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01.03.08 / Robin Hood wird zum Nationalhelden / Wie sich der Rächer der Enterbten im 19. Jahrhundert zur Personifikation englischer Werte entwickelte

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 09-08 vom 01. März 2008

Robin Hood wird zum Nationalhelden
Wie sich der Rächer der Enterbten im 19. Jahrhundert zur Personifikation englischer Werte entwickelte
von Anne Bruch

Die Legende von Robin Hood (siehe Kasten) hat bis heute nichts von ihrer weltweiten Popularität und ihrem enormen Darstellungs- und Deutungspotential verloren. Sie wird in etlichen Variationen durch zahlreiche Romanbearbeitungen, Theaterstücke und über 20 Verfilmungen sowie Internetforen fortgeschrieben und lebendig erhalten. Gleichwohl hat die im Mittelalter entstandene Figur des Robin Hood in fast jeder neuen Generation deutliche Veränderungen und Neuinterpretationen erfahren. So wurde aus dem gefährlichen Wegelagerer der ältesten Balladen bald ein enterbter Adeliger und danach ein gegen die Normannen kämpfender angelsächsischer Patriot.

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts fing man jedoch an, aus Robin Hood den idealtypischen Helden zu kreieren, der zur Personifikation englischer Werte wurde. Vergleichbare Straßenräuber, Rebellen und Kavaliere gibt es aber in der englischen Geschichte und Literatur zur Genüge. Was waren also die Gründe, ausgerechnet diese Vorlage zum Ausgangspunkt nationaler Identitätsbildung zu machen?

Die vielfachen Umdeutungen wurden durch die Tatsache erleichtert, daß für Robin Hood bis heute kein historisches Vorbild nachgewiesen werden konnte. Es tauchen zwar 1228 in englischen Gerichtsakten erste Quellenbelege über einen Flüchtigen namens „Robehod“ auf, und zwischen 1261 und 1300 wird ein „Robynhod“ mindestens achtmal in verschiedenen Prozessen mehrerer englischer Grafschaften genannt. Doch dokumentiert dies nur, daß bereits zu diesem Zeitpunkt die Legende von Robin Hood vollständig ausgebildet und verbreitet gewesen sein mußte, da sich Gesetzlose diesen Namen als Pseudonym zugelegt hatten. Ungeklärt ist die Frage, ob es sich bei Robin Hood um einen freien Bauern oder einen Adligen handelte. Die Orte der Handlung waren ursprünglich nicht Sherwood und Nottingham, sondern Barnsdale und Umgebung in der Grafschaft Yorkshire. Eine historische Figur Robin Hood läßt sich demzufolge weder zeitlich noch örtlich richtig einordnen. Wahrscheinlich ist deshalb, daß verschiedene Berichte über überlieferte Personen und historische Begebenheiten, die in der Regierungszeit des Hauses Anjou-Plantagenet (1154–1399) in England gelebt und sich ereignet hatten, später zu einer neuen Erzählung zusammengefügt wurden.

Genaueres ist hingegen über die Frühform der Legende und ihrer literarischen Überlieferung festgehalten. Spätestens ab der Mitte des 13. Jahrhunderts waren die Grundzüge der Geschichte Robin Hoods in England bekannt. Diese fand ihre erste schriftliche Erwähnung in William Langland’s Vers­epos „Piers Plowman“, das um 1377 entstanden ist und als eines der bedeutendsten englischen Werke des Spätmittelalters gilt. Eigenständige Balladen, die sich ausschließlich mit der Figur des Robin Hood befassen, wie zum Beispiel die „Gest of Robyn Hode“ sind hingegen erst ab dem 15. Jahrhundert überliefert. In diesen spätmittelalterlichen Dichtungen tritt Robin Hood als kühner Straßenräuber auf, der ständig in blutige Auseinandersetzungen mit den mächtigen habgierigen Äbten und Bischöfen verwickelt war, was auch gerne als zeitgenössisches Abbild des realen Konflikts zwischen dem englischen König und dem Papsttum interpretiert wird. Zu diesem Zeitpunkt wurde Robin Hood weder als Beschützer der Armen und Entrechteten noch als enterbter Adliger dargestellt. Und während Robins Kameraden wie Little John und Will Scarlett von Anfang an Teil der Legende waren, tauchen der lebenslustige Bruder Tuck sowie der Sheriff von Nottingham als intriganter Gegenspieler erst spät in den Balladen auf. Ebenso zeitlich verzögert wird Robins Gefährtin Maid Marian eingeführt, deren literarische Vorlage aus der mittelalterlichen französischen Pastoraldichtung entstammt. So formten sich langsam die Konturen der Robin-Hood-Legende, die – ursprünglich für den Adel gedacht – dann jahrhundertelang von Balladensängern auch zur Unterhaltung breiter Bevölkerungsschichten vorgetragen wurde.

