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02.02.08 / Die französische (Ehe-)Revolution / Die Ehe als frühes Experimentierfeld / Das bleibt in der Familie (Folge 14)

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 05-08 vom 02. Februar 2008

Die französische (Ehe-)Revolution
Die Ehe als frühes Experimentierfeld / Das bleibt in der Familie (Folge 14)
von Klaus J. Groth

Nein, mit Nicolas Sarkozy hat die französische (Ehe-)Revolution nichts zu tun.  Im weiteren Sinne hat sie eher etwas mit Martin Luther und Napoleon Bonaparte zu tun.

Martin Luther mochte in der Ehe nicht länger ein Sakrament sehen, für ihn war die Verbindung zwischen zwei Menschen „ein weltlich Ding“. Dazu genügte der Segen von Amtswegen, die Zustimmung der Kirche war nicht mehr notwendig.

Wenn die Ehe kein Sakrament mehr war, dann mußten nach dem Verständnis der Reformatoren auch die von der Kirche gesetzten Hürden der Ehehindernisse nicht mehr so hoch sein. Folglich bauten die protestantischen Kirchenrebellen diese Hürden vollkommen ab,  bis auf einen kleinen Rest, der allerdings bis in die Gegenwart Bestand hat.

So war die Verschwägerung zwischen zwei Familien nicht länger Hinderungsgrund für weitere Verbindungen zwischen diesen Familien. Und die Geistliche Verwandtschaft, das heißt die Patenschaft, stand einer Hochzeit auch nicht mehr im Wege. Allein die Blutsverwandtschaft wurde weiter als Ehehindernis angesehen. Für Vettern und Basen ersten Grades galt diese Beschränkung nicht mehr.

Das waren sehr tiefgreifende Änderungen. Es tobte ein Streit um Ehe und Familie, gegen den sich gegenwärtige Auseinandersetzungen wie laue Lüftchen ausnehmen. Ehe und Familie, das waren fundamentale Positionen der Kirche. Entsprechend energisch kämpfte die katholische Kirche gegen die Veränderungen. Auf dem Konzil von Trient bekräftigte sie 1563 nicht nur ihre Lehren, sondern versuchte sie durch verschärfte Bedingungen zu schützen. Eine in ihrem Sinne gültige Ehe konnten nunmehr nur von einem Priester samt zwei Zeugen geschlossen werden. Alle liberalen Sonderbedingen, die bis dahin noch toleriert worden waren, verloren ihre Gültigkeit. Heimliche Eheschließungen waren nahezu ausgeschlossen. Auch die formlose Ehe im gegenseitigen Einvernehmen, die als Ehe durch „usus“ noch aus dem römischen Recht stammte und die Zeiten überdauert hatte, wurde abgeschafft.

Doch einmal in Bewegung geraten, lassen sich gegen Veränderungen zwar Dämme setzen, aber aufhalten lassen sie sich nicht, wenn ihre Zeit gekommen ist.

Die Puritaner in England gingen im 17. Jahrhundert sogar einen Schritt weiter, sie legten per Gesetz fest, daß es sich bei der Ehe nicht um ein Sakrament handele. Fortan war kein Geistlicher mehr bei der Eheschließung notwendig, die Trauung vor einem Friedensrichter reichte vollkommen aus. Allerdings wurde diese Bestimmung wenig später wieder aufgehoben, und so blieb es in Europa und den von Europa beeinflußten übersee-ischen Ländern noch bis ins 19. Jahrhundert dabei: Auch dort, wo die Ehe nicht mehr als Sakrament angesehen wurde, war mit der Hochzeit stets eine religiöse Zeremonie verbunden. Erst der Sturm der französischen Revolution fegte diese Regel fort und führte 1792 die Eheschließung ohne Priester und Altar als obligatorisch ein.

Es dauerte allerdings noch eine Weile, ehe Deutschland diesem Beispiel folgte. Erst das Bestreben Bismarcks, den Einfluß der katholischen Kirche im Reich zu begrenzen, brachte auch die Anerkennung des nicht in der Kirche geschlossenen Ehebundes.  Rechtlich anerkannt wurden nur noch Ehen, die vor einer vom Staat autorisierten Person geschlossen worden waren. Zwar konnte auch weiterhin in der Kirche geheiratet werden, aber rechtlich gesehen war die Hochzeit in Weiß nicht mehr als ein Beiprogramm. Die ausschließlich in der Kirche geschlossene Ehe wurde nicht mehr anerkannt.

