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15.03.08 / Ein Mann kämpft um seine Ehre / Vor 70 Jahren wurde der vormalige Oberbefehlshaber des Heeres Werner Freiherr

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 11-08 vom 15. März 2008

Ein Mann kämpft um seine Ehre
Vor 70 Jahren wurde der vormalige Oberbefehlshaber des Heeres Werner Freiherr von Fritsch freigesprochen
von Manuel Ruoff

Am 4. Februar 1938 wurde mit der Entlassung des Reichskriegsministers Generalfeldmarschall Werner von Blomberg auch jene des Oberkommandierenden des Heeres Generaloberst Werner Freiherr von Fritsch bekanntgegeben. Beide wurden in den Ruhestand versetzt. Während Blomberg seine Ehe mit einem Fräulein mit Vergangenheit vorgehalten wurde, wurden dem 1880 im preußischen Benrath geborenen Fritsch homosexuelle Handlungen und damit ein Verstoß gegen den Paragraphen 175 des Strafgesetzbuches vorgeworfen.

In Fritschs Fall stand Aussage gegen Aussage. Der Berliner Strichjunge und Erpresser Otto Schmidt hatte sich darauf spezialisiert, wohlhabende Homosexuelle zu erpressen. Nach seiner Verhaftung gab er die Namen von ihm erpreßter Prominenter preis. Dabei belastete er auch Fritsch. Seiner Aussage zufolge war ihm eines Abends am Wannseebahnhof in der Nähe des Potsdamer Platzes eine Gruppe von Offizieren der Marine und des Heeres aufgefallen, die sich von einem älteren Zivilisten verabschiedete. Dieser Herr in Zivil habe auf ihn den Eindruck eines wohlhabenden Homosexuellen gemacht, habe also seinem Beuteschema entsprochen und somit sein Interesse geweckt. Dieser Mann habe einen dunklen Mantel mit Pelzkragen, einen dunklen Hut, einen weißen Schal und ein Monokel getragen, das er hin und wieder herausgenommen habe, und sei Raucher gewesen. Kurze Zeit später sei er dem im Milieu unter dem Spitznamen „Bayern-Seppl“ bekannten Strichjungen Martin Weingärtner auf die Herrentoilette des Bahnhofs gefolgt. Beide hätten sich anschließend in der Nähe des Bahnhofs in eine Mauernische begeben, wo er sie beobachtet haben wollte, wie sie sexuelle Handlungen begingen. Danach habe er sich gegenüber seinem ausgeguckten Opfer als Kriminalkommissar ausgegeben und dieses zur Rede gestellt. Der Ertappte habe sich daraufhin als General von Fritsch vorgestellt. Er sei bereit gewesen, sich das Schweigen des vermeintlichen Kriminalbeamten etwas kosten zu lassen. Da das Erpressungsopfer jedoch nur 100 Mark dabei gehabt habe, sei man gemeinsam zum Bahnhof Lichterfelde-Ost gefahren und von dort zur Ferdinandstraße gegangen, wo das Opfer aus dem Hause Nummer 21 weitere 400 Mark geholt habe. Am nächsten Morgen hätte man sich erneut getroffen. Während Schmidt vor der Tür gewartet habe, habe das Opfer in einer Filiale der Dresdner Bank 1000 Mark abgeholt, um sie ihm zu übergeben. Später habe er mit Erfolg noch einmal 1000 Mark von seinem Opfer verlangt. Bei der Übergabe des Geldes im Wartesaal zweiter Klasse des Bahnhofs Lichterfelde-Ost sei sein Komplize Heiter mit dem Spitznamen „Bucker“ dabeigewesen, der sich als sein Kollege ausgegeben habe. Über die erhaltenen Beträge habe er seinem Opfer sogar eine Quittung ausgestellt.

Am 25. Januar 1938 wurde Fritsch von Adolf Hitlers Wehrmachtsadjutanten Oberst Fried-rich Hoßbach über die ihn belastende Aussage Schmidts informiert. Fritsch war entrüstet, bestritt, das von Schmidt beschriebene Opfer zu sein, und forderte eine sofortige Gegenüberstellung mit Schmidt. Zu dieser Gegenüberstellung kam es einen Tag später in der Reichskanzlei im Beisein Adolf Hitlers und Hermann Görings. Dabei behauptete Schmidt, in Fritsch den von ihm beschriebenen Homosexuellen wiederzuerkennen, während der Beschuldigte seine Unschuldsbekundungen mit seinem Ehrenwort als Offizier untermauerte. Daß letzteres Hitler wenig beeindruckte, verletzte Fritsch zutiefst.

