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22.03.08 / »Mutter der jüdischen Seefahrt« / Wie Lucy Borchard die Hamburger Fairplay Schleppdampfschiffs-Reederei durch die NS-Zeit lavierte

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 12-08 vom 22. März 2008

»Mutter der jüdischen Seefahrt«
Wie Lucy Borchard die Hamburger Fairplay Schleppdampfschiffs-Reederei durch die NS-Zeit lavierte
von Jan Heitmann

Wenn Lucy Borchard sich anschickte, ihre Schiffe zu inspizieren, ging es wie ein Lauffeuer durch den Hamburger Hafen: „Mutter Borchard kommt.“ Als Chefin der Fairplay-Reederei und einzige jüdische Reederin der Welt hat diese bemerkenswerte Hanseatin einen besonderen Platz in der Reihe der bedeutenden Unternehmerpersönlichkeiten, die das „Tor zur Welt“ zu dem gemacht haben, was es heute ist. Die KZ-Gedenkstätte Neuengamme hat jetzt mit Unterstützung der Hamburgischen Bürgerschaft eine Ausstellung konzipiert, die dem Hamburger Hafen im Nationalsozialismus gewidmet ist. Auch hier hat Lucy Borchard ihren Platz.

Ihr Lebenswerk ist auch heute noch allgegenwärtig. Ist von Hafenschleppern die Rede, denkt man in Hamburg unwillkürlich an die Fairplay Schleppdampfschiffs-Reederei, die mittlerweile 103 Jahre alt ist. Als ihr Gründer Richard Borchard Anfang Februar 1930 überraschend stirbt, hinterläßt er seiner Frau ein florierendes Unternehmen. Doch das aufziehende Unheil der NS-Diktatur wirft bereits seine Schatten voraus, und die Entrechtung der jüdischen Bevölkerung nimmt schon bald ihren Lauf. Die Familie Borchard indes bleibt von dieser Entwicklung zunächst weitgehend unberührt. Lucy Borchard beweist nicht nur kaufmännisches Geschick, sie kümmert sich auch rührend um ihre Belegschaft und deren Familien. Bald ist sie als „Mutter Borchard“ in vielen Häfen bekannt. Bei ihren Leuten genießt sie uneingeschränkten Respekt und Sympathie. Das Schleppgeschäft blüht, und die Borchards haben volle Auftragsbücher. Ihr anscheinend sorgloses Leben ruht jedoch auf tönernen Füßen. Auch in Hamburg sind die Juden rechtlicher Ausgrenzung, sozialer Diskriminierung und Gefahren für Leib und Leben ausgesetzt.

Viele Juden verlassen Deutschland in Richtung Palästina. Das Reich läßt sie ziehen, doch am Ziel haben sie mit der restriktiven Einwanderungspolitik der Mandatsmacht zu kämpfen. Um die Einwanderung zu begrenzen, fordern die britischen Behörden entweder einen Kapitalnachweis oder eine handwerkliche Berufsausbildung. Da hat Lucy Borchard einen für viele Verfolgte lebensrettenden Einfall: Eine Tätigkeit auf den Fairplay-Schiffen soll als berufliche Umschulung junger Juden deklariert werden, die auf diesem Wege die begehrten Einwanderungszertifikate erhalten können. „Das Rechte tun und Unrecht nicht dulden, sonst wird man mitschuldig“ – das ist ihr Lebensmotto, von dem sie sich auch jetzt leiten läßt. In Palästina spricht man von ihr bald respektvoll als der „Mutter der jüdischen Seeschiffahrt“. Mutig meistert sie alle Schwierigkeiten, die sich bei ihrer in mancher Beziehung konspirativen Tätigkeit mit dem Arbeitsamt, dem Seemannsamt und anderen Behörden ergeben. Ihre Entschlossenheit nötigt selbst den braunen Machthabern Respekt ab.

Nachdem die Reederei zwei Frachtdampfer erworben hat, kann sie den Umschülern nicht nur eine Schlepperausbildung, sondern sogar ein Mindestmaß an Hochseeausbildung bieten.

