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26.01.08 / Vordenkerin ohne Patentrezept / Simone de Beauvoir: Ihr Wirken und Leben

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 04-08 vom 26. Januar 2008

Vordenkerin ohne Patentrezept
Simone de Beauvoir: Ihr Wirken und Leben

Anläßlich des 100. Geburtstags von Simone de Beauvoir am 9. Januar ist die deutsche Rezeptionsliteratur zu Leben und Werk der französischen Schriftstellerin wiederum um eine Reihe von Bänden bereichert worden, darunter die Studie „Simone de Beauvoir und das andere Geschlecht“ von Hans-Martin Schönherr-Mann. Der Autor, Professor für Politische Philosophie am Geschwister-Scholl-Institut der Universität München, interessiert sich für die Vordenkerin der Frauen-emanzipation im Hinblick auf die Aktualität ihrer Standpunkte, mithin für deren Gegenwartstauglichkeit. Mit ihrem philosophischen Essay „Le deuxième sexe“ (1949, dt. 1951 „Das andere Geschlecht“) hatte de Beauvoir, die bereits als Romanautorin hervorgetreten war, der westlichen Nachkriegsgesellschaft die erste komplexe Analyse der Lage der Frau präsentiert und die Befreiung der Frau von Zwang und Klischees gefordert.

Eine jetzt erschienene Anthologie der ersten Rezensionen des Werks zeugt von dem Skandal, den „Das andere Geschlecht“ seinerzeit provozierte. De Beauvoirs Fragestellungen: Was ist eine Frau? und: Warum ist die Frau immer „die Andere“ in den patriarchalisch geprägten Kulturen? führten für sie zur Schlußfolgerung, daß Frauen in der Männergesellschaft erst zu einem „anderen Geschlecht“ gemacht werden; daher der Kernsatz: „Man wird nicht als Frau geboren, man wird erst dazu.“ Dabei stellte ihre Definition der Ehe als Falle seinerzeit den schwersten Tabubruch dar. Auf dem Existenzialismus, dem „geistigen Wegbereiter des Feminismus“ (Schönherr-Mann), begründen sich ihre Vorstellungen von einem selbstbestimmten Leben von Frau und Mann. Auf einer Seelenverwandtschaft mit dem Schöpfer des Existentialismus, Jean Paul Sartre, beruhte die jahrzehntelange, symbiotische Freundschaft.

De Beauvoirs Hauptwerk avan-cierte zum Schlüsselwerk des modernen Feminismus, sie selbst stieß jedoch erst in den 1970er Jahren zur Frauenbewegung. Zwischenzeitlich hatte sie sich dem kommunistischen Weltbild angenähert, das die Freiheit des Individuums anders definiert. Schönherr-Mann glaubt, daß „Das andere Ge-schlecht“ sich „mit den ethischen Diskursen am Ende des 20. Jahrhunderts messen lassen“ könne, obwohl das Buch zwangsläufig nicht mehr auf der Höhe der Zeit ist. Heute, nach fast 60 Jahren, hat die Emanzipation der Frau stattgefunden und die westliche Welt steht ganz anderen Herausforderungen gegenüber. Eine davon ist offenbar eine direkte Folge der Emanzipation – stetig sinkende Geburtenraten und dementsprechend die allseits beklagte alternde Gesellschaft.

Auf diese Phänomene bezieht sich der Autor, wenn er seine Kardinalfrage nach der Selbstverwirklichung der Frau behandelt. Ausgehend von den Standpunkten, die Simone de Beauvoir seinerzeit vertrat, entwickelt Schönherr-Mann eine Art von Disput über die Frauenfrage zwischen den unterschiedlichen Gesellschaftsphilosophien aus Geschichte und Gegenwart, indem er eine „Diskussion“ zwischen den Progressiven, also den Vorden-kern ihrer jeweiligen Epoche, und den sogenannten Traditionalisten moderiert; Letztere hatten sich in jüngerer Zeit wieder mit mehreren Veröffentlichungen auf dem Büchermarkt zu Wort gemeldet. Publikumswirksam zitiert er die Einlassungen zweier bekannter Jour-nalisten überproportional häufig. Nachdem der Leser solchermaßen mit einem Kaleidoskop von Anschauungen konfrontiert worden ist, stößt er überraschenderweise erst im Schlußkapitel auf die Frage: Was heißt Selbstverwirklichung? Simone de Beauvoir definierte Glück als die Freiheit des Menschen zur eigenen Entscheidung, eine Freiheit, die das Individuum zwar mit erhöhter Verantwortung belastet, ihm dafür aber gestattet, sich über herrschende Moralvorstellungen hinwegzusetzen. Dieses Ideal entlarvt Schönherr-Mann bis zu einem gewissen Grad, indem er etwa auf Verwerfungen in ihrer offenen Beziehung zu Sartre hin-weist. Patentantworten hält auch dieses Buch nicht bereit, dafür jedoch einen Fundus an Informationen. Überdies ist es ein Anlaß, sich erneut mit der Originallektüre zu befassen.        Dagmar Jestrzemski

Hans-Martin Schönherr-Mann: „Simone de Beauvoir und das andere Geschlecht“, dtv, München 2007, broschiert, 219 Seiten, 14,50 Euro


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