Bereits die Reformatoren hatten gefolgert: Wenn die Ehe kein Sakrament ist, dann ist sie auch wieder aufzulösen. Unter bestimmten Voraussetzungen hielten sie eine Scheidung für zulässig. Die Puritaner in England gingen auch in dieser Frage noch ein erhebliches Stück weiter. Wenn Liebe und Vertrauen nicht mehr vorhanden seien, meinten sie, sei das ein ausreichender Grund für eine Trennung. Das ging den Zeitgenossen jedoch entschieden zu weit. Eine Scheidung galt als eine solch außerordentliche Angelegenheit, daß das Parlament darüber zu befinden hatte, und die Parlamentarier entschieden sehr zögerlich. So blieb die Trennung auch weiterhin die Ausnahme.

Auch in diesem Fall kam erst mit der französischen Revolution endgültig Bewegung in die Angelegenheit. So wie die Eheschließung ohne Priester und Altar eingeführt wurde, wurde in konsequenter Logik die Scheidung formell ermöglicht und später in das napoleonische Recht aufgenommen. Diese Freizügigkeit war jedoch nicht von langer Dauer. Als Napoleon von der politischen Bühne abtreten mußte, wurden von der restaurierten Monarchie rasch auch ein paar Gesetze beiseite geräumt, die unter dem Korsen erlassen worden waren. Dazu gehörte auch das Scheidungsrecht. In der dritten Republik war es dann ab 1884 wieder gültig. Unter den katholisch geprägten Ländern blieb Frankreich jedoch eine Ausnahme. In Italien, Portugal und Spanien war eine Scheidung weiterhin unmöglich, in Italien sogar bis 1970.

Gesellschaftlich unruhige Zeiten waren auch immer unruhige Zeiten für den Status von Ehe und Familie. Obwohl er die Ehe zwischen einer Frau und einem Mann grundsätzlich als die einzig richtige Form ansah, tolerierte Martin Luther in einem Ausnahmefall, daß ein Mann mit zwei Frauen verheiratet war. Dem Landgrafen Philipp von Hessen erteilte er – wenn auch widerstrebend – die Erlaubnis zu einer Zweitfrau. Schließlich waren im Alten Testament gleich mehrere Fälle von Polygamie beschrieben worden. Und so war der mit Luther befreundete Reformator Philipp Melanchthon anwesend, als der Landgraf das sächsische Hoffräulein Margarethe von der Saale als „Frau zur linken Hand“ nahm.

Weitaus freizügiger legte die Oneida-Gemeinschaft das Alte Testament aus. Diese 1848 im Bundesstaat New York in den USA gegründete Sekte zelebrierte bereits das, wovon Hippies und die 68er der Kommune I sehr viel später phantasierten: Gruppensex und Gruppenehe. Allerdings nannten die Anhänger der Oneida-Sekte das nicht so, sie sprachen von der „komplexen Ehe“.  Die bestand aus mehreren Frauen und Männern. Praktisch und ausübend war jede Frau mit jedem Mann innerhalb dieser Gruppe verheiratetet. Zum Zwecke der Fortpflanzung jedoch wurde  diese Freizügigkeit gelegentlich eingeschränkt. Ohnehin neigten Teile der allgemein als prüde geltenden konservativen Gesellschaft der USA zu ehelichen Experimenten. Die Mormonen erklärten die Ehe zwischen einem Mann und mehreren Frauen für die einzige von Gott gewollte Form des gemeinschaftlichen Zusammenlebens. Sie wurden von der Mehrheit jedoch wegen ihrer Überzeugungen dermaßen drangsaliert, daß sie wieder zur monogamen Ehe zurückehrten.

Fazit dieses Streifzuges durch die Geschichte der Familie: Trotz gelegentlich wüster Experimente hat sie überdauert. Und sie wird auch weiterhin als Eckpfeiler der Gesellschaft überdauern.

