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16.02.08 / Kaum Kraft für Neuausrichtung / Die Nato braucht eine neue Gesamtstrategie, doch das Alltagsgeschäft verhindert Blick auf Größeres

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 07-08 vom 16. Februar 2008

Kaum Kraft für Neuausrichtung
Die Nato braucht eine neue Gesamtstrategie, doch das Alltagsgeschäft verhindert Blick auf Größeres
von Gerd-H. Komossa

In knapp drei Monaten werden die Staats- und Regierungschefs der Nato zu ihrer 60. Tagung in Bukarest zusammentreffen. Die Agenda zu dieser Tagung ist noch nicht fertiggestellt. In den nationalen Ministerien und den hohen Nato-Kommandobehörden wird zurzeit an der Tagesordnung gearbeitet. Wenn die Konferenz eröffnet wird, muß nach bisheriger Praxis das Schlußprotokoll weitestgehend unterschriftsreif sein. Ziel ist, daß in Bukarest über die Situation in Afghanistan und in der Golfregion gesprochen wird, ebenso über das Kosovo-Problem und über eine Änderung der Nato-Strategie. Doch dafür dürfte die Zeit nicht ausreichen.

Die sicherheitspolitische Lage auf dem Balkan ist wenig befriedigend, ein gesicherter Friede noch nicht in Sicht. Es ist damit zu rechnen, daß sich das Kosovo in Kürze einseitig für unabhängig von Serbien erklärt. Die Nato ist darauf vorbereitet und wird in diesem Fall sicherlich das Kosovo völkerrechtlich anerkennen. Eine geschlossene Anerkennung des neuen Staates durch die Nato ist allerdings nicht wahrscheinlich. Die weitere Entwicklung wird entscheidend von der Haltung Rußlands auf dem Balkan abhängen. Bei Abspaltung des Kosovo plant die Nato, sich aus der Region zurückzuziehen und ihre bisherige Aufgabe der Befriedung der EU zu übertragen. Das wäre für die Staats- und Regierungschefs in Bukarest die beste Lösung.

Die meisten Nato-Staaten haben es mit einer Erweiterung nicht so eilig wie die USA. Amerikas Vorstellung ist es, mit Priorität die Ukraine und Georgien aufzunehmen. Doch dem — auch hier wieder — steht Rußland im Wege. Anders als bei dem Anschluß der baltischen Staaten, bei dem sich Rußland mehr oder weniger formal sträubte, wird es hinsichtlich der Ukraine und Georgiens entschieden Widerstand leisten. Doch vorher wird über die Aufnahme von Albanien, Kroatien und Mazedonien in  Bukarest zu sprechen sein. Erst dann kommt Georgien auf die Tagesordnung.

Für die Erweiterung der Nato ist wohl Kroatien am besten vorbereitet. Die Aufnahme in das Bündnis dürfte im April beschlossen werden. Das Land will den Beitritt, und die Nato will das auch. So scheint dies eine reine Formsache zu sein.

Anders sieht es mit Mazedonien und Albanien aus. Auch Albanien will Mitglied von Nato und EU werden, doch ist das Land weniger darauf vorbereitet als Kroatien. Störend für die Aufnahme ist vor allem das Verhalten der albanischen Regierung in der Kosovo-Frage. Auch befürchtet die Nato, daß ein Beitritt Albaniens mehr Schwierigkeiten für das Bündnis bringen würde als Vorteile. Doch der Beitritt neuer Länder soll ja nicht neue Probleme, sondern der Nato wie dem Antragsteller Nutzen bringen.

Mazedonien hat ähnlich wie Polen im Irak schon frühzeitig die Nato mit begrenzten militärischen Verbänden unterstützt, obwohl es kein Mitglied ist. Das will honoriert werden. Es ist wohl auch als Dank dafür zu verstehen, daß auf dem Höhepunkt der Balkankrise Mazedonien durch Nato-Verbände im Lande unterstützt wurde gegen die Gefahren aus dem Kosovo. Die Aufnahme des Landes in die Nato kann heute als sicher gelten.

