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23.02.08 / Zurück in den Laufstall / Wie den Eltern die Autorität abhanden kam / Das bleibt in der Familie (Folge 17)

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 08-08 vom 23. Februar 2008

Zurück in den Laufstall
Wie den Eltern die Autorität abhanden kam / Das bleibt in der Familie (Folge 17)
von Klaus J. Groth

Der Laufstall hatte ausgedient. Verbannt oder entsorgt war er als Zeichen reaktionärer Erziehung. Allein schon die Gitterstäbe! War das nicht pädagogisches Mittelalter? War das nicht Inbegriff der Bewegungseinschränkung des Kindes? Überkam nicht jedermann das Mitleid angesichts eines eingesperrten Babys im Käfig? Nein, der Laufstall war unmöglich! Er paßte einfach nicht zu der antiautoritären Erziehung, die seit den 60er Jahren über die Kinderzimmer schwappte.

Meist sind es Kleinigkeiten, die auf grundlegende Veränderungen hindeuten. Beispielsweise der Laufstall. Der wird gegenwärtig  ideologisch entrümpelt und steht nun, im Jahr 2008, wieder frisch gestrichen in den Kinderzimmern. Denn, so erklären aufgeklärte junge Eltern voller Stolz, gerade so ein Laufstall sei ein beschützter Raum, in dem das Baby ein Sicherheitsgefühl entwickeln könne. Die Gitterstäbe, die seien doch ideal, um sich daran hochzuziehen, die ersten Schritte ins Leben zu machen. Plötzlich ist der Laufstall wieder was.

Nicht alles, was während eines gesellschaftlichen Umbruchs über Bord geworfen wird, ist auch wirklich entbehrlich. Das zeigt das kleine Beispiel vom Laufstall. Es zeigt aber auch: Wer alles 100prozentig richtig machen will, der neigt zu Übertreibungen. Zumal, wenn er von einem schlechten Gewissen getrieben wird.

Nachdem die Frauen in den 60er Jahren begannen, verstärkt ins Berufsleben zu drängen, standen sie vor einem Dilemma. Sie mußten versuchen, Partnerschaft, Kind und Beruf unter einen Hut zu bringen. Vorbilder dafür gab es nicht. Und in einem der drei Bereiche gab es garantiert immer ein Defizit. Bei dem Versuch, alles 100prozentig zu machen, war das schlechte Gewissen zwangsläufig.

Und die Gesellschaft trug ihren Teil zu diesem schlechten Gewissen bei. Sie brachte es auf die einfache und damals gängige Formel: Mutter berufstätig – Kind vernachlässigt. Das kollektive Mitleid galt dem Schlüsselkind, ein vermeintlich trauriges Wesen, das mit dem Haustürschlüssel um den Hals zur Schule geschickt wurde, mittags in die leere Wohnung zurückkehrte, sich das Essen aufwärmen mußte und mutterseelenallein über seinen Hausaufgaben brütete.

Nun muß aber, allen damaligen Unkenrufen zum Trotz, heute eine Hinwendung zum Kind registriert werden, die ohne Vorbild ist. Denn es ist ein Phänomen dieser Zeit, daß die lieben Kleinen entscheiden, welches Auto gekauft und welches Urlaubsziel ausgewählt wird. Zudem: Die alleinige Zuständigkeit der Eltern oder der Mutter  für die Erziehung des Kindes in der Familie entspringt auch einer Entwicklung neuerer Zeit. In der vorindustriellen Zeit waren in allen Schichten nicht die Eltern die alleinigen Erzieher, sondern es waren immer viele andere Personen (aus der Familie) mitbeteiligt. Kindererziehung war außerdem eine Sache, die quasi nebenher erledigt wurde.

Manche Erziehungswissenschaftler und Historiker ziehen daraus den Schluß, auch die emotionale Bindung der Mutter an das Kind sei niemals so ausgeprägt gewesen, wie das heute der Fall ist. Das ist zumindest ein gewagter Schluß. Richtig ist aber: In armen Familien war es früher üblich, daß die Mütter mit für den Lebensunterhalt arbeiteten, in den wohlhabenden Schichten standen sie dem Haushalt mit vielfältigen Aufgaben und Repräsentationspflichten vor. Die gefühlsmäßige Beziehung zum Kleinkind konnte schon deshalb nicht so eng sein, weil ein großer Teil der Säuglinge starb – aus Kirchenbüchern geht hervor, daß oft genug nur zwei oder drei von einem Dutzend Kindern in einer Familie das Teenageralter erreichten. Noch bis ins 20. Jahrhundert mußten Kinder ihre Eltern mit „Herr Vater“, „Frau Mutter“ und „Sie“ anreden. Das sind Zeichen einer Distanz, die uns heute unverständlich erscheint.

