28.03.2024

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01.03.08 / Der Wochenrückblick mit Hans Heckel

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 09-08 vom 01. März 2008

Sodbrennen / Amerikanische Vorwahlen oder deutsches Erbfolgerecht: Wie sich bei uns die guten alten Traditionen in der Politik bewahrt haben
Der Wochenrückblick mit Hans Heckel

Hillary Clinton keift sich um Kopf und Kragen. Alle Bomben, die sie gegen ihren Konkurrenten Barack Obama schleudern wollte, sind in ihrer eigenen Handtasche explodiert. Ihr kürzlich noch chromblechglattes Image wirkt mittlerweile so zerfurcht wie das Antlitz der bösen Knusperhexe.

Es ist kein hübscher Anblick, und doch blicken wir Deutschen  gebannt auf die Show der US-Demokraten um die Wahl ihres Präsidentschaftskandidaten. Selbst die unter uns, die den zankenden Demokraten fern und den Republikanern näher stehen. Aber bei letzteren scheint ja alles schon entschieden. In aller langweiligen Ruhe jubeln die nun ihren Präsidentschaftsanwärter ... wie hieß der noch gleich? ... na jedenfalls diesen netten Grauhaarigen durchs Land. Kein Krawall, nur Luftballons, Pappschildchen und Gewinke.

Also gucken wir alle bei den Demokraten zu. Erstaunlich, nicht wahr? Denn im Grunde genommen wissen wir mit dem Spektakel nur wenig anzufangen: Das soll Politik sein? Laute Musik, kreischende Fans, platte Parolen ans Volk – und am Ende geht der trunken gemachte Pöbel an die Urnen und stimmt für den mit der besseren „Performance“. Die liefert natürlich der, der mehr Geld hat. Kostet ja ’ne Stange, so eine Super-Tournee durch 50 Staaten.

Bei uns in Deutschland geht alles viel gediegener zu. Da herrschen  noch die feinen Sitten der alten Fürstenhöfe, wenn es um die Besetzung der Spitzenposten geht. Das Volk ist Zahler und Zuschauer, es darf schimpfen, hat aber wie eh und je nichts zu sagen.

Die Nachfolge auf den Gipfeln der Macht wird noch heute nach Regeln organisiert, die sich von denen des Mittelalters kaum abheben: „Kandidat“ seiner Partei für das mächtigste Amt im Staate wird man nicht über irgendwelche Volksabstimmungen. Man ist es einfach aufgrund eines natürlichen Rechts, auf das man schon eigenhändig verzichten muß, um es loszuwerden. Die Amerikaner fänden das bizarr, ja undemokratisch. Bei uns ist das ganz normal, hier stellt man sich nicht einfach auf und läßt sich von einer unkontrollierten Anhängerschaft auf den Schild heben.

Daher ist Kurt Beck solange „natürlicher“ Kanzlerkandidat der SPD, bis er eigenhändig „seinen Verzicht erklärt“. Die Position hat er einfach, weil er als Parteichef das „Recht des ersten Zugriffs“ auf die Kanzlerkandidatur besitzt. Und wie wurde er Parteichef? Indem der andere nicht mehr wollte und die SPD-Oberen den Beck aus ihrem Kreise zum Nachfolger gekrönt haben.

So werden in Deutschland Kandidaten für hohe Ämter ausgesucht. Und solche „Oberen“ gibt es in allen Parteien. Sie bilden die Hofräte, die alles unter sich ausmachen. So beschlossen die Chefs von CDU, CSU und FDP, Merkel, Stoiber und Westerwelle 2004 in Westerwelles Berliner Wohnung sogar, wer Bundespräsident wird. Den Kanzlerkandidaten der Union 2002 machten Merkel und Stoiber beim gemeinsamen Frühstück in in Wolf­ratshausen aus.

Auf eines käme unser  Parteienadel nie im Leben: Einfach vors Volk zu marschieren und sich als Kandidaten zu empfehlen, bevor sie sich in den geheimen Kammern hinter verschlossenen Türen mit ihren Standesgenossen geeinigt haben.

„Und das laßt ihr euch gefallen?“, würden uns die Amis anfauchen, wenn sie wüßten, wie es bei uns läuft. Aber natürlich: Auf die uneingeschränkte Loyalität des Volkes können sich unsere Herrscher verlassen. Und was fürs Volk gilt, gilt erst recht fürs Parteivolk. Anfang 2005 hatte Gerhard Schröder die SPD derart in die Pfütze manövriert, daß er keine Lust mehr auf den Stuhl des Parteivorsitzenden hatte und abdankte. Fiel die SPD-Basis in einem Anflug von demokratischem Furor über den Gescheiterten her? Las man ihm die Leviten?

