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09.02.08 / Die freie Auswahl / Hochbetrieb an der Single-Börse / Das bleibt in der Familie (Folge 15)

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 06-08 vom 09. Februar 2008

Die freie Auswahl
Hochbetrieb an der Single-Börse / Das bleibt in der Familie (Folge 15)
von Klaus J.Groth

Einige Lebensmitteldiscounter sind auch deshalb beliebt, weil sie im Vergleich mit anderen Lebensmittelfilialisten nur eine begrenzte Auswahl bieten: eine Sorte eingelegte Gurken statt 20, ein Schokomüsli statt einem Dutzend, ein Geschirrspülmittel statt fünf. Auch wenn man es sich nicht unbedingt eingesteht - ohne Auswahl ist das Leben einfacher. Etwas weniger farbig auch, aber Abwechslung hat nun mal ihren Preis. Auch darum zögern viele junge Frauen und Männer, ehe sie eine Entscheidung zur ehelichen Bindung treffen, auch darum werden die Eltern immer älter, ehe das erste Kind zur Welt kommt: Die Auswahl ist unendlich groß. Oder sie scheint zumindest unendlich groß zu sein. Denn bei Nahem besehen, findet sich dann doch immer ein Grund, warum Sie / Er noch nicht die Richtige / der Richtige ist. Mal stimmt der Zeitpunkt nicht, mal ist sie zu klein, mal ist sein Haar zu schüttern, mal nervt ihr Lachen, mal schläft er viel zu lange. So schränkt sich die scheinbar große Auswahl ziemlich schnell ein.

Und dann kommt der große Katzenjammer. Das Leben als Single erweist sich als gar nicht so lustig und abwechslungsreich. Jeder dritte männliche Single fühlt sich oft allein. Die jungen Frauen werden mit der gelegentlichen Einsamkeit besser fertig, nur jeder fünfte weibliche Single klagt über gelegentliches Alleinsein. 63 Prozent der alleinstehenden Frauen genießen es durchaus, ab und zu für sich zu sein.

Trotzdem: Die meisten Single leben nicht aus Überzeugung allein. Sie hatten sich das Leben anders vorgestellt: in trauter Paarbeziehung, mit Familie und allem drum und dran. Wenn es anders kam, lag es selten an der eigenen freien Entscheidung. Den größten Anteil stellen Frauen über 60. Daß Singles alle knackig frisch sind und alle die Freizügigkeit der Abwechslung auskosten möchten, auch das gehört zu den vielen Irrtümern über Singledasein.

So hipp und trendi wie in den Hochglanzmagazinen dargestellt, ist das Singleleben nicht. Der besser verdienende Single, der sonntags um elf Uhr im seidenen Pyjama aus seinem Futon-Bett steigt, sich im durchgestyltem Badezimmer mit Duschgel und Bodylotion fit für die neuerliche Pirsch macht, in einem Schicki-Restaurant ein paar Austern schlürft und ansonsten seine Unabhängigkeit genießt, den mag es als Sonderexemplar irgendwo vereinzelt geben, von der Norm ist er jedoch galaktisch fern.

Die neuen Singles sind meist zwischen 25 und 45 Jahre alt. Für die meisten hat das Single-Dasein mit einer Enttäuschung begonnen. Die steigenden Scheidungsraten sorgen ständig für Nachschub auf dem Markt der Singles. Bereits jeder dritte Erwachsene lebte ohne festen Partner.

Wer den Kontakt zu anderen Menschen verliert, tut sich zunehmend schwerer, neue Kontakte aufzubauen.

Die Möglichkeiten der Informationstechnologie bieten scheinbar die Lösung des Problems: die Single-Börse. Kontaktportale im Internet sind voll im Trend. Nach einer Untersuchung von TNS Infratest lernt bereits jeder Dritte seinen Partner auf diesem Weg kennen. Auf den Seiten der größten deutschsprachigen Kontaktaktbörse – www.neu.de – sind vier Millionen Menschen registriert. Sie alle suchen einen Partner, fürs Leben, für eine nicht genauer definierte Zeitspanne – oder aber auch nur für eine Nacht. Sie alle lassen ein Profil nach Schablone von sich erstellen und hoffen darauf, daß jemand dies Profil als genau passend für sich entdeckt. Wer seinerseits auf ein als passend erkanntes Profil reagieren möchte, der muß Mitgliedsbeiträge an die Kontaktbörse entrichten, immerhin bis zu 30 Euro im Monat.

