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09.02.08 / Ost-Deutsch (52): Kinderstube

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 06-08 vom 09. Februar 2008

Ost-Deutsch (52):
Kinderstube
von Wolf Oschlies

Aus der Kinderstub’ ein Märchen“, dichtete einst Fried-rich Rückert (1788–1866). Heute dokumentieren Naturfilmer die „Kinderstube der Kohlmeise“.  Und auch modernste Personalberater können gelegentlich ganz altmodisch warnen: „Offenheit, Anstand, Einfühlungsvermögen, kurz gesagt eine gute Kinderstube, das lernt man mit 25 nicht mehr.“ Ein Wort in drei Verwendungen, die für drei Bedeutungen stehen. Das Wort kennen auch unsere polnischen und tschechischen Nachbarn, nicht so weit gespannt, aber sehr eindeutig.

„Kinderstube znamena nemecky bud’ dobre vychovani nebo detsky pokoj“, sagt der tschechische Autor Otakar Svoboda: Kinderstube bedeutet auf deutsch gute Erziehung oder Raum für Kinder. Die „Kinderstube“ kam im 15. Jahrhundert auf im Sinne von Kinderzimmer. Das konnten sich nur Begüterte leisten, weswegen „Kinderstube“ die Bedeutung von „guter Erziehung, feine Sitten“ annahm. Wenn hingegen spezielle Satelliten „in die Kinderstube des Universums“ sehen, wollen sie allererste Anfänge von Sternen und Sonnensystemen erkunden. Und schließlich nennen sich Kindertagesstätten, Geschäfte für Kinderkleidung etc. seit Jahren „Kinderstuben“.

Vor zwei Jahren debattierten Tschechen über das niedrige Niveau ihrer TV-Debatten: Alle Dis-kutanten taugten wenig, ihnen fehlte, „ktere se rika tak hezky cesky Kinderstube“ (was man tschechisch so schön Kinderstube nennt). Stanislav Gross, 2004/05 tschechischer Premier, galt als jemand, „ktery nema kinderstube“ (der keine Kinderstube hat). Andererseits wehrte sich der beliebte Komponist und Kapellmeister Ladislav Staidl gegen mediale Neugier, „protoze mam kinderstube a nesnasim skadaly“ (weil ich Kinderstube habe und keine Skandale ertrage).

Die tschechische „kinderstube“ sieht völlig deutsch aus, was sie von der polonisierten „kindersztuba“ unterscheidet. Natürlich nur orthographisch, nicht inhaltlich, denn „kindersztuba to dobre wychowanie“ (Kinderstube ist gute Erziehung). Wenn einer herumflucht, wird er mit „gdzie twoja Kindersztuba“ zur Ordnung gerufen: Wo bleibt deine Kinderstube? Nichts gegen Kraftausdrücke, aber „wulgaryzmy w tej kindersztubie“ (Grobheiten in der Kinderstube) sind fehl am Platz!


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