28.03.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
23.02.08 / »Kirche im Sozialismus«

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 08-08 vom 23. Februar 2008

»Kirche im Sozialismus«
von Manfred Müller

Der DDR-Staatsratsvorsitzende Erich Honecker ließ die Begegnung, die er am 6. März 1978 mit der Leitung des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR (BEK) hatte, publizistisch groß aufmachen. Er wollte das Arrangement, das er mit den Kirchenoberen traf, zur weiteren Stabilisierung der DDR nutzen. Sein Hauptgesprächspartner an diesem Tag war Bischof Albrecht Schönherr, der 1971 einen Satz formuliert hatte, auf den das mehrdeutige Schlagwort „Kirche im Sozialismus“ zurückging. Schönherr hatte gefordert: „Eine Zeugnis- und Dienstgemeinschaft von Kirchen in der Deutschen Demokratischen Republik wird ihren Ort genau zu bedenken haben: in dieser so geprägten Gesellschaft, nicht neben ihr, nicht gegen sie.“

Der eingefleischte Atheist Honecker griff diese Formel auf und deklamierte an diesem 6. März 1978: „Den Kirchen als Kirchen im Sozialismus eröffnen sich heute und künftig viele Möglichkeiten des Mitwirkens an diesen zutiefst humanistischen Zielen“, die er zuvor mit Schlagworten zur DDR-Außen- und Innenpolitik angedeutet hatte. Als wenn es die Jahrzehnte heftiger antikirchlicher Aktivitäten und die Verfolgung aktiver Christen in der DDR nicht gegeben hätte, behauptete Honecker, daß „unsere sozialistische Gesellschaft jedem Bürger, unabhängig von Alter und Geschlecht, Weltanschauung und religiösem Bekenntnis Sicherheit und Geborgenheit bietet“.

Die Entchristlichung war in den einstigen Kerngebieten der Reformation zu diesem Zeitpunkt bereits weit fortgeschritten, und die Stasi hatte durch ihre Zersetzungsarbeit unter Geistlichen, kirchlichen Mitarbeitern und Gläubigen potentiellen Widerstand weitgehend unter Kontrolle. Honecker hielt nun den Zeitpunkt für eine Entspannung des Staat-Kirche-Verhältnisses für günstig. Entspannung bedeutete nicht, daß auf verfeinerte Methoden verzichtet würde, die einem weiteren Absterben des Christentums förderlich sein könnten. Das angestrebte Arrangement mit den kirchlichen Partnern würde sicher auch zur Prestigeförderung für die DDR auf internationaler Ebene beitragen.

Bei seinem Gespräch mit dem Staatsratsvorsitzenden versuchte Bischof Schönherr, Honecker auf „Gewährung von Menschenrechten“ und auf Rechtssicherheit für die Kirche festzulegen. Gleichzeitig versuchte er, konkrete Verbesserungen zu erzielen. Beispielhaft zu nennen sind hier die Genehmigung von Bauvorhaben, die Einfuhr von Büchern, kirchliche Sendungen im DDR-Fernsehen, der Erhalt von Kindergärten sowie die Seelsorge im Strafvollzug und in Altersheimen. Einzelne Zusagen konnte Schönherr erlangen, aber die erbetene Rechtssicherheit kam nicht.

Zehn Jahre zuvor hatte Honecker dem Zentralkomitee der SED erläutert, daß die Weltanschauung der marxistisch-leninistischen Partei „keinen Glauben an einen Gott, an übernatürliche Kräfte, keinen Aberglauben und keine Reaktion zuläßt“. An dieser Zielsetzung wurde bis zum Ende der DDR weitergearbeitet.

Zählte man 1946 noch 14 Millionen Deutsche evangelischer Konfession in der sowjetischen Besatzungszone, so gab es 1988/89 nur noch 3,2 Millionen evangelische Kirchenmitglieder.


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren