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19.01.08 / Wenn es zum Himmel stinkt / Hintergründe zu der permanenten Müllkrise Neapels

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 03-08 vom 19. Januar 2008

Wenn es zum Himmel stinkt
Hintergründe zu der permanenten Müllkrise Neapels
von Sophia E. Gerber

Seit mehr als 200 Jahren versinkt Neapel im Müll. Schon Johann Wolfgang von Goethe schrieb in seiner „Italienischen Reise“: „Neapel, den 28. Mai 1787. Eine sehr große Anzahl von Menschen … beschäftigen sich, das Kehricht auf Eseln aus der Stadt zu bringen … Zwei große biegsame Körbe hängen auf dem Rücken eines Esels und werden nicht allein ganz voll gefüllt, sondern noch auf jeden mit besonderer Kunst ein Haufen aufgetürmt.“

Statt dem Duft von Zitronenbäumen und einer frischen Mittelmeerbrise schlägt einem ein widerlicher Gestank von vergammelten Lebensmittelresten entgegen. Auf den Straßen türmen sich die Abfallberge, um die tagsüber Schmeißfliegen schwirren und sich nachts die Ratten tummeln. Doch der Müll ist längst nicht mehr nur ein ästhetisches Problem. Grundwasser und Boden in und rund um Neapel sind verseucht. Selbst die nahe gelegenen Urlaubsinseln Capri, Ischia und Procida sind betroffen. Kaum eine italienische Stadt zählt so viele Lungen- und Leberkrebsfälle und Mißbildungen bei Neugeborenen. Davon will die Bürgermeisterin Rosa Russo Iervorlino, die mit der Situation völlig überfordert ist, allerdings nichts wissen. Als die US-Botschaft im vergangenen Juli ihren Bürgern aufgrund eventueller Epidemien und Gesundheitsrisiken abriet, nach Neapel zu reisen, fühlte sich die 70jährige Linksdemokratin zutiefst gekränkt und verlangte eine Entschuldigung.

Die Ursachen für die Müllkrise sind ein buntes Potpourri aus fehlendem Umweltbewußtsein und mangelndem Gemeinschaftssinn, politischer Handlungslähmung und organisiertem Verbrechen. Für die Neapolitaner sind Abfalltrennung und Recycling Fremdwörter. Obwohl nirgends in Italien die Einwohner soviel Hausmüll wie hier produzieren, ist die letzte Deponie wegen Überfüllung 1997 geschlossen worden. Bürger und Umweltschützer demonstrieren seit Jahren erfolgreich gegen die Öffnung stillgelegter Deponien oder den Bau neuer Verbrennungs- und Aufbereitungsanlagen. Die Lokalpolitiker richten sich danach aus Angst vor einem Wählerverlust. Kein Stadtteil und Vorort will den Müll vor der eigenen Haustür haben. Lieber zünden die Leute nachts die Abfälle heimlich an. Das in den dadurch entstehenden Rußwolken enthaltene giftige Dioxin ist bereits in Pflanzen und der Milch von Schafen im Umland gefunden worden. Auch die Camorra, die lokale Mafia, hat ihre Hände im Spiel und verdient ein Milliardenvermögen mit der illegalen Müllentsorgung. Sie kippt unter anderem hochgiftige Industrieabfälle in die Landschaft und hat damit schon zahllose Seen, Bergtäler und Naturschutzgebiete verunreinigt.

Ansätze zur Lösung des Problems gibt es indes einige. So betraut die Regierung seit 1994 einen Sonderbeauftragten mit dem Müllnotstand in der Region Kampanien. Neben anderen Regionalpräsidenten und verschiedenen Führungskräften der italienischen Polizei hat etwa der derzeitige Regionalpräsident Antonio Bassolino von 2000 bis 2004 das Amt ausgeübt. Kommissarische Maßnahmen von der Bereitstellung zusätzlicher Gelder und Fachkräfte über die Einrichtung provisorischer Lagerstätten bis hin zum Abtransport in andere Regionen (Toskana, Umbrien, Emilia-Romagna, Sardinien) oder ins Ausland (nach Deutschland über Bremerhaven) haben kaum etwas genützt. Die Situation hat sich derartig zugespitzt, daß Staatspräsident Giorgio Napolitano den Notstand erklärt hat. Regierungschef Romano Prodi mußte vergangene Woche sogar das Militär einschalten, um die Abfälle vor Schulen und Krankenhäusern wegzuräumen.

Seit Anfang des Jahres versucht nun der ehemalige Polizeichef Giovanni De Gennaro sein Glück als Krisenkommissar – bisher ohne Aussicht auf Erfolg. Denn solange Neapel ein effizientes und umweltschonendes Konzept zur Abfallvermeidung und -entsorgung fehlt, bleibt als letzte Rettung nur ein Gebet zum Stadtheiligen San Gennaro.


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