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15.03.08 / Ein Kompromiß auf unsere Kosten / Argumente für den Gesundheitsfonds gibt es kaum, außer daß Merkel ihr Gesicht wahren muß

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 11-08 vom 15. März 2008

Ein Kompromiß auf unsere Kosten
Argumente für den Gesundheitsfonds gibt es kaum, außer daß Merkel ihr Gesicht wahren muß
von Rebecca Bellano

Es wird ein Feldversuch mit 90 Prozent der Bundesbürger als Versuchskaninchen.“ Joachim Odenbach, Pressesprecher des IKK-Bundesverbandes, redet nicht lange um den heißen Brei herum, wenn es um den wesentlichen Teil der Gesundheitsreform geht: die Einführung des Gesundheitsfonds zum 1. Januar 2009. Natürlich ist er als Angestellter einer gesetzlichen Krankenkasse keineswegs dafür, daß die Kassen weiter ihre Souveränität aufgeben und die Bundesregierung vertreten durch das Bundesversicherungsamt Köln die Verwaltung und Verteilung der Krankenkassenbeiträge übernimmt. Doch er ist nicht allein, wenn er behauptet, daß der Gesundheitsfonds „politisch überflüssig“ sei, da er weder die Versorgung verbessere noch die Finanzierung des Gesundheitswesens sichere. Auch Karl Lauterbach, Sozialexperte der SPD, startete in den ersten Märztagen wieder einen Versuch, auf die Gefahren des Fonds, der so „überflüssig sei wie eine Autobahnbrücke ohne Autobahn“, aufmerksam zu machen. Die Reform würde nur umgesetzt werden, weil die Gesundheitsreform das einzige Thema sei, bei dem die Kanzlerin innenpolitisch Akzente gesetzt hätte. Um ihr Gesicht zu wahren, könne sie keinen Rückzieher machen, so Lauterbach.

Derweil preist das Gesundheitsministerium das „ungeliebte Kind“, so die SPD-Politikerin Carola Reimann, weiter an. „Der Fonds sorgt für eine gerechte Verteilung der Gelder und für faire Wettbewerbsbedingungen, die Kassen werden sich um eine gute Qualität der Versorgung und den besten Service bemühen“, so Referatsleiterin Dagmar Kaiser. „Diejenigen Kassen, die besonders viele kranke Versicherte haben, bekommen dies ausgeglichen. Das bringt mehr Gerechtigkeit, denn eine Kasse kann nicht beeinflussen, ob bei ihr viele Ältere, viele chronisch kranke Menschen oder viele Gesunde sich versichern.“ Daher gibt es schon jetzt einen Risikostrukturausgleich, der nun durch den all-umfassenderen Morbiditätsausgleich (Morbi-RSA) abgelöst werden soll. Hiernach soll jede Kasse an den Gesundheitsfonds melden, wie alt und krank ihre Mitglieder sind. Die Kasse, die besonders viele Alte und Kranke hat, bekommt dann mehr Geld zugeteilt. Was eigentlich ganz fair klingt, ist in der Umsetzung nur schwer kalkulierbar. Wie die CSU schon beklagte, liegt das Gesundheitsministerium bei den Planungen für den Gesundheitsfonds im Zeitplan zurück. Seit Ende Januar liegt den Kassen nun die Liste für den Morbi-RSA vor, doch derzeit wird noch diskutiert, welche 80 finanziell besonders kostspieligen Krankheiten auf die Liste müssen. Beispiel Bluthochdruck? Einige Kassen meinen ja, und da sie viele alte Kunden mit der Volkskrankheit haben, hätte das finanzielle Vorteile für sie, andere meinen nein, denn als Volkskrankheit wären Menschen mit Bluthochdruck gleichmäßig über alle Kassen verteilt. Die Diskussion hält an. Welche finanziellen Folgen sich daraus ergeben, ist derzeit absolut nicht absehbar. Daher raten die Vorstandsvorsitzenden der DAK und der KKH, die Einführung des Fonds zu verschieben und 2009 nur einen virtuellen Gesundheitsfonds parallel neben dem derzeitigen aktuellen System laufen zu lassen. So könne man die finanziellen Folgen besser einschätzen. „Es geht um nicht weniger als die Verteilung von jährlich fast 150 Milliarden Euro zwischen mehr als 200 Kassen in Deutschland“, warnt Ingo Kailuweit von der KKH.

Aber nicht nur Interessenvertreter der gesetzlichen Krankenkassen und Politiker verunsichern die Deutschen. Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund warnt vor einer wachsenden Verlagerung der Gesundheitskosten auf die Versicherten, denn schließlich zahle der Arbeitgeber nur von dem durch den Gesetzgeber im Herbst beschlossenen allgemeingültigen Beitragssatzes die Hälfte. Kommen die Kassen mit dem Betrag nicht aus, können sie bis zu einem weiteren Prozent vom Versicherten allein einfordern. Und daß sie diese Möglichkeit nutzen werden und müssen, ist wahrscheinlich. Karl Lauterbach vermutet, daß der Einheitssatz bei 15,2 Prozent liegen wird. Angestellte, die beispielsweise bei den günstigen Betriebskassen versichert sind und die derzeit Sätze von 13,6 bis 14 Prozent zahlen, müssen also 2009 mit einem geringerem Nettogehalt rechnen. Aber nicht nur das. Der Beitragssatz 2009 wird anhand der Ausgaben von 2008 festgesetzt. Experten gehen aber davon aus, daß der Marburger Bund bis 2009 Gehaltserhöhungen von drei Milliarden jährlich für die Ärzte ausgehandelt haben wird. Diese Summe wird aber wie viele andere Kostensteigerungen – der Ersatzkassenverband VdAK unkt, daß der Gesundheitsfonds etwa 1,2 Milliarden Euro an Bürokratiekosten verschlingen wird – in dem Beitragssatz nicht enthalten sein. Zudem ist die Große Koalition wegen der anstehenden Wahlen 2009 aus wahltaktischen Gründen versucht, den Beitragssatz so niedrig wie möglich zu halten. Dies wiederum bedeutet, daß die Krankenkassen, die mit dem ihnen zugesprochenen Geld nicht mehr auskommen, das eine Prozent erlaubte Zusatzbeitrag direkt von ihren Versicherten einfordern müssen. Weitere Bürokratiekosten sind die Folge, da Konten angelegt, Rechnungen geschrieben und Mahnverfahren eingeleitet werden müssen. Inwieweit das der besseren medizinischen Versorgung der Versicherten dient, bleibt offen und ist vermutlich auch gar nicht mehr Ziel der Politiker. Der Fonds, heißt es bei der SPD, sei nun einmal ein „Koalitionskompromiß“. „Zur Zuverlässigkeit gehört, daß man dabei bleibt.“ Es geht also wirklich nur darum, das Gesicht zu wahren. Bezahlen wird auch diesen Kompromiß der Versicherte – mit seinem Geld und dieses Mal sogar mit seiner Gesundheit.

Foto: Nur eine Nebenrolle: Um eine gute medizinische Versorgung geht es beim Gesundheitsfonds nicht.


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