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02.02.08 / Zwischen Alkohol und Armut / Der Kinofilm »Holunderblüte« zeigt das Alltagsleben von Land-Kindern im Königsberger Gebiet

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 05-08 vom 02. Februar 2008

Zwischen Alkohol und Armut
Der Kinofilm »Holunderblüte« zeigt das Alltagsleben von Land-Kindern im Königsberger Gebiet
von Rebecca Bellano

Sechs Kinder schälen sich aus ihren Betten. Sie sind zwischen vier und 16 Jahren und schlafen alle zusammen in einem Zimmer. Zwei Mädchen teilen sich sogar ein Bett. Während sie ins Bad gehen, um sich die Zähne zu putzen, folgt ihnen die Film-Kamera des Regisseurs Volker Koepp durch den kargen Flur. Überall lösen sich die bräunlichen Tapeten von den Wänden. Möbel gibt es kaum. Die klapprigen Fenster stehen offen und hinterlassen den Eindruck, daß sie die eisigen Winter Ostpreußens nicht draußen vor der Tür lassen. Alles sieht windschief und zugig aus. Die Badewanne, über der sich die Kinder die Zähne putzen, hat schon mehrere Jahrzehnte hinter sich.

Insgesamt 20 Tage hat der Regisseur Volker Koepp für seinen aktuell in deutschen Kinos laufenden Film „Holunderblüte“ Kinder im Königsberger Gebiet beobachtet. Seine Aufnahmen konzentrieren sich bewußt auf ländliche, fast menschenleere Regionen, allenfalls Tilsit erscheint als größere Stadt in dem Film.

Seit 1990 hat der geborene Stettiner Koepp mehrfach in der Region gefilmt. „Kalte Heimat“, „Fremde Ufer“, „Die Gilge“ und „Kurische Nehrung“ spielen auch in Ostpreußen, doch in „Holunderblüte“ wird erstmals das Alltagsleben von Kindern auf dem Land dokumentiert. Wenn sie nicht in der Schule sind oder sich um den Haushalt oder die eigenen Kühe kümmern, spielen sie zwischen alten Bunkern, Ruinen ehemaliger Kirchen und unbebauten Äckern.

„Der Schnaps ist wichtiger als die eigenen Kinder“, so die 17jährige Ljuda. Drei ihrer Brüder leben im Heim, zwei Schwestern sind erwachsen, doch auch von ihnen ist eine dem Alkohol verfallen. Und auch die Eltern der taubstummen Lena und ihrer fünf Geschwister können keine Geborgenheit geben. Während sie arbeiten, sind die Kinder sich selbst überlassen.

Volker Koepp läßt seine Protagonisten frei und leider absolut unkommentiert reden. So erzählen sie, daß sie einen Biber gesehen haben, nennen den Titel ihres Lieblingsbuches und streuen unbewußt nebenbei Informationen über ihre Lebensverhältnisse ein, die von Armut, Alkohol, Arbeitslosigkeit und Chancenlosigkeit gekennzeichnet sind.

Die einzelnen Abschnitte werden von Naturaufnahmen unterbrochen. Hierbei läßt sich die Kamera übertrieben viel Zeit; Flüsse, Alleen, Dünen und ein unbeschreiblich weiter Himmel bestimmen diese Bilder, die nur selten Menschen zeigen.

Auffällig ist, daß fast alle Kinder modern und sauber angezogen sind und in ihrer Umgebung völlig deplaziert wirken, doch auch hierfür gibt es eine Erklärung. Dank kostenloser Altkleider aus der Bundesrepublik Deutschland sieht man den meist ausgesprochen hübschen Kindern ihre Armut nicht an. Kameraschwenks auf die wenigen Erwachsenen in ihrem Umfeld lassen jedoch ahnen, wie schnell auch ihr Nachwuchs verbraucht aussehen wird, in dieser Gegend, die außer harter körperlicher Arbeit und Alkohol nicht viel zu bieten hat. Die Lebenserwartung von Männern liegt bei 55 Jahren.


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