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16.02.08 / Eine Schlittenfahrt im Juli / Man muß sich einen besonderen Spaß auch mal etwas kosten lassen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 07-08 vom 16. Februar 2008

Eine Schlittenfahrt im Juli
Man muß sich einen besonderen Spaß auch mal etwas kosten lassen
von Kl. Klootboom-Klooweitschen

Erster Auftritt. Carol traf in seinem damaligen Stammlokal Ledoyen an den Champs-Elysées in Paris einen älteren, sympathischen Jagdfreund, Montmorency. Der hatte eine lebhaft südliche Aussprache. Ein Gespräch entwickelte sich rasch. Carol fragte: „Woher sind Sie?“ „Vom Süden. Und Sie?“ „Vom Norden. Äußerster Süden?“ „Provence. Und Sie?“ „Äußerster Norden. Ostpreußen. Ist die Provence sehr südlich?“ „Zweifeln Sie?“ „Ja. Ist die Gascogne nicht südlicher?“ „Nein, wir sind der Sonne näher. Was glauben Sie, wir können im Juli Eier im Sand garkochen! Wir brauchen sie nur hinzulegen.“

Carol gefiel der Ton und der Mann. Er antwortete: „Das ist gar nichts. Bei mir in Eichenort fahre ich das ganze Jahr rund Schlitten. Wir brauchen uns nur hineinzusetzen.“ Montgomery tat schwerhörig. „Ich habe nicht verstanden. Was fahren Sie?“ „Wir fahren bei mir das ganze Jahr rund Schlitten.“ „Verzeihung. Sagen Sie das bitte noch einmal, wenn Sie können.“ „Gern! Wir fahren das ganze Jahr rund bei mir Schlitten!“ „Jetzt habe ich Sie festgenagelt, Sassenburg! Unmöglich! Unmöglich. Und zum drittenmal unmöglich!“ „Ich kann mein Klima nicht ändern. Ich lade Sie ein. Überzeugen Sie sich, ehe Sie bei mir in Eichenort etwas für unmöglich erklären. Sie brauchen nur in den Schlitten einzusteigen.“

„Ich gehe jede Wette dagegen ein, daß Sie im Juli Schlitten fahren.“ „Die verlieren Sie.“ „Das werden wir sehen. Ich habe ernsthaft Lust, mit Ihnen zu wetten.“ „Ich auch.“ „Um so besser.“ „Für mich!“ „Ich wette 10000 Franken, daß Sie nicht im Juli Schlitten fahren können.“ „Ich halte die Wette, mein lieber Herr und Freund. Ich fahre mit dir Schlitten.“ „Es gilt!“

Montgomerency war voll Vergnügen und Eifer. „Also 10000 Franken“, sagte Carol gelassen. „Herr Ledoyen, lassen Sie bitte einen Notar kommen.“

Der Notar kam und besiegelte das Dokument. Es enthielt das Datum des 3. März 19XY zu Paris. Es beurkundete mit den Ketten des Rechtes eine Wette, dergestalt, daß die Wette um 10000 Franken gewonnen oder verloren wird. Montgomerency muß bezahlen, wenn eine Schlittenfahrt im Juli in Eichenort möglich ist. Carol muß bezahlen, wenn nicht.

Dritter Auftritt. Die Provence stöhnte unter Juligluten. Montgomerency mußte kräftig lachen. Er öffnete ein Telegramm aus Eichenort: „Herzliche Einladung zur Schlittenfahrt. Eilen Sie, sonst taut der Schnee. Sassenburg-Eichenort“.

Montgomerency fuhr nach Paris. Dort war es merklich kühler. Er hatte eine Konferenz mit seinem Freunde Flammarion, der von arktischen Kraftluftpolstern philosophierte und nicht ja noch nein sagte.

