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23.02.08 / »Verlier ihn nicht wieder?« / Die Halbwertzeit eines Regenschirms ist schwer zu beurteilen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 08-08 vom 23. Februar 2008

»Verlier ihn nicht wieder?«
Die Halbwertzeit eines Regenschirms ist schwer zu beurteilen
von Werner Hassler

Dunkle Wolken ballten sich drohend am Himmel zusammen. Bei solchem Wetter bleibt man besser zu Hause. Aber ich mußte fort – und das ausgerechnet noch zu Fuß, da sich mein Wagen gerade in Reparatur befand. Bei solchen Umständen empfiehlt es sich nicht, das Haus ohne Regenschutz zu verlassen.

„Nimm deinen Schirm mit“, lautete dann auch der gutgemeinte Rat meiner treusorgenden Frau. Und prompt folgte im selben Atemzug die eindringliche Mahnung: „Aber verlier ihn nicht wieder!“

Verlier ihn nicht wieder! Die Art und Weise, wie sie das sagte, mit einem gewissen Triumph in der Stimme – es klang fast beleidigend für meine Ohren. Das reibt sie mir nämlich jedesmal unter die Nase, wenn ich mit einem Regenschirm das Haus verlasse. Und das wurmt mich längst gewaltig. Aber sie kann es halt nicht vergessen, daß ich mal vor fast zwei Jahren einen Regenschirm verzettelt habe. Ich habe es erst bemerkt, als der Regen aufhörte und ich den Schirm schließen wollte. Aber da war kein Schirm mehr da. Und wo er abgeblieben war, mochte nur der Schutzpatron der Regenschirme wissen!

Der Regen prasselte stärker und ein böiger Wind blies ungemütlich. Solch eine Windbö zauste mit all ihrer Naturgewalt an meinem Regenschirm. Ein eigenartiges Geräusch verhieß nichts Gutes. Der Blick nach oben bestätigte meine schlimme Ahnung: Vier Schirmstangen waren geknickt, drei weitere hoffnungslos verbogen, und dazwischen flatterten schwarze Stoffetzen, die noch vor Sekunden zu dem behütenden Dach eines intakten Regenschirmes gehört hatten. Mit dem Wrack in der Hand flüchtete ich mich in das nahe Kaufhaus.

Ziellos wandelte ich zwischen den Regalen und sann über meine Lage nach. Das Plakat war wirklich nicht zu übersehen: „Unser Preisschlager: Regenschirme – nur zehn Euro das Stück“, stand in schönster Zierschrift darauf. Ich überlegte. Wollte ich nicht wie ein begossener Pudel zu Hause ankommen, womöglich mir noch einen handfesten Schnupfen einhandeln, blieb mir keine andere Wahl, als bei diesem Angebot zuzugreifen. Schließlich wäre das weitaus günstiger als eine teure Taxifahrt nach Hause. Ich suchte nach einem Schirm, der dem meinen haargenau glich. Trotz des Schirmkaufs, war die Verkäuferin nicht bereit, mein zerzaustes Stück zur Entsorgung entgegenzunehmen. Darauf sei man schließlich nicht vorbereitet. Das sah ich notgedrungen ein.

Aber ich überlegte, wie ich mich unbemerkt des von Stoffetzen umgebenen Stangensalats entledigen könnte. So schlenderte ich der Werkzeugabteilung zu, aber nur deshalb, weil sich dort im Moment recht wenige Kunden aufhielten. Scheinheilig interessierte ich mich für einen Hobel, obwohl ich nicht einmal wußte, wie man solch ein Ding in den Händen halten sollte. Ich schielte nach allen Seiten. Die Gelegenheit, schien günstig, denn ich fühlte mich unbeobachtet. Schnell entledigte ich mich des Schirmes, den ich kurzerhand an das Hobelregal hängte. Erleichtert verließ ich das Kaufhaus.

Der Regen prasselte immer noch. Ich wollte den Schirm aufspannen. Aber es blieb bei dem Versuch. Das war ja auch kein Wunder, denn in meinen Händen hielt ich die kümmerlichen Überreste meines alten Regenschirmes. Vertauscht! Ich dachte an das gute Stück in der Werkzeugabteilung und sauste in das Kaufhaus zurück. Aber dort, wo eben noch lustig ein funkelnagelneuer Regenschirm am Hobelregal baumelte … Er war weg. Verschwunden. Unbemerkt ließ ich wenigstens mein Schirmwrack zu Boden gleiten und beförderte es mit einem kräftigen Fußtritt unter das Regal.

Ich verwünschte den gemeinen Schirmdieb und suchte zähneknirschend wieder den Schirmstand auf. Die Verkäuferin blickte mich verwundert an. So verwundert, daß ich in diesem Augenblick gern über die Gabe des Gedankenlesens verfügt hätte. Gottlob überkam mich dieses Wunder nicht, denn dann wäre es sicherlich zu einer heftigen Auseinandersetzung gekommen. Ich zahlte nochmals zehn Mark.

Neu beschirmt steuerte ich auf die Bushaltestelle zu. Ich stieg in den Linienbus ein. Ein lautes Hallo und ein freundliches Winken galten meiner Person. Der Rufer war mein alter Kumpel Winfried. Ich setzte mich neben ihn, und bald waren wir in ein Gespräch vertieft. Den Schirm hängte ich in den Haltegriff vor mir, da ich meinem Kumpel unbedingt zeigen wollte, welche Größe der letzte Karpfen hatte, den ich aus dem Clubweiher geangelt hatte.

Dazu braucht man ja schließlich zwei freie Hände. Dann beklagten wir die letzte Heimniederlage unseres Fußballclubs und schimpften gemeinsam über die hohen Abwassergebühren. Wir waren so ins Gespräch vertieft, daß ich fast meine Haltestelle verpaßt hätte.

„Mußt du nicht hier aussteigen?“ erinnerte mich Winfried. Ich sprang auf und steig eilends aus. Das Wetter hatte sich völlig verwandelt. Der Himmel war klar, und drüben, unter dem Abfallkorb der Haltestelle, stritten sich einige Sperlinge um ein verlassenes Brötchenstück.

Zu Hause empfing mich meine Frau mit strafenden Blicken, als stünde ein unmündiges Kind vor ihr. Es traf mich wie Nadelstiche, als sie sagte: „Als hätte ich es geahnt – hast du schon wieder deinen Regenschirm verloren!“

„Neiiin!“ schrie ich einer Ohnmacht nahe und dachte an den Autobus Linie 6.

Immerhin gab es einen Hoffnungsschimmer – vielleicht hatte Winfried den vergessenen Schirm an sich genommen? Ich muß doch gleich mal bei ihm anrufen.


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