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19.01.08 / Ein hart umkämpfter Markt / 20,9 Milliarden Euro für die Kinder- und Jugendhilfe

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 03-08 vom 19. Januar 2008

Ein hart umkämpfter Markt
20,9 Milliarden Euro für die Kinder- und Jugendhilfe
von Mariano Albrecht

Die Diskussion, die der hessische Ministerpräsident Koch über den Umgang mit kriminellen Kindern und Jugendlichen entfacht hat, wirft die Fragen auf: Wer kümmert sich um diese scheinbar nicht in den Griff zu bekommende Klientel? Und warum beharren so viele Sozialarbeiter auf der kostspieligen, ambulanten Betreuung auch hartnäckigster Fälle? Wer verdient an laschen Jugendstrafen und Sozialarbeit?

Der Ruf Kochs, auch unter 14jährige nach dem Jugendstrafrecht zu verurteilen, läßt bei denen, die in der Betreuung der delinquenten Kids tätig sind, die Alarmglocken tönen. Die ambulante Betreuung liegt häufig in der Hand sogenannter Freier Träger, gemeinnütziger Vereine oder Organisationen, die von Hausaufgabenhilfe bis Antiaggressionstraining ein breites Spektrum in der Jugendhilfe abdecken. Die Forderung nach härteren Strafen wie etwa einer geschlossenen Unterbringung in Erziehungsheimen oder Jugendhaftanstalten stößt auf deren Ablehnung, und das hat Gründe.

Jugendhilfeleistungen haben ihren Preis, und der hat es in sich. Zuständig für die Finanzierung sind die öffentlichen Träger der Jugendhilfe, also die Jugendämter der Städte und Kommunen, sprich der Steuerzahler. Bieten Jugendämter selbst Leistungen der Erziehungshilfe an, gilt für die Finanzierung das öffentliche Haushaltsrecht. Doch die Jugendämter haben sich aus der Affäre gezogen.

Neben christlichen Organisationen wie der Diakonie tummeln sich unzählige Anbieter auf dem Markt. Seit den späten 80er und 90er Jahren ist die Zahl der „Freien“ explodiert. Pädagogen und Sozialarbeiter, die nicht im Staatsdienst unterkommen, arbeiten für die Freien Träger, die nicht selten im links-grünen Spektrum angesiedelt sind, oder sie gründen selbst gemeinnützige Vereine. Einige sind zu regelrechten gewinnorientierten Unternehmen mutiert. Verurteilte, in staatlichen Einrichtungen „eingesperrte“ Täter, gehen dem Erziehungsmarkt der Freien Träger verloren. 

Die Bundesrepublik gibt jährlich rund 20,9 Milliarden Euro für die Jugendhilfe aus. Genaue Angaben, wieviel dabei auf die Hilfen für Erziehung, zu denen auch die Betreuung von kriminellen Jugendlichen gehört, entfällt, sind von den Landesbehörden kaum zu bekommen. Der Hamburger Senat gibt für die Erziehungshilfe rund 170 Millionen Euro im Jahr aus, 1,4 Millionen kostet die geschlossene Unterbringung in der umstrittenen Einrichtung Feuerbergstraße, die ohnehin kaum ausgelastet ist.

Ganze zwei Einrichtungen für die Jugendarbeit mit straffällig gewordenen Jugendlichen wollte die Hamburger Justizbehörde benennen. Eine davon ist die gemeinnützige Gesellschaft „Sozialarbeit und Segeln“. Doch gesegelt wird dort seit Jahren nicht mehr. Die Gesellschaft betreibt mehrere Jugendcafés, betreute Unterkünfte und Beratungsstellen. Geschäftsführer Markus Orzoll konnte am Telefon keine detaillierte Auskunft über die Art der Maßnahmen geben, „das ist ein  ganz komplexer Bereich, das können sie alles im Sozialgesetzbuch VIII nachlesen, darüber gibt es genaue Leistungsbeschreibungen“. Wieviel die öffentliche Hand für die Maßnahmen des Vereins ausgibt, war nicht zu erfahren.

2500 Euro kostet ein 40stündiges Training bei der Berliner „Denkzeit Gesellschaft“. Der gemeinnützige Verein unter Leitung von Professor Jürgen Körner von der Freien Universität Berlin arbeitet nach der von Körner entwickelten „Denkzeit-Methode“ mit den aus hochbelasteten Familien stammenden jugendlichen Mehrfachtätern. In den Einzelseminaren werden den jungen Straftätern dann Konfliktbewältigung und soziale Kompetenz im Gespräch vermittelt. Der Senat hat die Mittel für „Denkzeit“ in den vergangenen Jahren aufgestockt. Aus den Einnahmen finanziert der Verein seine Forschungen an der Universität, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen für Akademiker und Querfinanzierung von Forschungsarbeit. Eine Studie über den Erfolg der Maßnahmen gibt es nur vom Verein selbst. Danach haben die Jugendlichen vor einer „Denkzeit“-Maßnahme zirka 3,4 Straftaten begangen, danach sollen es nur noch 0,6 Delikte sein.

Die Berliner Pfefferwerk GmbH hat sich aus einer gemeinnützigen Stiftung der Stadt gegründet und ist heute ein Unternehmen im Verbund der Pfefferwerk Aktiengesellschaft, einem Unternehmen, das im Bereich Kultur, Stadtteilentwicklung und Jugendhilfe tätig ist. Die Leistungen an jugendlichen Delinquenten werden per Vertrag mit den Jugendämtern und der Jugendgerichtshilfe abgerechnet. Feste Sätze gelten auch für die Vermittlung von zu gemeinnütziger Arbeit verurteilten Jugendlichen. Wenn Behörden geeignete Betriebe für die Ableistung von Sozialstunden fehlen, übernehmen Vereine den Vermittlerjob – gegen Bezahlung versteht sich. Greift eine Maßnahme nicht, obliegt es bei einem Rückfall in die Kriminalität erneut den Gerichten, die Jugendlichen an eine gemeinnützige Einrichtung zu vermitteln, anstatt die Gesellschaft vor weiteren Übergriffen durch die Wiederholungstäter zu schützen. Die finanziellen Mittel sind offensichtlich vorhanden.

Foto: Trainingscamp Lothar Kannenberg: Im Boxcamp werden bis zu 20 Jugendliche jeweils ein halbes Jahr betreut, oftmals als Alternative zu einer Jugendgefängnisstrafe.


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