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12.01.08 / 2008 wird zum Streikjahr / Gewerkschaften wollen Teilhabe am Aufschwung einfordern

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 02-08 vom 12. Januar 2008

2008 wird zum Streikjahr
Gewerkschaften wollen Teilhabe am Aufschwung einfordern
von Ansgar Lange

Zu Beginn eines neuen Jahres ist immer Zeit für gute Vorsätze. Lohnzurückhaltung scheint jedoch nicht auf der Liste der guten Vorsätze der Gewerkschaften für das neue Jahr zu stehen. „2008 wird ein Jahr mit harten Tarifrunden“, stellte die Tageszeitung „Die Welt“ fest. Für tarifpolitischen Sprengstoff sorgen die Forderungen der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di und des Deutschen Beamtenbundes (dbb), der IG Metall und der Chemiegewerkschaft IG BCE.

Verdi und Beamtenbund fordern für den öffentlichen Dienst zum Beispiel eine Einkommenssteigerung um acht Prozent, mindestens aber 200 Euro mehr im Monat. Auch die IG Metall fordert für die Stahlbranche ein Plus von acht Prozent. Hochgerechnet auf 90000 Stahlarbeiter kommt eine erkleckliche Summe zusammen. „Für die Wirtschaft braut sich damit ein gefährliches Gemisch zusammen: Denn der Aufschwung hat den Zenit bereits überschritten, das Wachstum schwächt sich wieder ab“, kommentiert „Welt“-Redakteur Stefan von Borstel.

Die Arbeitnehmervertreter sind der Ansicht, daß sie zu Recht mehr Teilhabe am bisherigen Aufschwung fordern. Schaut man auf die Fakten, dann liegen die Gewerkschafter so falsch nicht: Die Unternehmen machen satte Gewinne, die Wirtschaft brummt (noch), die Zahl der Arbeitslosen nimmt ab und auch die Steuereinnahmen sprudeln. Doch die hohe Inflation frißt so viel von den Lohnzuwächsen auf, daß die Arbeitnehmer keinen Kaufkraftgewinn haben. Aber bei allem Verständnis für die Ansprüche der Arbeitnehmer warnen Experten vor zu satten Lohnerhöhungen. Denn die kämen jetzt, wo die Wirtschaft sich nicht so stark wie erwartet weiter entwickeln wird, zur Unzeit. Außerdem wenden sich die Gewerkschaften an die falschen Adressaten: Nicht die Unternehmen seien schuld daran, daß viele Bürger nicht am Aufschwung teilhaben. Der Staat trage mit einer verfehlten Wirtschaft- und Finanzpolitik die Hauptverantwortung dafür, daß die Leute nicht mehr Netto haben.

Die politische Wetterlage hat sich merklich gewandelt. Diskutiert wird weniger über Freiheit und Eigenverantwortung. Die Leute haben genug vom Reform-Gerede. Was die Leute umtreibt, sind die maßlosen Gehälter mancher Manager oder die scham- und instinktlosen Diätenerhöhungen der Politiker. Die Deutschen glauben mehrheitlich nicht mehr daran, daß es in unserer sozialen Marktwirtschaft noch gerecht zugeht.

Das Jahr 2007 war ein Streik-Rekordjahr. Deutschland hat im vergangenen Jahr nämlich die meisten Arbeitsausfälle durch Streiks seit 14 Jahren erlebt. Der Tarifexperte Hagen Lesch, der für das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft in Köln (IW Köln) arbeitet, rechnet damit, daß die Dauer der Arbeitskämpfe im neuen Jahr geringer ausfallen wird.

Laut Lesch sind im Jahr 2007 rund 580000 Arbeitstage ausgefallen. Dabei entfielen „nur“ acht Prozent auf den Ausstand der in der GDL organisierten Lokführer, während der fünfwöchige Arbeitskampf bei der Deutschen Telekom am stärksten zu Buche schlug. Wir erinnern uns: Im Mai und Juni wurde hitzig über die Auslagerung von 50000 Beschäftigten des Bonner Unternehmens, Gehaltskürzungen sowie Mehrarbeit gestritten. Im Gespräch mit der „Frankfurter Rundschau“ wies der IW-Experte darauf hin, im gerade angebrochenen Jahr sei mit relativ kurzen Arbeitskämpfen zu rechnen, da Lohnkonflikte meist relativ schnell bereinigt würden. Auch bei der Bahn dürfte es nur drei oder vier Tage Streik geben, weil die Lokführergewerkschaft die Verhältnismäßigkeit wahren müsse. Andernfalls könnten die Gerichte erneut Streikverbote aussprechen.