Der Reichskanzler gab bei seinem Justizminister Franz Gürtner ein Rechtsgutachten in Auftrag. In diesem Ende Januar 1938 angefertigten Gutachten heißt es: „I. Gegen v. F. ist der schwere Vorwurf erhoben, mit einem Strichjungen gleichgeschlechtliche Beziehungen begangen zu haben. II. V. F. stellt die gleichgeschlechtliche Betätigung und Veranlagung in Abrede. Den hier erhobenen Vorwurf hat er bisher entscheidend nicht widerlegt; den angekündigten Alibibeweis hat er bis zur Stunde nicht erbracht … IV. Die Entscheidung über schuldig oder nichtschuldig soll und kann ich nicht fällen; das ist – ohne Ansehen der Person, ihres Ranges oder ihrer Stellung – Sache des richterlichen Spruchs.“

Der Justizminister, dessen Wort sowohl bei Adolf Hitler als auch bei den nationalkonservativen Kreisen um Fritsch etwas galt, ging also wie selbstverständlich von der Notwendigkeit eines Richterspruchs, das heißt einer Verhandlung, aus. Justiz, Militär und auch der Beschuldigte plädierten für ein rechtsstaatliches Kriegsgerichtsverfahren, zu dem es dann auch auf Anordnung Hitlers vom 5. Februar 1938 kam.

Am 10. März 1938 begann die Verhandlung. Den Vorsitz hatte Hermann Göring. Dieser war seit der Entlassung Generalfeldmarschall Blombergs am 26. Januar 1938 und seiner eigenen Ernennung zum Generalfeldmarschall am 4. Februar 1938 der ranghöchste Befehlshaber der Wehrmacht. Neben dem Oberbefehlshaber der Luftwaffe gehörten dem Kriegsgericht der Oberbefehlshaber der Marine, Generaladmiral Erich Raeder, und der Nachfolger von Fritsch als Oberbefehlshaber des Heeres, Generaloberst Walther von Brauchitsch, als Richter sowie die höchsten Militärrichter des Deutschen Reiches, die beiden Senatspräsidenten des Reichskriegsgerichts Wilhelm Sellmer und Rudolf Lehmann, als Beisitzer an. Rüdiger Graf von der Goltz übernahm die Verteidigung von Fritsch. Als Vertreter der Anklage fungierte der Reichskriegsgerichtsrat Walter Biron.

Biron hatte auch die vorausgegangene Untersuchung geführt. In dieser Eigenschaft verfiel er auf die Idee, der Wirtin des Warte-saals des Bahnhofs Lichterfelde-Ost, in dem Schmidt von Fritsch die letzten 1000 Mark erhalten haben wollte, und auch deren Mitarbeitern ein Foto von Fritsch zu zeigen und sie zu fragen, ob sie diesen Mann kennen. Die Wirtin antwortete, daß ein dem Mann auf dem Foto zumindest ähnlich sehender Offizier häufiger bei ihr eingekehrt sei und dieser in der Ferdinandstraße wohne, also in der Straße, in deren Nummer 21 laut Schmidts Aussage Fritsch verschwunden war, um Geld für ihn zu holen. Ging man von der Arbeitshypothese aus, daß weder die Wirtin noch Schmidt wissentlich gelogen hatten, lag der Verdacht nahe, daß in der Ferdinandstraße, in der Fritsch definitiv kein Domizil hatte, ein Offizier lebte, der ähnlich wie Fritsch aussah, und einen Namen hatte, der ähnlich wie „von Fritsch“ klang.

Goltz hatte die Idee, im Adreßbuch nachzublättern, und stieß dort auf einen Rittmeister a.D. von Frisch, der im Nachbarhaus der Ferdinandstraße 21, nämlich in der Ferdinandstraße 20, sein Domizil hatte. Noch an diesem Nachmittag des 1. März 1938 informierte der Verteidiger den Untersuchungsführer über seinen Fund.

Bereits am darauffolgenden Tag vernahm Biron mit einem Mitarbeiter den schwerkranken, fast 70jährigen Achim von Frisch in dessen Wohnung. Der Rittmeister verhielt sich ritterlich und gab sofort zu, im betreffenden Zeitraum unweit des Wannseebahnhofs in der Privatstraße gleichgeschlechtlichen Verkehr gehabt zu haben und damit erpreßt worden zu sein. Er legte sogar die von Schmidt erwähnte und von diesem unterschriebene Quittung über die 2500 Mark Schweigegeld vor.

Außer sich vor Freude meldete Goltz seinem Mandanten: „Herr Generaloberst, Sie können Viktoria schießen lassen, der wirkliche Fritsch ist gefunden, der Fall restlos aufgeklärt!“ Doch Fritsch antwortete: „Auch das wird dem Führer nie genügen. Man will Derartiges nicht glauben.“ Der Beschuldigte hatte damit insoweit recht, als es tatsächlich trotz der entlastenden Aussage von Frisch zur Gerichtsverhandlung kam.

 

Die Verhandlung vor dem Kriegsgericht

Im Saale des einstigen preußischen Herrenhauses zwischen Leipziger und Prinz-Albrecht-Straße wurde am 10. März 1938 die Hauptverhandlung in der Sache Fritsch eröffnet. Schmidt, der unvereidigt blieb, blieb bei seiner Anschuldigung, und Fritsch erklärte sich unter Eid für nichtschuldig. Zu viel mehr kam man nicht mehr, da die Oberbefehlshaber für die Vorbereitung des Einmarsches in Österreich benötigt wurden.

