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16.02.08 / Der eurasische Erdgas-Poker / Politischer und ökonomischer Wettlauf um neue Leitungen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 07-08 vom 16. Februar 2008

Der eurasische Erdgas-Poker
Politischer und ökonomischer Wettlauf um neue Leitungen
von R. G. Kerschhofer

„North Stream“, „South Stream“, „Blue Stream“, „Amber“, „Nabucco“, so heißen jene Großprojekte, die den Erdgas-Transport von östlichen Lagerstätten zu westlichen Verbrauchern sichern sollen – als Ergänzung und als Alternative zu den Leitungen durch die Ukraine und Weißrußland. Eine breite Streuung von Transportwegen wäre ganz im Sinne der Verbraucher, denn auch Transitländer können Gashähne zudrehen. Allerdings schließen manche Projekte einander wechselseitig aus, und so kommt es zwischen den Interessenten zu einem Geflecht von teils überlappenden, teils gegensätzlichen Zweckbündnissen.

Verbraucher und Produzenten etwa haben das gemeinsame Interesse, möglichst wenig auf Transitländer angewiesen zu sein. Ideal gelöst ist dies beim Ostsee-Projekt „North Stream“, das Rußland direkt mit Deutschland verbindet. Polen hingegen setzt sich für „Amber“ („Bernstein“) ein, was laut polnischen Angaben viel billiger wäre – und über das Baltikum durch Polen führen würde. Aber selbst der neue Ministerpräsident Tusk, der sich sehr um bessere Nachbarschaft bemüht, beißt in Moskau auf Granit.

Produzenten wiederum müssen bestrebt sein, ein Kartell zu bilden, und Rußland ist tatsächlich dabei, mit den zentralasiatischen ehemaligen Sowjet-Republiken eines aufzubauen. Die sind aber nicht gerade begeistert, denn Rußland würde damit das wichtigste Transitland für ihr Gas bleiben und Preise diktieren können. Besser für die kleineren Produzenten sind alternative Absatzwege, und deshalb schielen alle hoffnungsvoll auf das unter Führung des österreichischen Erdöl- und Erdgaskonzerns OMV vorangetriebene Nabucco-Projekt, das von der Osttürkei nach Österreich (und weiter) führen soll.

Zu den bisherigen Nabucco-Partnern Botas (Türkei), Bulgargaz (Bulgarien), Transgaz (Rumänien) und MOL (Ungarn) konnte die OMV nun auch den größten deutschen Energieversorger RWE gewinnen. Aus Bukarest verlautete vorige Woche zudem – bezeichnenderweise während des Staatsbesuchs von Präsident Sarkozy –, daß Gaz de France der siebente im Bunde sei. In Wien, wo man ein „Mitmischen“ der Franzosen mit gemischten Gefühlen aufnimmt, will man das noch nicht bestätigen. Aber falls es die Électricité de France schaffen sollte, die RWE zu schlucken, hätte man ohnehin mit Franzosen zu tun.

Rußland propagiert die Konkurrenz-Projekte „Blue Stream“ durch das Schwarze Meer in die Türkei, vor allem aber „South Stream“, ebenfalls unterseeisch, nach Bulgarien. „South Stream“, eine Kooperation von Gasprom und ENI, soll teils über Griechenland und die Adria nach Süditalien führen, teils über eine Balkan-Route nach Norditalien. Daß Rußland den Serben verspricht, „South Stream“ über das von „Nabucco“ umgangene Serbien zu führen, hat aber ebenso wie die russische Kosovo-Politik einen handfesten Hintergrund: Gasprom möchte den zur Privatisierung anstehenden Öl-Konzern NIS übernehmen.

Eine unklare Rolle spielt Ungarn: Man ist Nabucco-Partner der OMV, verhandelt zugleich mit Gasprom über „South Stream“ – und scheint hauptsächlich damit beschäftigt zu sein, die Übernahme der MOL durch die OMV zu verhindern.

Bemerkenswert sind auch die Beziehungen zwischen OMV und Gasprom: Die OMV hatte als erster westlicher Konzern schon 1968 mit der Sowjetunion langfristige Gasverträge abgeschlossen, und die 2007 unterzeichneten Verträge mit Gasprom laufen bis 2027.

Für viele überraschend räumt die OMV Gasprom nun eine 50prozentige Beteiligung an der Gashandelsplattform Baumgarten östlich von Wien ein, über die bereits ein Drittel aller russischen Exporte läuft. Baumgarten soll zum größten mitteleuropäischen „Gas-Knoten“ mit riesigen unterirdischen Speichern werden.

Daß die EU für „Nabucco“ einen eigenen „Koordinator“ nominiert hat, ist wenig hilfreich. Viel nützlicher wäre es, sich in der Iran-Politik von den USA abzukoppeln, denn mit iranischem Gas würde sich „Nabucco“ auf jeden Fall rentieren und wesentlich zur Versorgungssicherheit beitragen. Indien und Pakistan etwa haben eben mit dem Iran Verträge zum Bau einer Leitung für iranisches Erdgas abgeschlossen – obwohl sie massive teils militärische, teils sogar atomare US-Unterstützung genießen. Europäische Politiker, die sich gerne mit dem Ansprechen von Menschenrechten, Pressefreiheit und dergleichen profilieren wollen, sollten daran denken, daß das zu Lasten der eigenen Wirtschaft geht und nicht den Betroffenen hilft, sondern ausschließlich der Konkurrenz.


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