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26.01.08 / Wie Adolf Hitler Reichskanzler wurde / Vor 75 Jahren fand in Deutschland die »Machtergreifung« der Nationalsozialisten statt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 04-08 vom 26. Januar 2008

Wie Adolf Hitler Reichskanzler wurde
Vor 75 Jahren fand in Deutschland die »Machtergreifung« der Nationalsozialisten statt
von Klaus Hornung

Es sind 75 Jahre her, daß Reichspräsident von Hindenburg Adolf Hitler mit dem Amt des deutschen Reichskanzlers betraute, das einst Bismarck geschaffen hatte, ein Datum, das der Historiker Friedrich Meinecke einen „Unglückstag erster Ordnung für Deutschland“ genannt hat. Handelt es sich, wie Ernst Nolte gesagt hat, um eine „Vergangenheit, die nicht vergehen will“? Sie wird heute leicht von Politik und Medienwelt in geschichtspolitischer Absicht immer wieder zum Leben erweckt, um die Deutschen an ihrem Schuldpfahl festzuhalten und den dunklen Hintergrund zur Abwehr aller Kritik an der Gegenwart zu gebrauchen. Das ist dann die „Bewältigung der Vergangenheit“, die uns etwa Guido Knopp vorführt.

Freilich: Das Datum des 30. Januar 1933 ist mit seinen tiefen Folgewirkungen noch immer Gegenwart. Es stellt uns immer wieder vor die Aufgabe des Nachdenkens, wie das alles möglich war, uns über die Gründe und Abgründe der Geschichte, über die vielfältigen Netze der Bedingungen und Vorbedingungen eines solchen Ereignisses Rechenschaft zu geben. Mit Recht hat Richard von Weizsäcker 1995 gesagt, das Katastrophendatum von 1945 sei ohne 1933 nicht zu verstehen. Aber: 1933 ist seinerseits nicht zu begreifen ohne 1914 und 1918, ohne den Ausbruch und das Ergebnis des Ersten Weltkriegs, ohne Versailles, ohne die Inflation und die von ihr verursachte Verarmung der Mittelschichten sowie ohne die 1929/30 einbrechende Wirtschaftskrise.

Tatsächlich begann Hitlers Aufstieg exakt mit jenem Datum; die Kurven der Massenarbeitslosigkeit und die des Aufstiegs der Hitler-Bewegung liefen deutlich parallel. Hitler wußte seine Stunde zu nutzen, der Heimatlose und Sohn des Krieges, der Demagoge und Volksverführer, der narzißtische Egomane, wie ihn sein jüngster Biograph Jan Kershaw zu Recht zeichnet. Wie sein Gegenpart Lenin beschritt auch er seinen Weg zur Macht mit der Parole „Je schlechter (die Verhältnisse) desto besser (für mich)“, mit einer Spekulation à la baisse. Er ging diesen Weg mit „nachtwandlerischer Sicherheit“, wie er sagte. Er hatte mit dem grenzenlosen Selbstgefühl des Aufsteigers ein untrügliches Gespür für die Schwächen seiner Gegner. Er war, wie er selbst bekannte, ein großer Schauspieler. So verstand er es, der politischen Welt im In- und Ausland immer wieder ein trügerisches Gesicht zu zeigen. In seinen Massenkundgebungen, in denen er auf die Überwältigung seiner Zuhörer setzte, zeigte er ein anderes als etwa vor Kontrahenten. Auch das des vernünftigen und gemäßigten Politikers und Staatsmanns konnte er zeigen. Der Mann, so auch die Berichte aus seiner näheren Umgebung, zerfiel gleichsam in viele Personen, und er wußte um seine magnetisierende, diabolische Wirkung.

Und nicht zuletzt: Die Traumata von Versailles, der Inflation, der Wirtschaftskrise hatten in Deutschland bei den Massen eine Stimmung aufkommen lassen, die auf einen großen Retter und Erlöser hoffte. Ich erinnere mich noch recht plastisch einer Szene, wohl aus dem Januar 1933, als eine Nachbarin der Großmutter in der hohenlohischen Provinz dem noch nicht Sechsjährigen zum ersten Mal einen Farbdruck Hitlers zeigte mit der von mir nicht mehr vergessenen Bemerkung: „Der wird uns retten!“ Der Ehemann der Frau war ein ärmlich bezahlter Postbus-Fahrer, die beiden Söhne, wohl zwischen 16 und 18 Jahren, waren arbeitslos – es war das charakteristische Milieu der Wähler und Anhänger Hitlers in diesen Jahren.

