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02.02.08 / Allerlei Ärger mit Lorita / Nicht nur Vögel reden, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 05-08 vom 02. Februar 2008

Allerlei Ärger mit Lorita
Nicht nur Vögel reden, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist
von Willi Wegner

Schlafen Sie während der schönen Jahreszeit auch so gern bei offenem Fenster? Nach Möglichkeit sollten Sie es vermeiden. Sie ersparen sich eine Menge Ärger.

Gestern zum Beispiel erwache ich recht rohgelaunt, öffne blinzelnd die Augen, und was sehe ich? Auf meiner Fensterbank sitzt ein kaukasischer Steinadler! Krummer Schnabel, stechender Blick ... jetzt spreizt er auch noch die Schwingen! Wenn er sich auf mich stürzt, bin ich unweigerlich verloren.

Zum Glück aber klappt der Bursche seine Schwingen wieder zu, und ich sehe, daß er sehr hübsche Federn hat. Blaue, grüne und rote. Ob es am Ende gar kein kaukasischer Steinadler ist?

„’orgen!“ krächzt er. „’orgen! Aufstehn!“

Es verschlägt mir die Sprache: Dieser Vogel spricht. Ein Papagei also! „Ganz brav sein“, sage ich, stehe vorsichtig auf, in Zeitlupe gewissermaßen, und gehe langsam zum Fenster. Es ist ein sehr hübscher Papagei. Vermutlich ein Ara, bekannt aus vielen Kreuzworträtseln.

„Na“, frage ich, „wie heißt du denn?“

Eine Weile schaut er mich mit zwinkernden Augen an, dann schreit er: „Lorita!“

„Gut, gut“, sage ich, „ich bin ja nicht schwerhörig.“

„Miststück!“

Wirklich, ein sehr intelligenter Vogel! Man muß unbedingt etwas für ihn tun. Seine Leute werden ihn sicher schon vermissen.

In diesem Augenblick spreizt er wieder seine Schwingen, und ehe ich recht begreife, was geschieht, sitzt er auf meiner Schulter.

Vielleicht gefällt ihm das farbenfrohe Muster meines Pyjamas.

„Los, runter da!“ sage ich. Mach keinen Quatsch! Herrchen muß sich doch erst anziehen!“

Aber es ist nichts zu machen. Der Bursche sitzt wie angewachsen und wetzt seinen krummen Schnabel an meinem unrasierten Kinn. So vergeht die Zeit. Was soll ich tun? Seine scharfen Krallen dringen bereits gefährlich durch den dünnen Pyjamastoff. Außerdem fällt mir ein, daß ich einen Beruf habe und längst im Büro sein müßte. Ich greife also zum Telefon und rufe in der Firma an. Mein Chef ist selbst am Apparat.

„Menschenskind, wo bleiben Sie denn?“ sagt er. „Sind Sie krank?“

„Ich bin noch im Pyjama“, sage ich, „ich habe einen Vogel ...“

„Miststück!“ krächzt der Papagei.

„Entschuldigung“, sage ich „das war nicht ich, das war Lorita.“

„Auch das noch!“ brüllt der Chef. „Schicken Sie sofort dieses Frauenzimmer nach Hause und kommen Sie zur Arbeit! Oder Sie sind auf der Stelle entlassen!“ Peng – aufgelegt!

Vielleicht sollte ich es doch mit etwas Mut versuchen. Ich entschließe mich, die Hände um Loritas Hals zu legen, aber ... dann renne ich auch schon ins Badezimmer, um mir den linken Daumen zu verbinden.

Lorita sitzt immer noch auf meiner Schulter und schaut zu. Etwas traurig, wie es scheint. Vielleicht tut es ihr leid, daß sie mich gebissen hat. Sie läßt es sogar zu, daß ich mich rasiere und mir eine andere Hose anziehe. Die Pyjamajacke aber lasse ich vorsichtshalber an.

Dann habe ich eine Idee. Ich gehe ins Schlafzimmer zurück und stelle mich – mit Lorita auf der Schulter – vor das offene Fenster. Hier werde ich so lange stehenbleiben, bis der Vogel endlich Vernunft annimmt und wegfliegt.

Nach etwa einer Stunde klingelt es an meiner Wohnungstür. Ich gehe hin und öffne. Vor mir steht eine ältere Dame und sagt strahlend: „Ich wohne schräg gegenüber und sah Sie eben mit meiner Lorita am Fenster stehen. Sie ist mir heute früh weggeflogen, und nun wollte ich sie zurückholen.“

„Bitte sehr, gern“, sage ich erleichtert. „Nehmen Sie sie.“

„Wo ist sie denn?“

„Wo sollte sie sein? Auf meiner Schulter natürlich.“

„Nein – da ist sie nicht!“

In der Tat – Lorita ist fort. Ich laufe zurück in die Wohnung, die Dame von gegenüber hinter mir her. „Lorita!“ ruft sie „Lorita!“ Sie hat die gleiche Stimme wie Lorita, finde ich. Aber Lorita ist nicht mehr da.

Doch dann sehe ich sie! „Schauen Sie nur“, sage ich „Dort drüben! Sie sitzt auf Ihrer Fensterbank!“

„Tatsächlich!“ strahlt meine Besucherin. „Sie ist zu mir zurückgekehrt – sie mag Sie nicht! Sie sind ihr unsympathisch! Ist das nicht ein herrlicher Morgen?“


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