Doch man darf nicht unterschätzen, daß die Gewerkschaften unter einer enormen Erwartungshaltung ihrer (schwindenden) Mitgliederbasis stehen. Verdi-Chef Frank Bsirske goß denn mit Blick auf die am 10. Januar in Potsdam startende Tarifrunde schon ordentlich Öl ins Feuer. Die letzte lineare Einkommenserhöhung im öffentlichen Dienst habe es 2004 gegeben. Danach hätten die Beschäftigten reale Einkommensverluste hinnehmen müssen. Und auch der IG-Metall-Vorsitzende Berthold Huber will in der Tarifrunde 2008 mindestens einen Ausgleich für die Inflation, die im alten Jahr auf 2,2 Prozent anstieg – den höchsten Stand seit 1994. Nach der reinen Lehre hat Bundesbank-Präsident Axel Weber wahrscheinlich recht, wenn er davor warnt, zu hohe Lohnabschlüsse würden die Inflation weiter ankurbeln. Daß ein Müllmann, der ein Einstiegsgehalt von 1600 Euro brutto hat, täglich über 20 Kilometer läuft und dabei schwere Tonnen schleppt, dies auch so sieht, erscheint fraglich. Daher stehen die 80 Prozent der Müllwerker, die bei Ver.di organisiert sind, auch voll hinter der Forderung nach acht Prozent mehr Gehalt im Monat.

Foto: Ungerechte Verteilung: Gewinne nicht nur für Manager und Politiker

 

Zeitzeugen

Jakob Kaiser – Bis in die Weimarer Zeit kannte Deutschland nur ideologisch zerstrittene „Richtungsgewerkschaften“, vor allem sozialistische und christliche. Der spätere stellvertretende CDU-Chef Jakob Kaiser (1888–1961) war einer der Wegbereiter der – formell – überparteilichen „Einheitsgewerkschaft“. Nach dem Krieg avancierte Kaiser zu einem der Führer des linken CDU-Flügels und zum scharfen Kritiker Konrad Adenauers.

Heinz Kluncker – Der gelernte Kaufmann Kluncker (1925–2005) war von 1964 bis 1982 Vorsitzender der Gewerkschaft ÖTV (heute Ver.di). Kluncker setzte die 40-Stunden-Woche und das 13. Monatsgehalt für den öffentlichen Dienst durch. Er galt lange als „Schrecken der Politik“. Als erster knüpfte er schon 1964 offizielle Kontakte zu den Marionettengewerkschaften des Ostblocks, später aber auch zur oppositionellen polnischen „Solidarität“.

Klaus Zwickel – Seinen ersten großen Auftritt hatte der spätere IG-Metall-Chef (1993–2003) schon 1984 als Leiter der IGM-Verwaltungsstelle Stuttgart. Vergeblich versuchte er damals in seinem Tarifbezirk als erstem die 35-Stunden-Woche durchzusetzen. Im Zusammenhang mit dem Mannesmann-Skandal wurde gegen den 1939 geborenen Zwickel ab 2001 wegen Beihilfe zur Untreue ermittelt. Das Verfahren wurde gegen eine Zahlung von 60000 Euro 2004 eingestellt.

Franz Steinkühler – Der 1937 geborene IG-Metall-Chef (1986–1993) erkämpfte 1990 die gestaffelte Einführung der 35-Stunden-Woche. Steinkühler soll seinen Aufsichtsratssitz bei der Daimler-Benz AG für Aktien-Insidergeschäfte genutzt haben und trat 1993 zurück.

Manfred Schell – Als Chef der Lokführergewerkschaft GDL (seit 1989) ficht der gelernte Heizer seit Mai 2007 einen harten Tarifstreit mit der Deutschen Bahn AG aus. Der 1943 geborene Schell ist CDU-Mitglied und saß 1993 / 1994 kurz für die Union im Bundestag. Im Jahr 2002 hat die GDL die Tarifgemeinschaft Bahn verlassen. Nun fordert die 1867 gegründete, damit älteste Gewerkschaft Deutschlands ihren eigenen Tarifvertrag.


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