28.03.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
02.02.08 / Gynäkologen besorgt / Immer mehr Frauen entscheiden sich für eine Hausgeburt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 05-08 vom 02. Februar 2008

Gynäkologen besorgt
Immer mehr Frauen entscheiden sich für eine Hausgeburt

Die Geburt eines Kindes ist bekanntlich keine Krankheit, sondern ein freudiges Ereignis. Doch fast alle Babys in Deutschland kommen in Krankenhäusern zur Welt. „Nur knapp zwei Prozent der schwangeren Frauen entscheiden sich, ihr Kind zu Hause beziehungsweise in einem Geburtshaus zu entbinden“, sagt Anke Wiemer, Geschäftsführerin der Gesellschaft für Qualität in der außerklinischen Geburtshilfe. Erst seit einigen Jahren gehe der Trend zur Niederkunft außerhalb des Krankenhauses nach oben – auf nun etwa 10000 Geburten pro Jahr.

Der Grund für die nach wie vor verbreitete Liebe zum sterilen Kreißsaal: Frauen werde mit Vehemenz vermittelt, daß die Geburt ein großes Risiko sei für Mutter und Kind, weil viele Komplikationen drohten, und sie deshalb im Beisein von Ärzten im Krankenhaus stattfinden müsse.

Dies sei aber nachweislich nicht so: „Studien haben gezeigt, daß außerklinische Geburten genauso sicher sind wie die im Krankenhaus“, betont Wiemer. Das sehe sogar die Weltgesundheitsorganisation so. Trotzdem werde vielen Hebammen hierzulande das Gefühl gegeben, mit einer Hausgeburt etwas „Verruchtes“ zu tun.

Wiemer selbst erlernte ihren Beruf im Kreißsaal, aber vor einigen Jahren spezialisierte sie sich auf die Betreuung häuslicher Geburten. Seitdem ist sie als selbstständige Hebamme im Brandenburger Land östlich von Berlin unterwegs und unterstützt Schwangere – ganz ohne Arzt – bei ihrer ganz privaten Niederkunft daheim.

„Die Hausgeburt hat eine ganze Reihe von Vorteilen“, sagt sie. Vor allem Streß werde den Wöchnerinnen erspart, weil sie nicht unter Schmerzen das Haus verlassen müssen, wenn die Wehen einsetzen. „Der Transport ist die schlimmste Phase der Geburt“, betont Wiemer.

Zudem könnten sich die Frauen ganz „so gehen lassen“, wie sie wollten, zum Beispiel ein Bad nehmen oder, wenn es soweit ist, auch einmal laut sein. „Es ist alles natürlicher zu Hause“, unterstreicht die Hebamme. Das Krankenhaus sei dagegen ein „fremder Ort“. Nur wenige Geburten fänden dort überhaupt noch ohne beschleunigende Eingriffe wie beispielsweise dem Wehentropf statt.

Diese Natürlichkeit bedeutet allerdings, daß Frauen, die sich für eine Geburt daheim entscheiden, Geduld haben müssen. „Zu Hause kann es schon mal ein bißchen länger dauern“, sagt Wiemer.

Manch Anruf bei ihr erweist sich als Fehlalarm und die Hebamme rückt unverrichteter Dinge wieder ab. Für ihre Dauerrufbereitschaft ab der 37. Schwangerschaftswoche müssen Wöchnerinnen auch extra bezahlen. Alles andere geht bei einer Hausgeburt Wiemer zufolge auf Kosten der Krankenkasse.

Frauen, die sich für eine Hausgeburt entscheiden, sollten sich ihr zufolge zwischen der 20. und 30. Schwangerschaftswoche mit einer Hebamme in Verbindung setzen. Dann können die Frauen frühzeitig auf mögliche Risikofaktoren untersucht werden, die eine klinische Geburt notwendig machen – zum Beispiel Früh- oder Mehrlingsgeburten oder Querlagen des Kindes. „Wir gehen grundsätzlich keine Risiken ein und entbinden nur zu Hause, wenn keine Komplikationen zu erwarten sind“, betont Wiemer.

Ärzte sehen hier dennoch ein Problem. „Selbst mit moderner Medizin ist es nicht möglich, vor einer Geburt alle Risiken auszuschließen“, sagt Wolfgang Cremer, Hamburger Landesvorsitzender des Berufsverbands der Frauenärzte. Selbst bei völlig normalen Geburten könnten „aus heiterem Himmel“ akute Komplikationen auftauchen, die Mutter und Kind in Gefahr bringen können. So müßten jedes Jahr zwölf Prozent aller Frauen, die außerklinisch entbinden wollten, wegen plötzlicher Komplikationen in ein Krankenhaus verlegt werden, viele sogar mit Blaulicht im Rettungswagen.

„Die Geburt ist die gefährlichste Stunde im Leben eines Menschen“, unterstreicht der Gynäkologe. Die seiner Ansicht nach einzig richtige Konsequenz: Die Entbindung müsse in einer Klinik erfolgen, wo Ärzte für Geburtshilfe mit dabei seien und „man alle Sicherheit hat, die man haben kann“.

Nicht umsonst sei die Sterblichkeit von Neugeborenen seit der Übernahme der Schwangerschaftsbetreuung durch die Frauenärzte gesunken: von über drei Prozent im Jahr 1961 auf 3,4 Promille im Jahr 2006.

Dem Argument der heimischen Gemütlichkeit kann Gynäkologe Cremer ebenfalls nichts abgewinnen: „In modernen Geburtskliniken können Sie auch in die Badewanne gehen, es gibt sogar Zimmer mit Familienbetten und Plüsch“, sagt der Frauenarzt. Haiko Prengel


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren