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19.01.08 / Von Anfang an eine Mißgeburt / Gesundheitsfonds: Teurer Weg in die Staatsmedizin?

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 03-08 vom 19. Januar 2008

Von Anfang an eine Mißgeburt
Gesundheitsfonds: Teurer Weg in die Staatsmedizin?
von Ansgar Lange

Schon im Mutterleib zeigt der Gesundheitsfonds Zeichen von Schwäche und Krankheit. Der Geburtstermin wurde vom Gesetzgeber für den 1. Januar 2009 ausgerechnet; doch immer mehr Experten zweifeln daran, daß das unerwünschte Kind überhaupt noch zur Welt gebracht werden wird. Die sonst so zaudernd-zögerliche Bundeskanzlerin hatte extra ein Machtwort gesprochen. Mit einer Art Merkelschem „Basta“ soll sie in einer Kabinettssitzung „unmißverständlich“ klar gemacht haben, daß sie in dieser Frage voll hinter dem von Ulla Schmidt geführten Gesundheitsministerium stehe.

Worum geht es überhaupt? Die gesamte Gesundheitsreform ist außerordentlich kompliziert. Das gilt auch für ihr Kernstück, den Gesundheitsfonds. Selbst wenn unsere Politiker  noch der einfachen Sprache des Volkes mächtig wären, was einige offensichtlich nicht sind, wäre es sehr schwierig, das Ganze zu erklären. Bereits am 2. Februar 2007 hat der Deutsche Bundestag das „Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung“ beschlossen, dem 14 Tage später auch der Bundesrat zustimmte. Man kann den Gesundheitsfonds auch als eine Art Symbol der verkorksten Konsenspolitik der Großen Koalition bezeichnen, da er das Unvereinbare vereinbaren soll. Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesfinanzministerium sah in ihm nämlich einen Kompromiß zwischen dem Konzept der Bürgerversicherung (SPD) und der Gesundheitsprämie oder „Kopfpauschale“ (Union).

Nach den bisherigen Plänen wird der Bund den Beitragssatz für alle Krankenkassen zum 1. November 2008 erstmals einheitlich festlegen. Kommt eine Kasse mit dem ihr zugewiesenen Geld aus dem Fonds ab 2009 nicht aus, kann sie Zusatzbeiträge von ihren Mitgliedern erheben; andernfalls kann sie Bonuszahlungen ausschütten. Zurzeit liegt der durchschnittliche Kassensatz bei 14,8 Prozent. Könnte der Gesundheitsfonds die Versicherten teuer zu stehen kommen? Auch wenn die Politiker abwiegeln, weil sie andernfalls den Zorn des Volkes fürchten, schlagen bereits einige Kassen Alarm.

„Ich halte einen bundesweit einheitlichen Beitragssatz von 15,5 Prozent für nachvollziehbar, aber konkrete Prognosen sind erst im Herbst möglich“, sagte zum Beispiel Barmer-Chef Johannes Vöcking. Die Kaufmännische Krankenkasse (KKH) schloß sich dieser Prognose an. Experten gehen davon aus, daß insbesondere Mitglieder von Betriebskrankenkassen in Zukunft stärker belastet werden könnten, da sie momentan meist sehr niedrige Beiträge zahlten. Die Sätze der 210 Kassen variieren zwischen 12,2 und 16,7 Prozent. Auch eine Studie für die arbeitgebernahe Initiative „Neue Soziale Marktwirtschaft“ war zu dem Ergebnis gekommen, daß der neue Beitragssatz bei 15,5 Prozent liegen müsse, falls der Gesundheitsfonds eingeführt wird. Auf Krankenversicherte kämen damit höhere Kosten von bis zu 700 Euro pro Jahr zu, so das Magazin „Focus“.

„Die Botschaft der Gesundheitsreform heißt, daß alle Kassen mit gleich langen Schwertern kämpfen“, sagt der Gesundheitsexperte Michael Sander von dem Beratungsunternehmen Terra Consulting Partners in Lindau am Bodensee. Allerdings sei mit dieser Botschaft auch die „Holland-Gefahr“ verbunden. „In unserem Nachbarland hat sich gezeigt, daß die Versicherten nach Einführung der Gesundheitsreform mit einem Fonds viel häufiger die Kasse und die Tarife gewechselt haben als zuvor. Auch wenn die Reformen in den Niederlanden und Deutschland nicht identisch sind, droht doch bei vielen gesetzlichen Krankenversicherungen, die einen Zusatzbeitrag erheben müssen, wenn sie mit ihrem Geld nicht ausgekommen sind, die sehr reale Gefahr eines Massenexodus.“ Die Politik will die Beitragssätze nur alle fünf Jahre ändern und dem Finanzierungsbedarf der Kassen anpassen.

Da seriöse Vorhersagen aufgrund der konjunkturellen und demographischen Entwicklung und anderer Faktoren nicht möglich sind, steckt die Politik in der „Beitrags-Falle“, kommentierte die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“: „Steigt der Durchschnittsbeitrag, klagen Wirtschaft und Beschäftigte; reicht die Zuteilung nicht allen Kassen, werden sie die Regierung für Extrabeiträge verantwortlich machen, die sie von ihren Mitgliedern verlangen. So viel Einmischung der Politik könnte sich rächen im Wahljahr.“ Wenn DGB-Chef Michael Sommer von einer „bürokratischen Mißgeburt“ und der Chef der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der Union, Josef Schlarmann, von einem „Weg in die Staatsmedizin“ spricht, dann haben die Gesundheitsexperten erheblichen Erklärungsbedarf. Es verfestigt sich der Eindruck, die Politik wolle eine „Reform“ einfach durchziehen, weil sie sonst ihr Gesicht verlieren und der Zusammenhalt der zerstrittenen Koalition noch schlechter würde.

Der Bürger, so viel Vorhersage darf sein, wird den Schaden davontragen. Bleiben Sie also gesund! Anders wär’s nämlich schlecht.

Foto: Unverständnis bei der Bevölkerung: Schon der Sinn der Praxisgebühr war umstritten.


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