Montgomorency fuhr weiter nach Berlin. Frischere Luft. Er hatte eine Konferenz mit Wilhelm Bode im Kaiser-Friedrich-Museum über seinen Rembrandt. Bode lachte: „Ostpreußen? Kenn ich von Fried­richstein her. Dort ist alles möglich. Mein Freund August Dönhoff pflegt zu sagen: Ich will vom ostpreußischen Wetter nur eins sicher prophezeien. Man kann im Juli bestimmt nicht Schlittschuh laufen. Aber Schlitten fahren? Wer weiß?“

Montgomerency depeschierte und nahm den Schnellzug nach Rastenburg. In Rastenburg war kühlere Luft. Von Schnee keine Spur. Am Bahnhof standen die verschiedenen Abholer. Kein Schlitten darunter. Ein Wagen mit vier Pferden, vom Sattel gefahren, hielt vor dem Hauptportal der Station. Roßmuth, im Schafpelz, erkannte sofort den Gast aus der Provence und bat ihn, im Wagen nach Eichenort Platz zu nehmen. Er hing ihm einen Fahrpelz über, brachte eine Pelzmuffe und knüpfte eine schwere Pelzdecke fest. Das Gepäck wurde verstaut. „Wozu der Viererzug am leichten Wagen? Und wozu das Pelzwerk? Ist das bei euch landesüblich?“ „Wir kommen sonst nicht durch, Eure Hoheit!“ „Was sollen die beiden Reiter da vorn mit dem Spaten?“ „Das sind die Vorreiter zum Ausgraben. Wir haben auf der Herfahrt ausgraben müssen.“ „Ja, woraus denn in aller Welt ausgraben? Was meinen Sie mit dem Ausgraben?“

Roßmuth schlug den Kutschenschlag zu und sagte: „Wenn wir im Schnee steckenbleiben!“ Nachdem er das kühne Wort gesagt hatte, eilte er verdächtig schnell nach vorn, um auf den Kutschbock aufzusteigen. Montgomorency rief vorwurfsvoll: „Pfui! Du hast getrunken! Abfahren!“

Es ging hinauf in die Wälder. Sie waren grün. Aber ein kalter Wind wehte. Die Fahrt war lang. 30 Kilometer. Allmählich sank der Abend herab. Der Gast aus Frankreich blickte unwillkürlich aus einer seelischen Abwehr immer wieder sorgend nach rechts und links auf die Feld- und Waldstücke. Er beruhigte sich immer wieder. Es war alles sommerlich grün.

Als es dämmerte, fingen die Hufe der Pferde und die Räder des Wagens an, eigentümlich zu knirschen. Montgomorency warf einen erschrockenen Blick auf die Straße. Sie war schneeweiß! Das Knirschen und Mahlen wurde stärker. Der Gast aus der Provence traute seinen Augen nicht. Die vier Pferde mühten sich und schwitzten durch Schneewehen bis an die Bäuche, der Wagen sank bis an die Achsen hinein, der Schnee türmte sich auf. Der Wagen hielt. Die Vorreiter sprangen ab und schaufelten eifrig die Wagenräder aus. Unter wildem Johlen wurden die Pferde angetrieben. Vergebens! Der Wagen stockte, legte sich schräg und war nicht vorwärts zu bringen.

Klirrendes, melodisches Schellengeläut im Traberruck und -zuck drang die große Eichenallee hinauf. Glöckchengeklingel und Pferdegewieher, blitzende Laternen und flatternde Behänge! Ein Schlitten, bespannt mit einem Viererzug Rappen, jagte heran. Carol im Pelz rief herüber: „Steigen Sie bei mir ein! Eichenort begrüßt Sie von Herzen! Aber schämen Sie sich! So dicken Schnee mitzubringen!“

Montgomorency wurde im Triumph die lange Eichenallee zum Schloß gefahren. Zur Rechten Carols sitzend, durch das nachtdunkle Eichengewölbe, auf schneeweiß stiebender Schlittenbahn, im vollen Galopp des Viererzuges, im Geläut der silbernen Glöckchen, und so über den weiten Platz, der in seiner ganzen Größe schneebedeckt dalag. Und so vor das alte weiße Haus, das dastand als ein strahlender Anblick, die Fensterreihen blinkten von Lichtern, und so vor die Haustür, die mit weißbeschneiten Tannengirlanden geschmückt war. Der Widerhall der Schlittenglocken klang von allen Seiten zurück.

Der Schwung der Überraschung riß Montgomorency hin. Beim Aussteigen schüttelte er den Schnee ab und rief Carol zu: „Eine herrliche Schlittenfahrt! Gerade, weil sie unmöglich ist, Sie Magier! Das nenn ich eine königliche Begrüßung! Also das ist Eichenort im Juli!“ Feierliche Umarmung.

