mitten in Berlin ein Ende setzte.

Die beiden Fälle zeigen, daß die jüngste deutsche Vergangenheit noch eine Fülle an unaufbereitetem Material birgt.


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