Neue technische Möglichkeiten bieten auch neue Wege der Kommunikation, dagegen ist absolut nichts einzuwenden. Aber andererseits sind diese Zahlen auch Belege für eine bedenkliche Entwicklung: Wer im Leben überfordert ist, eine Beziehung aufzubauen, der wählt diesen anonymisierten Weg der Kontaktaufnahme und hofft vor dem Computer auf Schmetterlinge im Bauch.

Wer die stürmischen Gefühle der großen Liebe und die wachsende Zuneigung einer anhaltenden Bindung auf chemische Prozesse reduziert, dem mag auch der Flirt via Computer ausreichend erscheinen. Wissenschaftler beschäftigen sich schon seit geraumer Zeit damit, die Liebe zu entzaubern. Herzklopfen, Kribbeln im Bauch, schlaflose Nächte – das sei alles nur eine Frage der Hormone und der Biochemie, sagen diese Wissenschaftler. Die Begierde wird vom Testosteron gesteuert, die engen Bindungen hingegen hängen mit den Substanzen Oxytocin und Vasopressin zusammen. Und für die Altersliebe, die nicht mehr von den brausenden Gefühlen bestimmt wird, sondern von abgeklärter Zuneigung, sind die Endorphine verantwortlich. Sie beruhigen und besänftigen. Sie sorgen dafür, daß die Anwesenheit eines vertrauten Menschen das Gefühl von Frieden und Sicherheit vermittelt.

Das alles ist richtig. Aber es ist nicht ausreichend. Denn wenn uns die Naturwissenschaft auch lehrt, die großen Gefühle nüchterner zu sehen, die Sehnsucht nach einer erfüllten Partnerschaft bleibt. Und zur Partnerschaft  gehört mehr, nämlich Verständnis, Dankbarkeit und Anstand.

Feste Bindungen sind eine Voraussetzung für anhaltende Lebenszufriedenheit. Für viele ist das eine Binsenweisheit. Da aber auch Binsenweisheiten immer wieder ihre Richtigkeit nachweisen müssen, haben Soziologen und Psychologen sich dieses Themas angenommen – sie kamen zu keinem anderen Ergebnis: Eine harmonische Partnerschaft besitzt einen der höchsten Glückswerte. Überraschend ist allenfalls die Tatsache, daß Männer für dieses Glück besonders empfänglich sind und entsprechend im Umkehrschluß nach einer Trennung auf das Dasein als Single eher mit Krankheit und Depression reagieren.

Selbstverständlich sind nicht alle Singles glücklose Sucher nach dem Glück. Manche richten sich ganz gut in ihrem Alleinsein ein. Wer allerdings unablässig und hektisch nach neuen Verbindungen Ausschau hält, kann sein Glück nicht finden. Das gleiche ist der Fall, wenn die Erwartungen an einen Partner zu hoch sind. Dann bleibt immer eine kritische Distanz. Gerät eine solche Beziehung in eine Krise – und die kommt immer – folgt auf die Krise die Trennung, ohne daß die Partnerschaft wirklich eine Chance hatte. 200000 Scheidungen im Jahr plus ungezählte Trennungen sind Spuren einer um sich greifenden Entsorgungsmentalität.

Die freie Auswahl ist für behutsam entwickelte Beziehungen nicht förderlich. Wer auch in einer Partnerschaft weiterhin tun und lassen möchte, was er will, der wird Schiffbruch erleiden. Oder die Beziehung gar nicht erst eingehen. Eine bindungsscheue Gesellschaft ist auch Ausdruck einer gehörigen Portion Egoismus.

Einst verlief der Beginn einer Beziehung nach diesem festen Schema: Erst miteinander gehen, dann schmusen, aber nur ein bißchen, dann die Verlobung – Sex möglichst erst nach dem Segen des Pfarrers. Heute kann der Sex durchaus am Beginn einer Beziehung stehen, alles andere wird man sehen. Warum sollte „Mann“ dann noch das Aufgebot bestellen?