Solche Vorstellung von Erziehung war allerdings auch schon lange Vergangenheit, als die Familie in den 60er Jahren zum Versuchslabor wurde. Das nun wiederum ist gerade mal 40 Jahre her. Aber diese Zeitspanne reicht aus, um im Jahr 2008 die Gazetten mit verklärten Jubiläumsartikeln über die 68er zu füllen. 40 Jahre sind zwar nicht unbedingt ein klassisches Jubiläumsdatum, aber die Freunde der 68er können es offenbar nicht abwarten, bis sie in Jubelstimmung in ihre verklärte Vergangenheit blicken dürfen.

Sei es drum. Wer ergründen will, wann in der Erziehung das Kind mit dem Laufstall ausgeschüttet wurde, der kommt auch im Jubiläumsjahr nicht an den 68ern vorbei. Es war die Zeit großer gesellschaftlicher Umbrüche. Die Anti-Baby-Pille erlaubte eine bis dahin unbekannte sexuelle Freiheit, die Frauen forderten verstärkt ihre Rechte ein, und die Studenten probierten die Revolte. Jegliche Autorität war verdächtig. 

Erziehen und Erziehung, das war prinzipiell und grundsätzlich verkehrt. Allenfalls mit dem Zusatz „antiautoritär“ konnte das durchgehen. Grenzen wurden aufgehoben, alles war gleich und alles auf Du und Du. Wer etwas auf sich hielt, der sorgte dafür, daß seine Kinder nicht allzu „dressiert“ wirkten. „Dressiert“ war, wer die allgemeinen (damals noch gültigen) Umgangsformen auch nur halbwegs beherrschte. 

Die Eltern haben es nur gut gemeint! Und so darf nun nicht sein, was kommen mußte: Gewalt auf und vor den Schulhöfen, eine Generation, die immer schneller zuschlägt, lernfaule Schüler, deren elementare Kenntnisse nicht einmal für die schlichteste Lehre ausreichen, orientierungslose Studenten, die auf jedes abgebrochene Studium ein neues draufsatteln, eine wachsende Entfremdung zwischen den Generationen – all das gehört zu den Schäden ungebremster Antiautorität.

Inzwischen ist das Erschrecken groß. Allenthalben werden Auswege aus der erzieherischen Orientierungslosigkeit gesucht. Dabei werden zum grenzenlosen Erstaunen vieler die Grenzen neu entdeckt. „Ein Kind braucht Grenzen“, dieser Satz gehört ebenso ins gegenwärtige Repertoire wie „Ein Kind braucht Vorbilder“. Richtig, möchte man spontan sagen – und stellt dann fest, daß es genau das Gegenteil dessen ist, was bisher als allein gültig verkündet wurde.

Plötzlich wird entdeckt, daß es ein Kind keineswegs überfordert, wenn es grüßt, daß es dem Frieden auf dem Schulhof förderlich sein kann, wenn die Verwendung von Schimpfwörtern verboten wird. Allerdings dreht sich der Wind so einfach nicht. Das geht nicht ohne Gegenwind. Als Schülerinnen untersagt werden sollte, allzu aufreizend gekleidet zum Unterricht zu erscheinen, da drosch die veröffentliche Meinung derart grob auf die vorgeblich prüden Pädagogen ein, daß selbst der „Spiegel“ fragte: „Wer den Eltern für Miss-Sixty-Hosen, die nur den halben Po bedecken, damit das Tanga-Etikett sichtbar bleibt, 150 Euro abknöpft, was hat der eigentlich für ein Gesellschaftsverständnis?“

Im Zweifelsfall hat das Mädchen  das erlernte Gesellschaftsverständnis. So, wie sie oder er es zu Hause mitbekommen hat, es auf dem Schulhof oder im Freundeskreis aufnahm. Auffallenderweise sind die Diskussionen um die Defizite der Erziehung in jüngster Zeit von Pädagogen ausgegangen, nicht von den Eltern, die diese Defizite täglich auszubaden haben. Die Probleme tauchen immer dort auf, wo die Eltern bereits kapituliert haben.  

Aber weder Kindergarten noch Schule können Reparaturbetrieb für das Elternhaus sein. Werte und Kultur vermittelt die Familie, in die das Kind geboren wird. Und zwar noch ehe es Worte verstehen oder sprechen kann. Ganz einfach durch das (Er-)leben (in) der Gemeinsamkeit. Die Gleichmäßigkeit eines Tagesablaufs prägt, ohne daß sie bewußt verstanden wird. Das bedeutet jedoch auch: Vermitteln läßt sich nur, was vorhanden ist. Wenn in einer Familie kein Geist der Zuwendung und des Verständnisses herrscht, kann er auch nicht vermittelt werden. Alles, was ein Kind hört und sieht, nimmt es voller Vertrauen auf. Ein Kind hinterfragt nicht.

