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22.03.08 / Mitten im Leben / oder Wie man behinderte Menschen in den Arbeitsmarkt integrieren kann

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 12-08 vom 22. März 2008

Mitten im Leben
oder Wie man behinderte Menschen in den Arbeitsmarkt integrieren kann
von Silke Osman

Luudwig! Luudwig, zur Kasse bitte!“ Die Stimme der jungen Frau klang zerrissen zwischen Verzweiflung und unterdrückter Heiterkeit. In der Ferne sah man einen Mann im weißen Kittel in Richtung Kasse eilen. Er schien das Problem schnell behoben zu haben, denn die junge Frauenstimme war nicht mehr zu hören. Nur noch gemischtes Gelächter. Die anderen Kunden im Supermarkt waren solche Ausbrüche am Mikrofon offensichtlich gewohnt, denn keiner kümmerte sich weiter um die Gruppe an der Kasse, alle gingen gelassen ihren Besorgungen nach.

An der Kasse schien Ruhe eingekehrt zu sein. Die Schlange der Wartenden war auch nicht länger als in anderen Märkten um diese Tageszeit. Gewiß, es ging ein wenig langsamer voran als gewohnt, doch waren alle ausgeglichen und geduldig. Keiner der Kunden meckerte, ob es nicht ein bißchen schneller gehen könne. Man legte die Ware aufs Laufband und wartete, bis die junge Frau die Müslipackung, das Toilettenpapier und die Tiefkühlpizza eingescannt hatte. Erst bei genauem Hinsehen erkannte man, daß sie bedächtiger zugriff als ihre Kolleginnen im großen Discounter und ihr die Bewegung schwerfiel. Doch keiner wunderte sich, auch nicht über die ausgesprochene Freundlichkeit, mit der sie jeden Kunden begrüßte. Man war hier schließlich in einem Cap-Markt und der zeichnet sich durch besondere Freundlichkeit und durch Service aus.

„Cap – der Lebensmittelpunkt“, abgeleitet von Handicap, erschließt eine neue Chance für geistig und körperlich behinderte Menschen, in den Arbeitsmarkt aufgenommen zu werden. In Deutschland gibt es mittlerweile über 50 solcher Märkte – Tendenz steigend. So ist geplant, am 23. April in Bergisch-Gladbach Paffrath einen neuen Cap-Markt zu eröffnen. Die Märkte werden von lokalen Trägern finanziert, in Hamburg etwa von den Werkstätten für Behinderte. Bei Cap gibt es alles zu kaufen, was auch andere Supermärkte anbieten, zu den gleichen Preisen. Beliefert werden sie von der Edeka-Gruppe. Was sie auszeichnet, ist der bessere Service. So helfen die Angestellten älteren Kunden bei der Auswahl, reichen die Ware an und liefern sie sogar bis nach Hause. Ein Dienst am Kunden, der in Zeiten der langen Wege und der Märkte auf der grünen Wiese nicht hoch genug zu schätzen ist.

Das Konzept der Cap-Märkte wurde 1999 von der Genossenschaft der Werkstätten für behinderte Menschen im baden-württembergischen Sindelfingen entwickelt. Das Modell wird über ein Franchise-System bundesweit verbreitet. Und der Bedarf ist groß. Durch das Abwandern der Lebensmittelmärkte in die Randgebiete entstanden Versorgungslücken. Doch auch die Möglichkeit, Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderungen zu schaffen, die nach entsprechenden Schulungen dort problemlos integriert werden können, wurde angenommen. Ende 2007 gab es über 50 Cap-Märkte mit einer Verkaufsfläche von 200 bis 1500 Quadratmetern. Dort arbeiten mehr als 300 Menschen mit geistiger, psychischer oder körperlicher Behinderung. Die Maxime „Wir wollen das tun, was gemeinsam besser getan werden kann, als es der einzelne tun könnte“ scheint aufzugehen. Und so hat man das Konzept sogar noch ausgeweitet. In manchen Gegenden fährt das Cap-Mobil über Land und bringt die Ware zu abgelegener Kundschaft. Von A wie Apfel bis Z wie Zucker ist alles zu haben oder zu bestellen. Unter dem Schlagwort Cap-Puccino entsteht in manchen Märkten auch eine Stätte der Begegnung, wo sich die Kunden vor und nach ihrem Einkauf ungezwungen treffen und austauschen können.

Jürgen Jacobsen aus Hamburg ist seinen eigenen Weg gegangen. Er gründete 2004 den Laden „Wackelpeter’s Kulturposten“, in dem es Schallplatten, CDs, DVDs und Bücher gibt, die andere längst verramschen wollten. Sohn Tim, wegen seines schwankenden Gangs Namensgeber der Ladens, und Tochter Kiki, ebenfalls behindert, sollten einen Arbeitsplatz erhalten, der ihnen Spaß macht. Sie sollten vorne mit den Kunden Kontakt haben und nicht in den Hintergrund gedrängt werden, nur weil sie nicht „der Norm entsprachen“.

Das Konzept von Jürgen Jacobsen ist aufgegangen. Neben Tim und Kiki arbeiten noch andere Behinderte in dem Laden, der zu einem Geheimtip für Musikfreunde geworden ist.

Foto: Einkaufen macht Spaß: Im Cap-Markt geht alles viel besinnlicher zu.


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