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12.01.08 / Nur ein reinigendes Gewitter? / Unruhen in Kenia haben einen vom Wirtschaftswachstum überdeckten Mißstand offengelegt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 02-08 vom 12. Januar 2008

Nur ein reinigendes Gewitter?
Unruhen in Kenia haben einen vom Wirtschaftswachstum überdeckten Mißstand offengelegt
von Rebecca Bellano

Es scheint tatsächlich wieder Ruhe einzukehren in Kenia – jedenfalls auf der politischen Ebene. Eine Alternative zur Versöhnung zwischen dem durch sich zum Sieger der Wahl vom 27. Dezember ernannten Präsidenten Mwai Kibaki und dem Oppositionsführer Raila Odinga hat Afrika auch gar nicht, denn sollte Kenia im Chaos enden, versinkt ganz Ostafrika. Der Grund hierfür ist die Tatsache, daß Kenia der wirtschaftliche Motor der Region ist. Über Kenia läuft die Wirtschaft Ostafrikas zusammen, gerät Kenia ins Wanken, stürzt der Rest mit.

Doch was ist eigentlich in dem 35 Millionen Einwohner zählendem Land geschehen, das noch bis vor kurzem als Musterknabe Afrikas galt? Differenzierte Berichte über Afrika sind hierzulande rar gesät. Entweder es wird nur über das Elend von Bürgerkrieg über Hunger bis zu Aids berichtet oder es gibt einseitige Jubelberichte. Nicht nur das deutsche „Manager-Magazin“ lobt noch in seiner aktuellen Ausgabe die wirtschaftlichen Entwicklungen in Kenia, ohne auch nur anzudeuten, daß es in dem Land Spannungen gibt. Deutsche Reiseveranstalter wie Neckermann und Tui priesen selbst noch während der Unruhen, bei denen offiziell um die 300 Menschen ums Leben kamen und 250000 Kenianer auf der Flucht waren, Reisen in das derzeit bei deutschen Touristen immer beliebter werdende Land an. „Vor Ort ist die Lage in den Feriengebieten absolut ruhig“, teilte die Thomas Cook AG ihren Kunden mit, während in Kenia die Anhänger Kibakis und Odingas um die Macht kämpften. Zwar hatte das Auswärtige Amt der Bundesrepublik Deutschland von „nicht notwendigen Reisen nach Kenia“ abgeraten, aber das Amt warnt ja auch vor Raubüberfällen und rät, „nachts generell, bestimmte Gegenden des Stadtinnern Nairobis möglichst auch bei Tage“ zu meiden. Der kleinere Reiseanbieter Studiosos hingegen sagte alle Kenia-Reisen bis 6. Februar ab. Die Spannungen im Land seien durchaus weiter vorhanden, die Stimmung sei aufgeputscht. Denn auch wenn die politischen Führer auf offizieller Ebene gesprächsbereit sind, so sind ihre Anhänger durchaus noch auf dem Kriegspfad gegen die verfeindeten Stämme.

Verfeindete Stämme? Kibaki ist ein Kikuya, Odinga hingegen ein Luo. Rund 40 Volksgruppen leben auf dem Gebiet Kenias. Die größten drei sind die Kikuyu (21 Prozent), die Luhya (14 Prozent) und die Luo (13 Prozent). Und so vermeldeten die Nachrichten am 7. Januar, daß, während sich die politischen Spitzen auf Verhandlungen einigten, im westlichen Rift Valley, einer Hochburg Odingas, wieder Hunderte Kikuyu flüchteten. Die Menschen wurden von Soldaten begleitet, die Straßen waren mit Leichen und Autowracks übersät. Zeitgleich ertränkten Kikuyu rund 30 flüchtende Luo in einem Grenzfluß zu Uganda.

„Demokratie kann nicht funktionieren, solange es keine gesamtgesellschaftlichen Parteien gibt“, lautet die scharfe Analyse des Afrika-Kenners Rupert Neudeck gegenüber der PAZ. Die ethnische und soziale Gemengelage Afrikas sei nie geklärt worden, und in den riesigen Slums der kenianischen Großstädte Nairobi und Mombasa gebe es ein riesiges Potential für Aufwiegelungen. Dies habe Odinga genutzt. Allerdings haben die Menschen vor Ort auch Gründe, gegen die Herrschaft der Kikuyu aufzubegehren. So ist es ein offenes Geheimnis, daß Kibaki „seine“ Leute in die Schlüsselpositionen der Wirtschaft gehoben hat. Kenia gilt inzwischen als das industriell am besten entwickelte Land Ostafrikas. Die Industrie verarbeitet vor allem Agrarprodukte. Der Tourismus ist der zweitgrößte Devisenbringer. Und so profitieren vor allem die Kikuyu von dem Wirtschaftswachstum, das 2007 sieben Prozent ausgemacht hat. Auch Transparency International hat Kibakis Arbeitsweise erkannt und weist Kenia mit Platz 144 bei 159 Ländern als einen der korruptesten Staaten der Welt aus.

Die Unzufriedenheit der meisten Kenianer hat dazu geführt, daß Odingas Partei bei der parallel zur Präsidentenwahl laufenden Parlamentswahl 95 von 122 Mandaten erhielt. Etwa die Hälfte von Kibakis Ministern verlor ihren Sitz im Parlament. Damit ist der selbsternannte Präsident Kibaki gezwungen, mit der Opposition zusammenzuarbeiten. Offenbar ist er dazu bereit.

Und so könnte Kenia tatsächlich zum Musterknaben der Region werden und erstmals das ungeschriebene Gesetz des Kontinents „Ein Stamm hat immer die Macht“ – mit Hilfe der Demokratie – unterlaufen werden.

Foto: Frage der Stammeszugehörigkeit: Hunderttausende Kenianer flohen vor ihren Nachbarn.


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