Ab dem späten 18. Jahrhundert beginnt sich jedoch die Legende von Robin Hood langsam inhaltlich zu verändern. Die Figur des Robin Hood wird nun immer deutlicher zum Inbegriff des rechtschaffenen Sozialrebellen und patriotischen Widerstandskämpfers, der sich sowohl gegen die unerbittliche Willkür als auch die normannischen Eindringlinge zur Wehr setzen muß. Diese Neuinterpretation, die maßgeblich durch Sir Walter Scotts 1819 publizierten Roman „Ivanoe“ beeinflußt wurde, spiegelt die Versuche der zeitgenössischen britischen Geschichtsschreibung wider, die einzigartige Entwicklung der eigenen Geschichte darzustellen und damit eine stärkere nationale Identität zu konstruieren. Denn obwohl die britischen Historiker der Überzeugung waren, nur auf die Evolution ihrer erfolgreichen und dauerhaften Institutionen verweisen zu müssen, um sich von den Konstruktionsversuchen der neuen kontinentalen Nationalbewegungen abzugrenzen, befand sich Großbritannien in einer großen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Krise. Die erheblichen finanziellen Belastungen durch die napoleonischen Kriege hatten starke Wirtschaftsprobleme und hohe Arbeitslosigkeit verursacht. Soziale Unruhen und Forderungen nach stärkerer politischer Partizipation waren an der Tagesordnung. Das seit dem Mittelalter im Parlament eingeübte Aushandeln politischer Entscheidungen, das bisher als Erfolgsrezept für ökonomische Stabilität und gesellschaftlichen Konsens gegolten hatte, schien nicht mehr auszureichen, um die Loyalität der Bevölkerung gegenüber der konstitutionellen Monarchie zu gewährleisten.

Historiker, Dichter und Romanschriftsteller griffen die Krisenstimmung in ihren Werken auf und suchten nach einem literarischen Ventil, um ihre Vorstellungen, was einen wahren Engländer ausmachen sollte, darzulegen. Neben dem Mythos um König Artus bot sich Robin Hood an. Mit dieser Figur wurde ein nationaler Held geschaffen, der englische Werte verkörpern sollte. Robin Hood wurde zum freien Engländer stilisiert, der zielstrebig seine politischen Rechte, persönliche Freiheit und sein Privateigentum verteidigte. Diese drei Werte sind integrale Bestandteile des Liberalismuskonzepts, das seit dem 18. Jahrhundert die Staats-, Wirtschafts- und Gesellschaftsauffassung Großbritanniens geprägt hat. Der dadurch hervorgerufene wirtschaftliche und politische Erfolg beeinflußte zudem den britischen Patriotismus stark. Man konnte sich so gegenüber politischen Feinden – insbesondere die Franzosen – abgrenzen.

Zwar wird Robin Hood in den nun folgenden Erzählungen als unbedingt freiheitsliebend charakterisiert, aber er ist keineswegs radikal. Den Autoren lag es fern, ihn als Revolutionär darzustellen, der die bestehende politische und soziale Hierarchie umzustürzen droht. Die Leser sollten keineswegs auf solche Gedanken kommen und zu aktivem Protest gegen die britische Regierung angeregt werden, denn Aufstände wie die Ludditen-Unruhen (1811–1816) oder das sogenannte Peterloo-Massaker (1819 in Manchester) gab es bereits zur Genüge. Robins Motivation für seine Handlungen sah man nur durch die schlechte Regierungspraxis und Willkürherrschaft Prinz Johns hervorgerufen. Durch seine Tyrannei wurde ein Verfassungsbruch herbeigeführt und die Ordnung außer Kraft gesetzt. Robin Hood wird als charaktervoller Mann geradezu gezwungen, nun außerhalb des Gesetzes zu agieren, aktiv Widerstand zu leisten und so die Gerechtigkeit wiederherzustellen. Er begehrt gegen die Mißstände auf, verteilt darüber hinaus den Überfluß der Reichen an die Bedürftigen, handelt aber nach den Regeln des Fair Play, in dem er seine Opfer bei den Überfallen keineswegs tötet, sondern nach vollzogener Tat zum Gastmahl in den Wald von Sherwood „einlädt“. Robin Hood beendet aber seine Rebellion unmittelbar, nachdem sich König Richard als gerechter Herrscher zu erkennen gibt, der die gegebenen Gesetze und Bräuche des Landes anerkennt. Die wahre königliche Herrschaft ist wieder hergestellt und Robin Hood sowie seine Kameraden werden erneut zu pflichtbewußten und loyalen Untertanen.

In Großbritannien bot die Rück­besinnung auf literarische Stoffe des Mittelalters darüber hinaus einen weiteren Aspekt, der zur nationalen Identitätsbildung beitrug. Das Mittelalter konnte, wenn man die richtigen historischen Gegebenheiten und Ereignisse in einen stringenten Handlungsablauf verarbeitete, die notwendigen Details für das Portrait einer einzigen großen Nation liefern. Das Ziel war es, Engländer, Waliser, Schotten und Iren, die sich bis zu diesem Zeitpunkt gegenseitig argwöhnisch beäugten, als unabdingbare Bestandteile einer großen Gemeinschaft, die nationalen Ruhm und Größe anstrebt, darzustellen. Mit Robin Hood gibt es nun eine Versöhnung zwischen den Angelsachsen und den Normannen, die beide von den guten Gesetzen und Bräuchen Großbritanniens überzeugt und bereit sind, gemeinsam gegen Willkürherrschaft vorzugehen. Die Romantik, mit ihrer Verklärung des Mittelalters tat ein übriges, um das Volkstümliche stärker salonfähig zu machen. Nicht unbeeinflußt hiervon, heißt eines der wohl schönsten Gedichte des englischen Romantikers John Keats „Robin Hood: To a Friend“ (1822).