Der Erdrutsch von Hitlers „Stimmzettelrevolution“ setzte seit dem Jahreswechsel 1929/30 ein. Über die beiden Etappen der Reichstagswahlen am 14. September 1930 – bei denen die Nationalsozialisten zweitstärkste Partei wurden mit 107 Abgeordneten im Reichstag – und am 31. Juli 1932 mit dem Triumph der NSDAP, die stärkste Partei geworden zu sein mit 230 Abgeordneten, bahnte sich Hitler den Weg zu seiner „Machtergreifung“.

Vergebens versuchte die Präsidialregierung Heinrich Brünings sich den Folgen der Wirtschaftskrise entgegenzustellen und durch außenpolitische Erfolge wie die Beendigung der Versailler Reparationslasten und die Wiedergewinnung der militärischen Gleichberechtigung der Hitler-Bewegung das Wasser abzugraben. Gab es nicht die Möglichkeit, diese so heterogene Bewegung durch die Hereinnahme in die Regierungsverantwortung zu disziplinieren, zu zähmen, vielleicht sogar zu spalten? Die Regierung Brüning-Groener ging davon aus, durchzuhalten bis sich die dunklen Wolken der Krise verzogen. Die nächsten regulären Reichstagswahlen mußten erst im September 1934 stattfinden, und es war zu erwarten, daß mit dem neuen Wirtschaftsaufschwung Hitlers Wählermassen sich ebenso schnell wieder verlaufen würden, wie sie sich zusammengefunden hatten. Aber die Geduld der arbeitslosen, vielfach verelendeten Massen war erschöpft, sie setzten auf den vermeintlichen Retter Hitler und seine Versprechen von „Arbeit und Brot“ und neuer deutscher Größe statt der glanzlosen Weimarer Republik.

Als der Reichspräsident unter dem Einfluß seiner Berater am 31. Mai 1932 die Regierung Brüning-Groener entließ, fiel die letzte Schutzwehr gegen Hitler. Integration und Zähmung der ungebärdigen, aber doch vielleicht patriotischen Anhängerschaft Hitlers wurde zur Parole der alten Führungsschichten, vor allem von Brünings Nachfolger Franz von Papen, der durch die leichtfertige abermalige Auflösung des Reichstags keine zwei Jahre nach den letzten Wahlen Hitler die Chance gab, bei den Neuwahlen am 31. Juli 1932 seinen politischen Durchbruchssieg zu erreichen. Von da an war kein Halten mehr, auch als Hitler am 6. November bei abermaligen Wahlen einen Rückschlag erlitt. Hindenburgs Berater empfahlen nun die Abkehr von der bisherigen Notverordnungspolitik und die Bildung einer normalen Koalitionsregierung, in der die Nationalsozialisten von Deutschnationalen und bürgerlichen Konservativen eingerahmt und gezähmt werden sollten.

Wie schon Hitlers Kampf um die Macht von einer (nach heutigen Begriffen) populistischen Massenbewegung getragen wurde, so waren es nun – paradox genug – demokratische und parlamentarische Argumente, die Hindenburg von der Notwendigkeit einer rechtsgerichteten Koalitionsregierung mit anscheinend ausreichenden Sicherungen gegen eine nationalsozialistische Alleinherrschaft überzeugten. Doch jetzt, mit Hitler im Besitz der Regierungsgewalt, verband sich die nationalsozialistische „Revolution“ und ihr Straßenterror mit dem Opportunismus und der Angst auch vieler bisheriger Gegner auf dem kurzen Weg zur eigentlichen „Machtübernahme“. Was vielen noch am 30. Januar als normaler Regierungswechsel erschienen sein mochte, in dem die neuen Herren bald abgewirtschaftet haben würden, zeigte sich nun als eine Revolution neuer Art mit ihrer seltsamen Mischung aus Legalität, Terror und Erneuerungspathos. Unversehens war schon bis zum Sommer 1933 aus einem republikanischen Mehrparteienstaat eine totalitäre Einpartei- und Führerdiktatur geworden, der das „Ermächtigungsgesetz“ des Reichstags vom 24. März den pseudoparlamentarischen Weg geöffnet hatte und dann das „Gesetz über die Einheit von Partei und Staat“ vom 1. Dezember 1933 nur noch das pseudolegale Siegel verlieh. Kaum einer der damals Handelnden und der berauschten Massen konnte ahnen, was die Folgen sein würden.

Foto: Die Reichsregierung nach der „Machtergreifung”: Die geringe Zahl an NSDAP-Mitgliedern und deren ziviles Auftreten ließ viele glauben, das neue Kabinett stünde in der Kontinuität seiner Weimarer Vorgänger.


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