„Daß Sie ein Sassenburg sind, wußte ich! Daß Sie aber Macht über die Elemente haben, weiß ich seit heut!“ Er schnippte sich den Schnee vom Pelz. Ein Körnchen Schnee führte er zum Munde. Mit einer Grimasse lachte er Carol an: „Salziger Schnee!“

Hochgehende Festwogen folgten. Es war wohl der schönste und geglückteste Abend, den Eichenort jemals gesehen hat. Es war vielleicht der Höhepunkt von Carols törichtem Leben. Aber wer erkennt schon den Höhepunkt im zerrinnenden Augenblick, während er ihn erlebt?

Der zweite Auftritt hatte sich vier Wochen vorher abgespielt. Gutsbüro in Eichenort. Vor Carol sein langjährig verbundener Lieferant Budgereit, der für den Herbst über Viehfutter und Kunstdung abschloß. Carol betrachtete prüfend die bunte Reihe der Probegläser mit den verschiednen Sorten von Kunstdünger. Er fragte: „Budgereitchen, nun sag mir mal, welches ist die weißeste Mischung in deiner Giftküche?“ Budgereit, höchst erstaunt: „Die weißeste? Wieso die weißeste?“ „Möglichst weiß wie Schnee!“ „Weiß? Dies ist weiß.“

Carol nahm das Probeglas, öffnete den Stöpsel und schüttelte den Inhalt zum Fenster hinaus. „Schön, sehr schön“, sagte er und blickte auf den Kiesweg vorm Haus. „Wie heißt das Zeug?“ „Schwefelsaures Ammoniak, das beste für die Hack­frucht.“ „Kannst du das als Fixgeschäft liefern, prompt zum Termin?“ „Jede Menge sicher wie Gold und zu jedem Tag.“ „Na, dann liefer mir mal zum 1. Juli prompt etwas schwefelsaures Ammoniak, sagen wir ... zehn Waggons, adieu!“

Verdutzter war Budgereit nie. Aber er lieferte prompt. Daher kam es, daß in der Grafschaft Eichenort in jenem Jahre eine sagenhaft reiche Ernte eingebracht worden ist, Kartoffeln wie Melonen und Rüben wie Kürbisse, weil ein Montgomorency aus dem reinsten Blut Frankreichs über den Kunstdung Schlitten gefahren war. Bei jeder Ernte von dicken Kartoffeln erzählen die Leute noch heut von dem Märchenbilde der Schlittenfahrt im Juli, die der Carol für einen provenzalischen Königssohn veranstaltet hat.

Ein kleines Nachspiel hat einige Wochen nach der Fahrt beim Frühstück stattgefunden. „Geben Sie mir das Salz zum Frühstücks­ei!“ sagte die alte Kusine Goby zum Güterdirektor Hintersass. Er seufzte vernehmlich, durch gekniffene Lippen atmend: „Ach, du lieber Gott! Ich kann Salz schon gar nicht mehr sehen! Alles schmeckt nach schwefelsaurem Ammoniak. Wenn er doch wenigstens Kali genommen hätte! Das hätten wir für die Winterung brauchen können, und es wäre billiger gekommen. Oder Guano?“ „Ja, wollen Sie lieber Guano zum Ei nehmen?“ fragte Kusine Goby maliziös. Man lachte. „Was mag das Ganze gekostet haben?“ fragte der dicke Münzgelehrte Schlank. „Ach, du lieber Gott! Wenn er doch Kali genommen hätte! Das hätte mehr gebracht.“ „Gebracht? Glaub ich nicht. Sie meinen ein Heidengeld gekostet!“ „Die Rechnung von Budgereit über das Ammoniak macht 8037 Mark und 80 Pfennig. Ach, du lieber Gott! Die Reichsbank hat vorige Woche über den Credit Lyonnais von Montgomorency die Franken mit zehn Mille überwiesen. Der Kurs ist so schlecht! Die machen 8120 Mark und 33 und eigentlich noch ein Drittel Pfennig, aber die Bruchteile zahlt die Reichsbank nicht aus. Ach, du lieber Gott! Worüber ich nicht aufhören kann, mich zu wundern: Bei solchen Sachen macht er schamlos 92 Mark und 47 Pfennig Überschuß!“


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