In der nächsten Folge lesen Sie: Das Internet als Partnerbörse – Warum wir uns verlieben – Was die Deutschen in die Liebe investieren

 

Familienmenschen und andere

Philipp I. von Hessen (* 13. November 1504 in Marburg; † 31. März 1567 in Kassel) führte auch den Beinamen  „der Großmütige“. Er war ab 1524 Anhänger der protestantischen Lehre und wurde unter den Fürsten zu einem der Vorkämpfer der Reformation. Sein Bestreben war es, zu einer Einigung zwischen den Reformatoren Martin Luther und Ulrich Zwingli beizutragen. In dem Jahr, in den er zum evangelischen Glauben übertrat, heiratete Philipp I. Christine von Sachsen (1506–1549). Mit ihr hatte er zehn Kinder. Sie kamen in den Jahren von 1527 bis 1547 zur Welt. Doch während der Fürst offenbar seinen ehelichen Pflichten noch fleißig nachkam, schloß er 1540 eine morganatische Ehe („zur linken Hand“) mit dem sächsischen Hoffräulein Margarethe von der Saale (1522–1566). Martin Luther hatte den Fürsten auf die damit verbundenen Probleme hingewiesen, letztendlich aber seine Zustimmung gegeben. Bei der Hochzeit auf Schloß Rotenburg war Luthers Weggefährte Philipp Melanchthon anwesend. Der Verbindung mit Margarethe von der Saale entstammten neun Kinder. Sie kamen im Zeitraum von 1541 bis 1557 zur Welt. Philipp I. wurde zeitweise im selben Jahr Vater von den Kindern beider Mütter. Politisch brachte ihm diese Doppel-ehe den vorausgesagten Ärger ein. Er mußte dem katholischen Kaiser Karl V. erhebliche Zugeständnisse machen, um eine Bestrafung für seine Bigamie abzuwenden. Im Schmalkaldischen Krieg unterlegen, wurde er 1547 für fünf Jahre in  den Niederlanden gefangengesetzt. Wieder frei, zeugte er noch drei Kinder mit Margarethe von der Saale.

John Humphrey Noyes (* 3. September 1811 in Brattleboro, Vermont; † 13. April 1886)  studierte Theologie, strebte nach einem Leben frei von Sünde – und predigte sexuelle Freizügigkeit. Er gründete 1848 die „Oneida Community“, die auch „Sekte der Perfektionisten“ oder „Bibel-Kommunisten“ genannt wurde. In dieser Gemeinschaft, so der Anspruch, sollte der perfekte Christ durch strenge Auslese gezüchtet werden. Noyes selbst sprach von einer „Kultivierung des Nachwuchses“. In einer herrschaftlichen Villa in Oneida Creek im Staat New York versuchten Noyes und seine Anhänger einen urchristlichen Kommunismus zu praktizieren. In ihrer Wohngemeinschaft gehörte alles allen, auch alle Männer allen Frauen und alle Frauen allen Männern. Noyes nannte das „complex marriage“, also „komplexe Ehe“. Selbst seit 1838 verheiratet (mit Harriet Holton), bezeichnete Noyes die Ehe als „selbstsüchtige Institution, in welcher die Männer ihre Eigentumsrechte über die Frauen ausübten“. Er sang das hohe Lied der „freien Liebe“. Dieses Wortbild geht auf Noyes zurück. Doch so frei war die Liebe dann auch wieder nicht. Ein Paar durfte nur das Lager teilen, wenn der ausdrückliche Wunsch dazu einem Dritten mitgeteilt wurde. Und keinesfalls durfte man wiederholt und ausschließlich mit einem Lieblingspartner schlafen. Und schließlich hatte die Gemeinschaft ein deutliches Wort mitzureden bei der aktuellen Partnerwahl, denn schließlich sollte der bessere Mensch gezüchtet werden. In einer sogenannten „aufsteigenden Partnerschaft“ wachten die Älteren darüber, daß die sexuellen Regeln eingehalten wurden. Daneben nahmen sich andere Regeln geradezu als Lappalien aus, auch wenn sie zu ihrer Zeit ungeheuerlich gewirkt haben müssen: Die Männer führten den Haushalt, die Frauen arbeiteten in ihren Berufen. 32 Jahre, von 1848 bis 1881, bestand die Gemeinschaft. Von Seiten der staatlichen Behörden hatte es mehrfach Versuche gegeben, das Treiben zu unterbinden. 1879 wurde Noyes vor einer bevorstehenden Verhaftung gewarnt. Er floh nach Kanada und kehrte zu Lebzeiten nicht in die USA zurück. Die Gemeinschaft wurde 1881 in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. Statt der Produktion des perfekten Menschen widmete sie sich nunmehr der Produktion von Konserven, Tierfallen und Tafelbesteck.

Foto: England um 1880: Zerstrittene Eheleute vor dem Friedensrichter.


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