Hinsichtlich der Erweiterung der Nato dürfte die Konferenz von Bukarest spannend werden durch die nicht präsente Teilnahme Rußlands am Verhandlungstisch.

Sicher scheint zu sein, daß es Sicherheit in Afghanistan auf absehbare Zeit nicht geben wird. Zwar ist der Krieg nicht heiß, doch seit Jahrzehnten gibt es keinen Frieden in dem Land. Seit dem 11. September 2001 ist das Land Nato-Fall und damit ein Problem für uns mit allen denkbaren Risiken. Am Hindukusch hängt alles davon ab, ob sich das Land selbst stabilisieren will. Die Nato ist wohl nicht sicher, welche Strategie hier anzuwenden ist. Niemand will den Konflikt verlängern, alle Länder möchten ihre Verbände gerne herauslösen, doch wie dies zu machen ist, weiß bis heute kein militärischer Planer. Eines Tages wird das Bündnis sich aber die Frage stellen müssen, ob und wann es seine Truppen wieder abziehen muß. Zurzeit lebt das Bündnis von Mandatsverlängerungen.

Für die Bundeswehr ist die Zeit relativer Ruhe an der Front wohl vorbei. Die Nato hat Deutschland gebeten, im Norden des Landes nun auch einen Kampverband der Schnellen Eingreiftruppe (QRF) von 250 Mann einzusetzen. Das heißt, daß der deutsche Einsatz eine neue Qualität erreicht. Sind bisher deutsche Soldaten vor allem Streife gefahren und haben Aufbauarbeiten gesichert, so sind sie nun zum Kampfeinsatz vorgesehen. Der Bundestag wird dem Ersuchen der Nato entsprechen. Verteidigungsminister Jung zeigt sich besorgt. Er sieht aber den deutschen Verband der QRF für den Einsatz gut ausgerüstet. Es gibt jedoch Stimmen, die besorgter klingen als die des Ministers.

Afghanistan kann nicht isoliert betrachtet werden. Die Entwicklung des Landes ist abhängig von der politischen Entwicklung in der ganzen Region. Und hier besonders von Pakistan und der Entwick-lung im Irak. Eine weitere Stärkung der islamistischen Kräfte in der Region muß entscheidende Auswirkungen auf Afghanistan haben. Die Anrainerstaaten sind nicht gerade ausgeprägt westlich orientiert, und die Grenzen Afghanistans sind in ihrer ganzen Ausdehnung durch die Nato militärisch nicht zu sichern. Was also bleibt zu tun, wenn der Islam in der Region den Sieg davon trägt? Jedenfalls kann nicht ausgeschlossen werden, daß eines Tages die Nato hier zwar nicht kapituliert, doch ihre Verbände abziehen muß. Kein Krieg ist ohne Ende.

Bisher ist die Nato in ihrer langen Geschichte politisch und militärisch nicht gescheitert, doch sie steht heute wieder einmal vor ernsten und schwer zu lösenden Problemen. Man wird in Bukarest viele Fragen dis-kutieren müssen und dabei nicht der Frage ausweichen können nach der Stationierung eines US-Raketenabwehrsystems in Polen und der Tschechischen Republik. Rußland wird auf Klarheit bestehen und dabei deutlich machen, daß in seiner Militärdoktrin ein präventiver Einsatz von nuklearen Sprengköpfen vorgesehen bleibt. Wohin die Nato marschiert, das ist die Frage, die auf der Bukarester Konferenz der Staats- und Regierungschefs erörtert werden muß. Wahrscheinlich stellt sich im Laufe dieser Konferenz zunehmend und ernsthaft die Frage nach einer Neuausrichtung ihrer Gesamtstrategie.

Foto: Nato-Gipfel: US-Verteidigungsminister Robert Gates sucht Verbündete.


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