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02.02.08 / Schnee von gestern / Nicht jeder Vertriebene möchte die Heimat wiedersehen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 05-08 vom 02. Februar 2008

Schnee von gestern
Nicht jeder Vertriebene möchte die Heimat wiedersehen
von Hannelore Patzelt-Hennig

Wenn ich in meiner Nähe ein heimatliches rollendes R höre, kann ich es meistens nicht unterlassen, mich an die jeweilige Person heranzupirschen und darauf anzusprechen.

Kürzlich ergab es sich in einer Einkaufpassage an einem Verkaufsstand der wegen seiner Austern und seines guten Champagners bevorzugt angesteuert wird. Ich hatte hier allerdings noch nie mein Portemonnaie gezückt, aber im Vorbeigehen hörte ich, wie eine alte Dame „Eine Portion Austern, bitte!“ sagte, und da dachte ich, ein Glas Sekt kann mir auch willkommen sein, und stellte mich dazu. Die Hände der alten Frau waren faltig, verrieten aber, daß sie sich nicht gescheut hatten, zuzupacken. Die Finger waren reichlich beringt, und die Handgelenke mehrfach mit Armbänden umspannt.

Als ich mir ein Glas Sekt bestellte, sah sie mich freundlich an. Das machte es mir leicht. „Verzeihen Sie bitte meine Neugier, aber ich hätte gern gewußt, ob Sie aus Ostpreußen sind“, fragte ich frei heraus. „Sie rollen das R so unverwechselbar, und Ihr Bernsteinschmuck.“ „Von Geburt her bin ich es! Aber ich lebe schon seit 60 Jahren in Hamburg“, verriet sie mir.

„Trotzdem läßt Ihre Sprechweise noch auf Ihre Heimat schließen“, sagte ich.

„Nun ja, die Jahre dort. Die Eltern und Verwandten. Da sitzt manches wie eingekerbt!“ Sie lachte.

„Wie schön!“ sagte ich.

Der bestellte Sekt wurde mir gereicht, und ich nippte daran.

„Keine Austern?“ fragte die Dame mich nun. Ich verneinte.

„Die sind hier immer frisch!“ erklärte sie mit Überzeugung.

„Mag sein!“ sagte ich.

„Noch  nie probiert?“

„Nein!“

Jetzt fragte ich nach ihrem Heimatort.

„Königsberg!“ war die knappe Antwort.

„Und der Ihre?“ fragte sie ohne wirklich interessiert zu sein.

„Ich bin in Tilsit geboren!“ erklärte ich.

Darauf reagierte sie nicht.

„Sind Sie jetzt, da man es kann, schon wieder einmal in Königsberg gewesen?“ wollte ich wissen.

„Kein Ziel für mich!“ sagte sie.

„Aber die Heimat zu sehen muß doch ganz reizvoll sein!“ warf ich vorsichtig ein.

„Sie kommen wohl nicht los davon, was?“ sagte sie. Und es klang fast schroff.

Das irritierte mich. Ich konnte darauf nicht gleich etwas sagen. Ich hatte schließlich noch nie versucht, und es auch nie gewollt, von meiner Heimat loszukommen.

„Nein!“ sagte ich schließlich. „Es ist so!“

„Kindchen, das ist doch alles Schnee von gestern!“ sagte die Frau jetzt.

Nach kurzem Zögern gab ich dann zur Antwort: „Es liegt für mich sehr viel Verbindliches darin. Frohe Kinderjahre, Flucht, Rückkehr, schlimme Jahre unter den Russen, Ausweisung, später Neuanfang. Das alles hatte seine Auswirkungen und hat Zeichen gesetzt.“

„Vergessen Sie das! Schnee von gestern, wie ich schon sagte!“

Ich trank ziemlich erregt einen hastigen Schluck.

„Darf ich Sie zu einer Portion Austern einladen?“ fragte die alte Dame freundlich.

„Vielen Dank!“ wehrte ich ab. Ebenfalls bemüht mich freundlich zu zeigen.

„Warum lehnen Sie ab? Es macht mich nicht arm!“ Wieder geriet ich in Verlegenheit. Sollte ich der Frau erklären, daß ich weder Austern noch Muscheln über die Zunge bringen würde, selbst wenn sie auf goldenen Tellern serviert wären? Ich konnte es nicht, seit wir im Sommer 1947 fast nur von Klopsen aus Memelmuscheln gelebt hatten, die ohne Fett und ohne jegliches Gewürz selbst bei großem Hunger nur schwer herunter zu bekommen waren.

Ich verzichtete darauf, darüber zu reden. Ich war sicher, sie hätte es nicht verstanden. Und ich wollte es auch nicht noch ein weiteres Mal hören, dieses „Schnee von gestern“. Deshalb schwieg ich zu der Einladung und sprach sie unvermittelt auf ihren Bernsteinschmuck an, dessen Fassung verriet, daß er sehr alt sein mußte.

„Erbstücke!“ sagte sie dazu nur knapp. Und ich dachte: Auch von gestern!

Ich verabschiedete mich kurz darauf und ging.


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