Wenn aber schon den Eltern die Vorbilder abhanden kamen, wie sollen sie dann selbst Vorbild sein können? Das ist das Dilemma, in dem sich nicht wenige junge Eltern befinden: Sie können nur weitergeben, was sie selbst erlebt haben. Auch wenn sie heute erkennen, daß da einiges nicht richtig gelaufen ist bei ihren Eltern.

In der nächsten Folge lesen Sie: Die heimlichen (Mit-)Erzieher – Fremdbestimmt in der Krippe? – Eine neue Geschäftsidee

 

Familienmenschen (und andere)

Friedrich Wilhelm August Fröbel (* 21. April 1782 in Oberweißbach / Thür. Wald; † 21. Juni 1852 in Schweina) gründete 1840 den ersten deutschen „Kindergarten“ in Bad Blankenburg (Thüringer Wald). Der Pädagoge war ein Schüler Pestalozzis. Zuvor hatte er jedoch eine Landwirtschafts- und Försterlehre absolviert. Nach einer Anstellung als Hauslehrer gründete er 1816 die „Allgemeine Deutsche Erziehungsanstalt“. Fortan widmete er sich vollkommen den Fragen der kindlichen Erziehung. Er brachte mehrere Zeitschriften heraus, die sich mit dem Thema befaßten, unter anderen „Die erziehenden Familien“ und „Grundzüge der Menschenerziehung“. Vor allem Erziehung und Heranbildung der Kinder im vorschulischen Alter war sein Anliegen. 1851 wurde in Preußen und in anderen Staaten ein Verbot der Kindergärten erlassen. Im gleichen Jahr hatte Fröbels Neffe Karl Fröbel eine Schrift unter dem Titel „Weibliche Hochschulen und Kindergärten“ herausgebracht. Möglicherweise lag bei dem Verbot eine Verwechslung der beiden Fröbels vor. Die Kindergärten wurden wegen „destruktiver Tendenzen auf dem Gebiet der Religion und Politik“ als „atheistisch und demagogisch“ geschlossen. Ein Jahr später starb Friedrich Fröbel. Erst acht Jahre später wurden die Kindergärten 1860 wieder zugelassen. Der Mann, dessen ganzes Leben den Kindern galt, blieb – zweimal verheiratet – kinderlos. 

Bernhard Bueb (* 24. Oktober 1938 im heutigen Tansania) wurde einer breiteren Öffentlichkeit durch seine 2006 veröffentlichte Streitschrift „Lob der Disziplin“ bekannt. Der ehemalige Leiter des Internats „Schule Schloß Salem“ (1974–2005) fordert in der Erziehung einen Wechsel von „Führen und Wachsenlassen, Disziplin und Liebe, Kontrolle und Vertrauen“. Ordnung, Selbstüberwindung und Gehorsam seien für die Entwicklung eines jungen Menschen wichtige Stützen auf dem Weg zu innerer Freiheit. Zu frühe Unabhängigkeit überfordere Kinder. An die Erwachsenen appellierte er, wieder Mut zur Erziehung zu zeigen, den tabuisierten Begriffen Autorität und Disziplin wieder einen Sinn zu geben. Dazu zählte er auch die Bereitschaft zur Bestrafung. Jugendliche und Kinder verlangten nach Orientierung und Führung. Zudem forderte er, Kinder sollten ihren „überbetreuenden Müttern entzogen werden, die es viel zu gut meinen und die Kinder zu lauter Egoisten erziehen.“ Bei solchen Thesen wider den Zeitgeist mußte der Pädagoge und Theologe Bueb mit heftigem Gegenwind rechnen. Der wehte ihn von Fachkollegen scharf an. Seine Thesen wurden als „Dämlichkeiten“ und „ungehemmt totalitär“ bezeichnet, es wurden ihm rechtsextreme Bildungsideale unterstellt. Zudem wurde ihm vorgeworfen, das liberale Gesellschaftsmodell generell in Frage zu stellen und ein autoritäres Weltbild zu verkünden. Ehemalige Schüler Salems aber, von der Wochenzeitung „Die Zeit“ befragt, beurteilten im Rückblick die erfahrene Disziplin als durchaus positiv.

Foto: Einst verpönt, jetzt wieder im Kommen: Der Laufstall bietet durchaus Vorteile.


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