Eine Woche später kam man wieder zusammen. Der kränkelnde Entlastungszeuge Frisch wurde in einem Rollstuhl in den Gerichtssaal gefahren und hatte seinen großen Auftritt. Er blieb bei seiner Aussage. Auch Schmidts Komplizen äußerten sich entlastend. Sowohl Weingärtner als auch Heiter sagten im Angesicht des Angeklagten aus, daß dieser nicht das Erpressungsopfer gewesen sei.

Und ein weiterer Spießgeselle Schmidts, der Zeuge Ganzer, diskreditierte dessen Fritsch belastende Aussage zusätzlich. Schmidt hatte versucht, sein Opfer ein weiteres Mal zu erpressen. Ganzer hatte sich, so Schmidts Plan, als Weingärtner ausgeben und ebenfalls Schweigegeld fordern sollen. Dazu hatte Schmidt Ganzer das Haus Ferdinandstraße Nummer 20 gezeigt und ihm gesagt, daß dort das Opfer wohne, ein Hauptmann oder Rittmeister, ein kränklicher alter Herr, der ständig eine Krankenschwester bei sich habe. In Kombination mit Schmidts Behauptung, er habe dreimal mit Ganzer in jener Gegend nach Fritsch gesucht, verstärkte den Eindruck, daß der Belastungszeuge Schmidt von Frisch erzählte, wenn er von „Fritsch“ sprach.

Hinzu kamen weitere Indizien. Frisch besaß einen Mantel mit Pelz, wie ihn Schmidt beschrieben hatte, er hatte ein Konto bei der Dresdner Bank, und er war starker Raucher. Fritsch hingegen besaß keinen derartigen Mantel, hatte kein Konto bei der Dresdner Bank und hatte sich bereits 1926 das Rauchen abgewöhnt. Als Schmidt trotz allem bei seiner Anschuldigung blieb, nahm Göring diesen verbal derart in die Mangel, daß dieser schließlich einräumte: „Jawoll, ick habe jelogen!“

Göring war ein Nutznießer der sogenannten Fritschkrise. Wäre Fritsch nicht vorher wegen Schmidts Anschuldigungen als Oberbefehlshaber des Heeres abgelöst und in den Ruhestand geschickt worden, wäre er möglicherweise 1938 Blombergs Nachfolger als Kriegsminister geworden und damit der erste Soldat des Reiches. So jedoch blieb das Amt des Kriegsministers vakant und die Position des ersten Soldaten kam Göring als einzigem Oberbefehlshaber der drei Teilstreitkräfte im Generalfeldmarschallsrang zu. Und trotzdem zollte Fritsch Görings Verhandlungsführung Respekt: „Es ist das ausschließliche Verdienst von Göring, den Erpresser zu diesem Geständnis veranlaßt zu haben.“ Ein Urteil, das der Oberkommandierende der Marine Raeder teilte.

Nach dem Eingeständnis Schmidts stand der Vorsitzende des Gerichts auf, begab sich zum Angeklagten, grüßte mit seinem neuen Marschallstab und schüttelte ihm die Hand. Damit war das Urteil des Gerichtes nonverbal vorausgenommen. Der Anklagevertreter beantragte die Feststellung erwiesener Unschuld. Der Verteidiger sprach, Tage des Unglücks habe die deutsche Armee nach Tagen des Sieges erlebt und ertragen, Tage der Schande bisher noch nicht. Die ungeheuerlichste Beschimpfung des ganzen Heeres durch ein einmalig ungeheuerliches Vorgehen gegen seinen Oberbefehlshaber von Verbrecherhand sei in nichts verflogen, der Schild des Heeres und seines Oberbefehlshabers rein. Am 18. März 1938 sprach das Gericht das Urteil. „Die Hauptverhandlung hat die Unschuld des Generaloberst a.D. Freiherr von Fritsch in allen Punkten ergeben.“

Der in den Ruhestand versetzte Fritsch blieb jedoch verbittert: „Tatsache bleibt …, daß ich auf Grund der erlogenen Bezichtigungen eines ehrlosen Lumpen und Verbrechers mit Schmach und Schande überhäuft und mit einem Fußtritt aus meiner Stellung beseitigt bin.“ Fritsch wurde zwar noch über das Urteil hinaus insoweit Genugtuung zuteil, als er nach seinem Freispruch noch zum Ehrenoberst eines Regimentes ernannt wurde, aber ein Kommando erhielt er nicht mehr. Nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges nahm er ohne Befehlsgewalt als Kombattant am Polenfeldzug teil. Drei Wochen nach Kriegsausbruch fiel er bei Warschaus Vorort Praga. Inwieweit er an der Front den Tod gesucht hat, ist umstritten.        M. R.

Foto: Generaloberst Werner Freiherr von Fritsch: Oberbefehlshaber des Heeres in den Jahren 1935 bis 1938


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