In der nächsten Folge lesen Sie: Der Schnarcher in meinem Bett und andere Probleme – Neuer Trend zur Heirat – Was von der Ehe erwartet wird

 

Familienmenschen und andere

Tim Berners-Lee (* 8. Juni 1955 in London) ist es zu verdanken, wenn heute bereits jede dritte Beziehung über die Partnerbörsen im Internet eingefädelt wird.  Er gilt als der „Gutenberg“ des Cyberspace oder als Vater des Internets. 1993 standen 500 Websites im Internet. Verständlich, daß kaum jemand etwas von dessen Existenz wußte, geschweige denn den Begriff Website kannte. Doch das änderte sich schnell gründlich. Heute wird das Web auf zwölf Milliarden Seiten geschätzt. In Deutschland nutzen 42 Millionen Menschen das Internet, die Zahl hat sich in sechs Jahren versechsfacht. Tim Berners-Lee arbeitete beim Europäischen Kernforschungszentrum CERN in Genf. Er suchte nach einer Möglichkeit, die Ergebnisse der Forschung für eine kleine Gruppe von Nutzern über die Ländergrenzen hinweg zugänglich zu machen. An einen Gebrauch für jedermann dachte niemand. Basis war für Berners-Lee das Internet, das amerikanische Militärs bereits in den 60er Jahren entwickelt hatten. Das allerdings mußte noch über komplizierte Befehlsketten angesteuert werden. Berners-Lee packte noch einige Komponenten hinzu, mit denen die Daten erst richtig laufen lernten: das Übertragungsprotokoll HTTP, die Seitenbeschreibungssprache HTML, das Adressformat URL und die Verlinkung. Am 30. April 1993 gab CERN die Entwicklung frei – und seitdem ist das Internet nicht mehr zu stoppen. 600 Millionen Menschen nutzen es – mailen, surfen, shoppen, buchen oder amüsieren sich mehr oder weniger anständig. Tim Berners-Lee ist durch seine Entwicklung weder berühmt noch reich geworden. Diesen Umstand teilt er mit zahlreichen technischen Pionieren des Internets. Aber Berners-Lee wurde für seine Entwicklung von König Elisabeth II. zum Ritter geschlagen.

Sigmund Freud (* 6. Mai 1856 in Freiberg / Mähre); † 23. September 1939 in London) reduzierte die Liebe auf sexuelle Begierde. Die Theorien des österreichischen Arztes und Tiefenpsychologen sind umstritten. Verheiratet war Sigmund Freud seit 1886 mit Martha Bernays (1861–1951). Das Paar hatte sechs Kinder. Obgleich sich Freud intensiv mit den prägenden Seeleneindrücken während der Kindheit beschäftigte, steht er nicht im Ruf, ein verständnisvoller Vater gewesen zu sein. Das Verhältnis zu seinen Söhnen wird als unterkühlt beschrieben. Mit seinen Töchtern verstand er sich besser, aber auch sie ließ er nicht allzu nahe an sich heran. Freud, der sich intensiv mit zwischenmenschlichen Beziehungen auseinandersetzte, war selbst zu solchen Beziehungen kaum imstande. Auf seine berühmte Couch gelegt (sie befindet sich heute im Freud-Museum in London), hätte der Vater der Psychoanalyse sicherlich eine sehr verzwickte Seelenlage offenbart. Von „dem etwas subtilen Ausforschungsverfahren“, von der „Psychoanalyse“ sprach Freud 1896 zum ersten Mal. 1905 erschienen drei Abhandlungen zur Sexualtheorie. Menschliches Verhalten erklärte Freud zum großen Teil aus dem Konflikt zwischen den triebhaften Impulsen des Unterbewußtseins (Es) und den Kontrollen des strengen Über-Ich. Der von Freud formulierte „Penisneid“, aus dem er Fehlhandlungen von Frauen zu erklären versuchte, gehört heute zu den umstrittensten Behauptungen des Psychoanalytikers.

Foto: Flirt auf der Datenautobahn: Doch das Kribbeln im Bauch bleibt aus.


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