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08.03.08 / Der verlorene Sohn / Preisgekrönt und doch enttäuschend

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 10-08 vom 08. März 2008

Der verlorene Sohn
Preisgekrönt und doch enttäuschend

Manchmal fängt man an, an sich selber zu zweifeln, obwohl: auch Bücher sind Geschmackssache. Zum dritten Mal ging der Griff nun zu einem preisgekrönten Roman eines englischsprachigen Autoren, der im Atrium-Verlag in deutscher Sprache veröffentlicht wurde. Zum dritten Mal begeisterte das Thema … und zum dritten Mal enttäuschte die Umsetzung.

Dionne Brand, in Trinidad geboren, aber mit 17 Jahren nach Kanada ausgewandert, hat sich daran gemacht, das Problem von Migranten der ersten Generation in Toronto zu beschreiben. Das Leben in beiden Welten, ohne irgendwo richtig dazuzugehören, ist immer wieder spannend. Alle vier Helden in „Wonach sich alle sehnen“, Tuyen, Carla, Jackie und Oku, haben Erlebnisse ihrer Kindheit nicht verarbeitet. So leidet beispielsweise die in Kanada geborene Tuyen darunter, daß ihre Eltern bei ihrer Flucht aus Vietnam ihren Sohn Quy verloren haben. Auch wenn sie sich in den USA ein neues Leben – der Ingenieur und die Ärztin mußten Hilfsjobs übernehmen, bis sie ein eigenes Restaurant eröffneten – aufbauten, so suchten sie doch immer noch Quy. Doch der verlorene Sohn blieb verloren und die Eltern verarbeiteten ihr Trauma nie, belasteten damit auch ihre nachgeborenen Kinder.

Dionne Brand erzählt in den verschiedenen Kapiteln Episoden aus dem Leben der vier in Kanada Weilenden. Nur der Lebensbericht von Quy, der bei der Flucht von seinen Eltern getrennt wurde und in einem asiatischen Flüchtlingslager landete, wird in Ich-Form geschildert.

Fünf gebrochene Charaktere Mitte 20 auf der Suche nach sich selbst klingt eigentlich spannend. Doch das Leben der Personen ist nicht nur in ihnen in Aufruhr, sie leben auch völlige Anarchie.

Drogenexzesse, versehentliche Sexausrutscher, absolute Unordnung in einer schmutzigen Wohnung in einem Stadtviertel, in dem nur gescheiterte Existenzen oder arme Studenten hausen.

Tuyen ist Künstlerin, lesbisch und in Carla verliebt, die ist psychisch vom Selbstmord ihrer Mutter angegriffen und geht nur bei Lust und Laune zu ihrer Arbeit als Fahrradkurier. Jackie hat einen Secondhand-Laden, und Oko lebt noch bei seinen Eltern und verspricht seinem Vater immer wieder, was richtiges zu lernen, während er Gedichte schreibt.

Gescheiterte Existenzen oder doch nur in der Ausbildung?

Gut, die Charaktere sind durchaus vielschichtig, aber weshalb redet der Kleinkriminelle Quy, der in einem Flüchtlingslager aufgewachsen ist, wie ein verhinderter Philosoph? „Zeit. Sie alle haben Zeit. Ich hatte Warten. Sie haben ihre Freunde und diese Stadt. Ich hatte Scheiße … Manchmal wünsche ich, ich wäre da an Ort und Stelle in dem Bild in dieser Morgendämmerung geblieben. Ich sehe mich, wie ich mich über Dong Khoi hinauslehne, vor mir die wunderschöne Insel – und dieses Gefühl von Erwartung. In dem Moment ist nichts falsch. Nichts.“

Sehr gut ist allerdings die Darstellung des Gegensatzes von Tuyen zu ihren Eltern gelungen. So kann Tuyens Vater nicht fassen, daß seine Tochter nicht nach gesellschaftlichem Aufstieg strebt und in einer Absteige haust. „,Da bringt man diese Kinder hierher, und das passiert dann mit ihnen. Sie sind ungehorsam.‘ , Ihr habt mich nicht hierhergebracht, Bo, ich wurde hier geboren. Im Wellesley-Krankenhaus …‘ ,Und dann geben sie einem noch Widerworte. Sie haben keinen Respekt. Warum kaufe ich dieses große Haus? Damit du da wohnst, wo wir angefangen haben?‘“ Eine Autorin allererster Güte, wie „The Chronicle Herald“ meint, ist die Autorin damit aber noch lange nicht.         Bel

Dionne Brand: „Wonach sich alle sehnen“, Atrium, Zürich 2007, geb., 382 Seiten, 19,90 Euro


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