Keineswegs, die SPD-Basis nahm Schröders schmählichen Abtritt nicht nur still hin, sie folgte ihm sogar noch bis in die allerletzte Entscheidung: Geradezu erleichtert reagierten die Sozialdemokraten auf Schröders Abschiedsbotschaft, daß er seine Erbfolge gleich noch selber geregelt und Franz Müntefering mit den Insignien der Parteimacht ausgestattet habe. Münteferings „Wahl“ war später reine Formsache. So ähnlich wie die von Raúl Castro vergangenen Sonntag in der kubanischen Nationalversammlung.

Selbstverständlich duldeten sie Schröder trotz alledem weiterhin als ihren Kanzler, bis er, nicht minder aus eigenem Entschluß, vorgezogene Neuwahlen ausrief – was die Verfassung zwar verbot, aber wer in der Bundesrepublik herrscht, der herrscht eben.

Ein Spötter frotzelte mal, Demokratie sei zwar ganz schön, aber einer müsse auch was zu sagen haben. Für uns Bundesbürger gilt die verschärfte Version: Demokratie finden auch wir schön, aber am liebsten ist es uns, wenn schon alles längst gesagt und beschlossen ist, bevor wir als Volk überhaupt etwas mitbekommen.

Uns muß deshalb gar keiner über den Mund fahren, der „was zu sagen hat“. Wir wollen ja gar nichts sagen, wir murren nur manchmal, und am Ende nicken wir immer. Wir jagen unsere Repräsentanten jedenfalls nicht durch unwürdige „Vorwahlen“. Wir warten, bis sich der Sesam der „verschlossenen Türen“ öffnet und wir des Ratschlusses der Gekrönten teilhaftig werden, und nehmen geduldig hin, was der Hof uns vorlegt. 

Die Amis fänden das vermutlich nicht bloß undemokratisch, sondern langweilig. Die haben keine Ahnung von den Freuden unseres Barock. Wir stehen ja nicht nur so da, wenn drinnen über politische Erbfolge und unsere Zukunft beraten wird. Stellvertretend für uns umschleichen Medienspitzel die Paläste und kaufen den Lakaien, die wir „gut unterrichtete Kreise“ nennen, neckische Details ab. Die kolportieren sie in die Öffentlichkeit, wo dann feurig spekuliert werden darf. Solches Spekulieren lindert unser ständiges Sodbrennen, das sich wie politische Ohnmacht anfühlt.

Das Sodbrennen ist nicht das einzige, was das Leben draußen vor der verschlossenen Tür zuweilen anstrengend macht. Manchmal kommen aus den Türen derart gegensätzliche Ansagen, daß selbst der innerste Kreis der Parteischranzen nicht mehr weiß, wie er nicken soll.

Nichts gibt’s mit den Linken, keine Absprache, keine heimliche Kungelei, nullkommanull, trompete Kurt Beck von den Zinnen monatelang mit einer Inbrunst, daß man es fast für seine ehrliche Absicht halten mochte. Nun war auf einmal alles anders. Gestaunt haben wir, wie flink und geschmeidig Becks Mundschenke Struck, Steinbrück und -meier auf die neue Melodie umsteigen konnten.

Wir, die überrumpelten Untertanen, hatten es da schon schwerer. Der Schwenk ging zu schnell für unsere simplen Gemüter. Beck, der Volksnahe, hat das gemerkt und entschuldigte sich dafür, daß er uns mit seiner Wendigkeit überfordert hat. Bis zu den Wahlen 2009 will er uns nun so sanft wie möglich ins Gebüsch der  „Sprachregelungen“ locken, wo wir die Orientierung verlieren sollen wie auch die Erinnerung an vorher Versprochenes.

Die Stationen der Fahrt ins Rote tragen Namen wie „Ypsilanti wählen lassen, aber nicht mehr!“ und später „Tolerieren lassen, aber nicht mehr“. Am Ende der spannenden Reise empfängt uns Kanzlerkandidat Kurt Beck im längst aufgebauten Feldlager von Rot-Rot-Grün, und serviert uns die neue Linkskoalition mit den Kommunisten, die in jenen, nicht mehr fernen Tagen aber nicht mehr so genannt werden dürfen.

Die anfängliche Empörung über den jähen Schwenk wird dann längst ungeteilter Bewunderung gewichen sein. Statt noch von „Wortbruch“ zu giften werden die Medien davon schwärmen, wie geschickt Beck die Deutschen „mit dem Gedanken an Rot-Rot-Grün versöhnt“ habe. Wer wollte solch einem Virtuosen gegenüber auch nachtragend sein? Nur das Sodbrennen, das bleibt.


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