Die Verklärung Robin Hoods als romantischer Sozialrebell war direkt verknüpft mit den einmaligen politischen, sozialen und kulturellen Bedingungen des frühen 19. Jahrhunderts. Die Auswirkungen der Französischen Revolution, der napoleonischen Kriege und der innenpolitischen Krisensituation stilisierten diese literarische Figur zu einem englischen Nationalhelden, der kaum etwas mit der ursprünglichen Vorlage gemein hatte, sich aber bis heute als enorm wirkungsmächtig erwies. Neu­in­ter­pretationen und Weiterent­wick­lungen von Charakteren literarischer und historischer Stoffe bieten viele Möglichkeiten. Trotzdem ist es geboten, sowohl die Ursprünge der Legenden als auch das historisch-kulturelle Umfeld der Umdeutungsphase zu analysieren, da man infolgedessen Wissenswertes über die Motive der Verwandlung erfahren kann.

 

Die Legende des Beschützers der Witwen und Waisen

Dir schlägt ein echt englisches Herz im Busen, Locksley’, sprach der schwarze Ritter, ,mit Recht hältst du dich zum Gehorsam gegen mich für verpflichtet – ich bin Richard von England!‘ Bei diesen Worten, die Löwenherz mit der seinem hohen Rang und erhabenen Charakter angemessenen Hoheit sprach, knieten die Freisassen alle vor ihm nieder, um ihm ihre Huldigung darzubringen und ihn um Vergebung zu bitten. … ,Erhebt euch, meine Freunde! Eure Vergehen gegen Jagd und andere Gesetze sind durch euern treuen und mutigen Beistand gegen meine unterdrückten Untertanen vor den Mauern von Torquilstone und durch die Rettung eures Fürsten am heutigen Tag gesühnt. Steht auf, meine Lehnsleute, seid hinfort treue Untertanen! Und du, wackerer Locksley …‘ ,Nennt mich nicht länger Locksley, mein Lehnsherr, sondern lernt mich unter dem Namen kennen, den, wie ich fürchte, der Ruf nur zu weit verbreitet hat, als daß er euern königlichen Ohren fremd geblieben wäre. Ich bin Robin Hood, aus dem Sherwooder Wald.‘“

Die Geschichte von Robin Hood – hier in der bekannten Darstellung von Sir Walter Scotts „Ivanhoe“ – gehört wohl zu den beliebtesten Legenden des Mittelalters. Jeder kennt die Abenteuer des angelsächsischen Grafen von Huntington, Sir Robin von Locksley, der in England Anfang des 13. Jahrhunderts durch eine Intrige der normannischen Befehlshaber um seinen Besitz gebracht und gezwungen wird, fortan als Gesetzloser in den Wäldern des Sherwood bei Nottingham zu leben. Als ausgezeichneter Bogenschütze und Anführer einer Schar von getreuen Männern lebt er von der Wilderei und gelegentlichem Straßenraub. Einen Teil seiner Beute, die er reichen Kaufleuten, Adligen und Klerikern auf den schwer zu überwachenden Heer- und Handelsstraßen Richtung Nordengland und Schottland abnimmt, überläßt er dabei Bedürftigen und Mittellosen. Der Legende zufolge ist Robins Gegenspieler der Sheriff von Nottingham, der im Auftrag von Prinz John gewaltsam unberechtigte Steuern in der Bevölkerung eintreibt und so eine Willkürherrschaft ausübt, die keineswegs den Traditionen und Gesetzen des Landes entspricht. Nach vielen abenteuerlichen Taten, in denen sich Robin Hood als mutiger und schlauer Held erweist sowie das Herz der Maid Marian gewinnt, triumphiert er über seine Widersacher. Denn König Richard Löwenherz, der nach langer Abwesenheit unerkannt in sein Königreich zu­rück­kehrt, begibt sich getarnt in die Gefolgschaft Robin Hoods, um sich über die Verfassung seines Landes zu informieren. Alarmiert durch den desolaten Zustand seines Königreiches und die große Not seiner Untertanen gibt Richard seine Tarnung auf und verurteilt die ungerechten und unrechtmäßigen Herrschaftsmethoden des Bruders Prinz John und seiner Handlanger. Robin von Locksley wird von König Richard begnadigt und in seine alten Rechte wieder eingesetzt. Gesetz und Ordnung sind wiederhergestellt und König Richard kann weise und gerecht sein Königreich England regieren.            A. B.

Foto: Robin Hood: Seine Popularität reicht bis in unser Zeitalter der bewegten Bilder.


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