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01.03.08 / Er vollendete die Festung Spandau / Rochus Guerini Graf zu Lynar diente nicht nur dem preußisch-brandenburgischen Herrscher

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 09-08 vom 01. März 2008

Er vollendete die Festung Spandau
Rochus Guerini Graf zu Lynar diente nicht nur dem preußisch-brandenburgischen Herrscher
von Karel Chemnitz

Am Ende blieb nur noch die Flucht vor den königlich-französischen Truppen. Man schreibt das Jahr 1567. In Metz ist der Hugenotten-Aufstand gescheitert. Unter denen, die die Stadt verlassen, befindet sich Rochus Guerini Graf zu Lynar, der Festungsbaumeister des französischen Königs. Der hat nämlich inzwischen die Fronten gewechselt.

Dabei lag es noch gar nicht so lange zurück, daß Lynar die Zitadelle von Metz fertiggestellt hatte. In drei Jahren Bauzeit war eine mächtige Festung mit vier großen Eckbastionen entstanden. 400 Meter mal 500 Meter groß – errichtet nach dem letzten Stand der Wissenschaften. Es war der erste große Auftrag, den der adlige Baumeister selbstständig ausführte. Wie so vieles in seinem Leben ist unbekannt, bei welchen Lehrern er sein „Handwerk“ studiert hat. Es werden italienische Ingenieure gewesen sein, denn für den Festungsbau besaßen die Meister von der Stiefel-Halbinsel ein Monopol. Die Artillerie machte zu diesem Zeitpunkt einen gewaltigen Entwicklungssprung. Immer größer wurde die Reichweite der Geschütze, immer stärker deren Vernichtungskraft. Die Befestigungsanlagen mußten den neuen Waffen angepaßt werden. Nur ein System von Mauern, Bastionen und Türmen ermöglichte eine wirksame Verteidigung.

Lynar selbst stammt auch aus Italien. Geboren in der Toskana, muß er als 17jähriger das heimatliche Florenz verlassen. Mit seinem Vater geht er ins Exil nach Frankreich. Der alte Guerini hatte bei einem Duell seinen Gegner tödlich verwundet und nun droht die Familie des Opfers mit Vergeltung. Schon am Hofe der Medici muß der Junge eine solide Ausbildung erhalten haben. Nun in Paris beschäftigt er sich mit dem Militärwesen, erlernt den Kanonenguß und den Einsatz von Geschützen, studiert Bergbau und Forstwirtschaft, ist auch Soldat. In der Schlacht bei Dietenhofen verliert er ein Auge.

Nun befindet sich also der italienische Franzose erneut auf der Flucht. Sein Weg führt erst in die Pfalz, dann an den Hof nach Dresden. Er ist 44 Jahre alt, als ihn der sächsische Kurfürst August I. – nicht zu verwechseln mit August dem Starken – zum „Obirsten Artelerey Zeug und Bawmaister“ macht. Heißt: Er wird Befehlshaber der Artillerie und Chef des Festungsbauwesens. Zunächst überträgt man Lynar den Ausbau des Verteidigungssystems von Dresden. Es entsteht die Bastion unmittelbar hinter dem Stadtschloß, dort, wo sich jetzt Zwinger und Semperoper befinden. Der „große Vollender der nordost-deutschen Renaissance“, wie ein Experte ihn genannt hat, macht sich vor allem durch Umbau und Modernisierung einen Namen. In Sachsen bringt er die Festungen Königstein und Wittenberg sowie die Leipziger Pleißenburg auf den neuesten Stand. Lynar ist am Umbau vieler sächsischer Schlösser beteiligt. Zu nennen sind hier die Augustusburg bei Flöha sowie Wolkenstein, Torgau, Schwarzenberg und Freiberg.

Währenddessen formiert sich in der Residenzstadt der Widerstand seiner Feinde. Die adligen Höflinge wollen nicht hinnehmen, daß er sich beim Kurfürsten über Bestechungen und Betrügereien im Bauwesen beschwert hat. Ihnen ist außerdem suspekt, daß ein „auswärtiger Baumeister“ von eher niedrigem Adel Verwaltungsreformen anmahnt. Lynar scheitert. Er muß scheitern in einer Gesellschaft, in der große Teile der herrschenden Schicht von Korruption leben, Betrug und Bestechung als Kavaliersdelikte gelten. Zunächst hält der Landesfürst offiziell an Lynar fest. Halbherzig, denn sein Baumeister muß eine Demütigung nach der anderen hinnehmen. Er wird rund um die Uhr überwacht. Es gibt religiöse Differenzen zwischen ihm, dem Calvinisten, und der Fürstin, einer ultra-orthodoxen Lutheranerin.

Vor diesem Hintergrund wechselt Lynar 1577 in die Dienste des brandenburgischen Hohenzollern-Fürsten Johann Georg. Titel und Aufgaben sind ähnlich denen in Dresden. Sein erster Auftrag führt ihn nach Spandau. Dort soll er den Festungsbau vollenden. Seit 18 Jahren wird an der Anlage gearbeitet. Bislang hat das Bauwerk zwar beträchtliche Mittel verschlungen, aber gerade mal der südliche Teil ist fertig. Als 1585 die Festung steht, ist der Landesherr überrascht – über das moderne Bauwerk und die relativ niedrigen Kosten. In der Festung Küstrin an der Oder errichtet Lynar wahrscheinlich alle fünf Bastionen.

Einen eigenen Palast baut sich Lynar in Spandau. Dort ist er Amtshauptmann. Im 19. Jahrhundert ist das Anwesen überbaut worden. Was die gräfliche Familie betrifft, so leben seit 1621 die Lynars in Lübbenau. Sie betreiben in dem Spreewald-Städtchen ein Schloßhotel. Dort erinnert eine Gedenktafel daran, daß ein Familienmitglied 1944 zur Widerstandsgruppe um Graf Stauffenberg gehörte und seinen Patriotismus mit dem Leben bezahlte.

Man nimmt an, daß Rochus Lynar an insgesamt 17 Schlössern und 15 Festungsanlagen beteiligt war. Dazu kamen Mühlen und Zeughäuser. 1580 beginnt der Umbau der Festung Peitz im südöstlichen Brandenburg. Ähnlich wie in Metz zieht er die gesamte Stadt in den Verteidigungskomplex ein. Als Landesfestung widersteht Peitz den Angriffen des Dreißigjährigen Krieges. Im Siebenjährigen Krieg fällt sie dann gleich zweimal den Österreichern in die Hände. Heute erinnert lediglich der mächtige Oberfestungsturm an die „Garnisonszeit“. Auch das Berliner Stadtschloß trug bis zum Abriß zu DDR-Zeiten die Handschrift Lynars. Wahrscheinlich stammte das sogenannte „Quergebäude“ von ihm. Ein unauffälliger Gebäudeteil, durch den die Residenz allerdings zur Vier-Flügel-Anlage wurde.

Den letzten Auftrag konnte der Graf nicht mehr ausführen. Im brandenburgischen Norden sollte er auf die „grüne Wiese“ eine völlig neue Festung hinsetzten. Den genauen Standort hat er gewissermaßen mit ins Grab genommen. Am 22. Dezember 1596 ist er gestorben und in der Nikolai-Kirche von Berlin-Spandau beigesetzt worden. Zu sehen ist Lynar auf dem Altar, den er selbst gestiftet hat.

Foto: Spandau: Stadt und Festung im Jahre 1633


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