Doch auch die Handlungsfähigkeit der Familie Borchard wird immer mehr eingeschränkt. Vor allem erscheinen den Behörden ihre Auslandsgeschäfte verdächtig. Lucy Borchard unterhält enge Kontakte zur Reederei, Schiffs­mak­lerei und Agentur Barnett Brothers in London und nach Haifa zur Atid Na­vi­gation Com­pany, die ihrem ältesten Sohn gehört, der nach Palästina ausgewandert ist. Im Jahre 1934 kauft Fairplay den aufliegenden Dampfer „Mabel Violet“. Anschließend fährt das Schiff als „Atid“ kurze Zeit unter der Fairplay-Flagge und wird dann an die Reederei von Borchard junior in Haifa weiterveräußert. In ähnlicher Weise und zum gleichen Zweck er­wirbt Fair­play zwei weitere Schiffe, die bald ebenfalls an die Atid-Reederei verkauft werden.

Ihr nächster Schiffskauf wird Lucy Borchard fast zum Verhängnis. Die Oberfinanzdirektion wittert eine strafbare Kapitalverschiebung und nimmt Ermittlungen auf. Die geschäftlichen und persönlichen Verbindungen zwischen Hamburg, London und Haifa sind zu augenfällig geworden. Um die weitere Ausbildung auf ihren Schiffen nicht zu gefährden, stimmt Lucy Borchard einer Geldbuße von 15000 Reichsmark zu, und die Finanzbehörden stellen das Ermittlungsverfahren Anfang 1938 ein. Eine Lucy Borchard aber läßt sich durch diese Vorfälle nicht beirren. Unverdrossen bildet sie weiter jüdische Seeleute aus.

Derweil schreitet die „Entjudung“ der deutschen Wirtschaft zügig voran. Lucy Borchard muß handeln, will sie nicht alles verlieren. Da sie noch immer nicht an den Bestand des „Tausendjährigen Reiches“ glaubt, will sie dessen Ende im Ausland abwarten und ihr Unternehmen unter allen Umständen zusammenhalten. Ihr Sohn Kurt entwickelt ein Modell für die Umwandlung der Firma in eine Stiftung, um sie so vor der Verstaatlichung oder Zerschlagung zu bewahren. Das hat sich noch keiner getraut. Doch der gute Name Borchard wirkt, und das Unvorstellbare geschieht: Lucy Borchard bringt ihre Firma mit allen Aktiva und Passiva entgeltfrei in eine Stiftung ein und darf dafür einen Teil des Betriebsvermögens und ihren persönlichen Besitz lastenfrei ins Ausland bringen. Andere jüdische Reederfamilien dagegen verlieren ihr ganzes Hab und Gut und oftmals auch ihre Freiheit und ihr Leben.

Die endgültige Genehmigung der Transaktion erfolgt am 10. August 1938, am nächsten Morgen sitzt Lucy Borchard schon im Flugzeug nach London. Mit dem ihr eigenen Elan gründet sie in der Emigration zwei neue Reedereien, die Borchard U. K. Company und die Fairplay Towage and Shipping Company. Aus „Mutter Borchard“ wird „Grandma Borchard“.

Während des Krieges hört sie nichts mehr aus Hamburg. Doch Ende Mai 1945 taucht im Londoner Fairplay-Büro überraschend ein britischer Offizier auf und legt Lucy Borchard die Bilanzen von Fairplay Hamburg für die zurück­liegenden Jahre auf den Tisch. Der Firma geht es gut. 1949 überträgt der Hamburger Senat die Fairplay-Reederei in aller Form an die Familie Borchard zurück. Mit Charakterstärke und Beharrlichkeit hat Lucy Borchard endgültig über das Unrecht gesiegt. Nach Hamburg zurückkehren mag sie dennoch nicht mehr. Anfang 1969 stirbt sie im Alter von 91 Jahren in London.

Ihr Unternehmen blüht weiter und wächst über die Grenzen Hamburgs hinaus. Noch immer bilden die Hafenschleppdienste das Kerngeschäft, doch umfassen die Firmenaktivitäten heute auch die weltweite Schleppschiffahrt sowie das Offshore- und Bergungsgeschäft. Die zur Firmengruppe gehörenden Betriebe betätigen sich im Schiffsmeldedienst, der Festmacherei, der Schiffsreparatur, im Stahlbau und der Immobilienverwaltung. Fairplay – dieser Name hat rund um den Globus einen hervorragenden Ruf. Die Geschichte der jüdischen Eignerfamilie ist untrennbar mit der Erfolgsgeschichte des Hamburger Hafens verbunden.

Der Verfasser dieses Artikels ist Autor des Buches „Fairplay Schleppdampfschiffs-Reederei Richard Borchard – Seeschiffsassistenz und Schleppschifffahrt im Wandel der Zeit“, Elbe Spree-Verlag, Hamburg 2005, 158 Seiten, rund 100 s/w-Fotos, 12 Euro.


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