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23.02.08 / Noch davongekommen / »Lauf, Karen, lauf!« – ein Mädchen flüchtet aus Ostpreußen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 08-08 vom 23. Februar 2008

Noch davongekommen
»Lauf, Karen, lauf!« – ein Mädchen flüchtet aus Ostpreußen

Es gibt durchaus einige Bücher, welche die Flucht aus Ostpreußen im Januar 1945 schildern, die über das brüchige Eis des Frischen Haffs Richtung Gotenhafen führte, von wo aus die Flüchtenden hofften, mit der „Wilhelm Gustloff“ nach Kiel zu entkommen. Zahllose Tragödien haben sich durch den Untergang dieses Schiffs abgespielt, nur wenige haben überlebt.

Doch was geschah eigentlich mit den Menschen, die überlebten oder unversehrt mit einem anderen Schiff wie der „Hansa“ im Kieler Hafen einliefen?

Karen Marin berichtet in „Lauf, Karen, lauf!“ die Geschichte ihrer Kindheit, wie sie als Sechsjährige mit ihrer Mutter und ihrem Bruder zu Fuß nach Gotenhafen flüchtete, während der Vater noch an der Front kämpfte.

Am Schiffsanleger trafen sie nach all den Strapazen auf die ehemalige Nachbarin Frau Jansen mit ihren zwei Kindern.

„Dann wandte Frau Jansen sich wieder Karens Mutter zu, und sie hörte sie lauthals rufen: ,Haben Sie auch Karten für die Gustloff?‘ – ,Nein!‘ Die Mutter schrie aus voller Kehle: ,Wir haben Karten für die Hansa!‘ – ,Bitte Frau Marin‘, und Angst schwang in dem Ruf von Frau Jansen mit, ,so tauschen Sie doch Ihre Karten und kommen mit Ihren Kindern auf die Gustloff. Dann sind wir alle beisammen.‘“

Karens Mutter lehnte jedoch ab, und während Frau Jansen und ihre Kinder das grausame Schicksal der Vielzahl der Passagiere der „Wilhelm Gustloff“ teilten, erreichten Frau Marin, ihr Sohn Werner und Karen wohlbehalten ihr Ziel.

In Kiel angekommen, ging es weiter nach Eckernförde, Karens Geburtsort und gedanklicher Rettungsanker in dieser stürmischen Zeit, wo ihre noch junge Welt auf den Kopf gestellt wurde und nichts mehr wie vorher sein sollte. Denn selbst das „Gänseblumen-Haus“, das Haus, in dem Karen geboren und den bisher größten Teil ihres bisherigen Lebens verbracht hatte, war nicht mehr das gleiche wie einst.

„Mit einer Mischung aus Ungläubigkeit und Entsetzen erlebten Werner und Karen, wie die Mutter forsch und zielstrebig am Gänseblumen-Haus vorüberging. Was hatte das zu bedeuten? Ach was, sie hatte sich bestimmt geirrt, war sicherlich müde. ,Hier ist es doch, Mutti! Halt! Hier ist es doch! Komm‘, Werner und Karen drehten sich um, liefen zu ihr, wollten die Mutter zurückholen, sie am Ärmel zum Haus hinüberziehen. Abrupt entzog die Mutter ihnen den Arm, blieb stehen: ,Ich mochte es euch einfach nicht früher sagen. Aber wir müssen jetzt ganz tapfer sein‘, versuchte sie zu erklären. ,Hier wohnt jetzt eine andere Familie. Unser Haus ist nicht mehr unser Haus. Es wurde unserer Familie nur so lange von der Torpedo-Versuchs-Anstalt zur Verfügung gestellt, wie Vati dort beschäftigt war.‘“

In diesem Moment bricht für Karen und Werner zwar eine Welt zusammen, aber tapfer folgen sie der Mutter ins naheliegende Flüchtlingslager.

Als Ironie des Schicksals erscheint es dem Leser an dieser Stelle, daß Karen, ihre Mutter und ihr Bruder in die ehemaligen Wohnbaracken der „Nummern-Menschen“, wie Karen die Insassen des Arbeitslagers vor dem Krieg immer genannt hatte, ziehen mußten.

Voller liebevoller Details stecken die Erzählungen Karen Marins. Ob es jene an die Bäckerei Meewes mit dem Brezel-Knauf an der Tür sind, wo sie vor dem Krieg immer Blockmalzbonbons oder Sahnekaramellen bekommen hatte, oder die an die Zeit, als ihre Mutter und Vater vor dem Krieg im Gänseblumen-Haus noch glücklich miteinander waren.

Der Schmerz des Verlustes, den die damals sechsjährige Karen Marin, wie so viele Menschen damals, hat erleben müssen, ist für den Leser nahezu greifbar.

Das Unverständnis des Mädchens für den Umstand, kein Geld mehr für eine Süßigkeit zu haben, und die Tatsache, daß die einst so hübsch angezogene Mutter in schäbiger Kleidung, ihr Haar von einem Kopftuch bedeckt, „hamstern“ gehen mußte und es trotzdem immer nur Steckrüben gab, erfüllt den Leser mit Mitgefühl.

„Lauf, Karen, lauf!“ ist eine sehr traurige und eindringlich geschilderte Lebenserinnerung mit einer ganz persönlichen Note. A. Ney

Karen Marin: „Lauf Karen, lauf! – Roman einer Kindheit von 1939 bis 1947“, Husum Verlag, Husum 2007, broschiert, 198 Seiten, 8,95 Euro


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