25.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
05.01.08 / Großer Zappelphilipp / Medikamente und Psychotherapie im Kampf gegen ADHS

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 01-08 vom 05. Januar 2008

Großer Zappelphilipp
Medikamente und Psychotherapie im Kampf gegen ADHS
von Rosemarie Kappler

Das „Aufmerksamkeits-Defizit-/ Hyperaktivitäts-Syndrom“ (ADHS) ist weder „Krankheitserfindung“ noch „Modekrankheit“ und wächst sich auch nicht immer mit der Pubertät aus, wie vielfach geglaubt. Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) geht davon aus, daß bei etwa der Hälfte aller Betroffenen ADHS auch im Erwachsenenalter weiter bestehen bleibt. „Etwa vier Prozent der Erwachsenen in Deutschland haben ADHS“, schätzt Prof. Wolfgang Retz von der Universität des Saarlandes und ergänzt: „Viele der Betroffenen haben mit mehr oder weniger ausgeprägten Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen zu kämpfen.“

Aktuelle Forschungsergebnisse an der Berliner Charité stützen die Beobachtung, daß es sich bei ADHS nicht um eine reine Verhaltensstörung – wie lange angenommen – handelt, sondern um eine Fehlfunktion im Gehirn. Dr. Michael Colla und seine Mitarbeiter vom Centrum für ADHS im Erwachsenenalter am Campus Benjamin Franklin haben dazu 15 erwachsene Patienten mit der Diagnose ADHS mit zehn gesunden Personen verglichen. Das Ergebnis: Die ADHS-Patienten benötigen eine deutlich längere Reaktionszeit für Aufgaben, bei denen sie sich über längere Zeit auf eine Sache konzentrieren und irrelevante Aspekte ausklammern müssen. Die Ursache dafür liegt nach Einschätzung der Berliner Forscher offenbar im Gehirn. Dort weisen die Patienten in dem Gebiet, das für die Steuerung von Aufmerksamkeit zuständig ist, eine erhöhte Konzentration des Markerstoffes Cholin auf. Cholin gehört zur Familie der B-Vitamine und unterstützt das Gedächtnis und die Lernfähigkeiten.

Innerhalb des ADHS-Kompetenznetzwerkes wollen Forscher nun erstmals Medikamente mit einer Verhaltenstherapie kombinieren. „Bisher hat es derartige Studien in Europa nicht gegeben“, sagt Michael Colla. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert das Projekt über drei Jahre mit einer Summe von 650000 Euro. Anzumerken ist dabei, daß nicht jeder Betroffene behandlungsbedürftig ist. „Vielfach ,arrangieren‘ sich Erwachsene mit den Symptomen und gleichen diese durch entsprechende Verhaltensänderungen aus“, sagt Wolfgang Retz.

Dort aber, wo sich zu Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität weitere psychiatrische Krankheiten wie Angststörungen, Depressionen, Zwänge, Süchte oder Schizophrenien gesellen, werden Leidensdruck und soziale Probleme oft so groß, daß eine Behandlung unerläßlich wird. Für Betroffene typisch ist eine erhöhte „Unfallbereitschaft“ und gesteigerter Drogenkonsum mit all seinen Folgen.

Was die Medikamentenbehandlung im Erwachsenenalter betrifft gibt es derzeit zwei Substanzen, deren Wirksamkeit durch Studien belegt ist: Atomoxetin und Methylphenidat. Letzteres ist unter seinem Handelsnamen Ritalin bekannt. Trotz seiner guten Wirkung ist das Medikament bislang aber nur für die Behandlung von Kindern und Jugendlichen zugelassen. Ausnahme: Wer die Arznei zum Beispiel im 18. Lebensjahr verordnet bekommt, wird sie auch noch als junger Erwachsener verschrieben bekommen. Wird ADHS erst im Erwachsenenalter diagnostiziert steht eben nur Atomoxetin zur Verfügung.

Die Behandlung von Erwachsenen-ADHS ruht auf mehreren Säulen. Zunächst steht die Beseitigung begleitender psychischer Störungen und Krankheitsbilder im Vordergrund. „Die Stärkung von Selbstkompetenz und Selbstmanagement, das Geraderücken eines schiefen Selbstbildes und die Aufmerksamkeitslenkung auf das Hier und Jetzt durch psychologische Begleitung sowie medikamentöse Unterstützung und Stärkung durch Angehörige und Betroffene sind die weiteren wesentlichen Bausteine im modernen Behandlungskonzept“, erklärt Roberto D’Amelio, Psychologe an der Universität des Saarlandes.


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren