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29.03.08 / Verloren im Sprachendschungel / West-Balkan: Neue »Sprachen« bei Serben, Kroaten, und Bosniern

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 13-08 vom 29. März 2008

Verloren im Sprachendschungel
West-Balkan: Neue »Sprachen« bei Serben, Kroaten, und Bosniern
von Wolf Oschlies

Wenn man auf dem Balkan über Sprache debattiert“, lästerte vor Jahren Milovan Djilas, „dann werden irgendwo bereits Messer gewetzt.“ Ein galliges Diktum, das aber zutrifft – auf das 20. Jahrhundert. Davor hat man auch über Sprachen debattiert, ist durch Kontakt mit deutschen Geistesgrößen und deren unmittelbare Mitwirkung aber zu Resultaten gelangt, die über die balkanische Misere hinaus in eine bessere Zukunft verwiesen.

Eingangs des 19. Jahrhunderts gehörte der südliche Balkan zum Osmanischen Imperium, der nördliche zu Habsburg. Beide Mächte hatten ihre Territorien abgeriegelt. Beide Wälle verhinderten indessen nicht, daß die politisch, konfessionell (Katholizismus versus Orthodoxie) und graphisch getrennten Südslaven (kyrillische versus lateinische Schrift) das Gefühl ihrer ethnischen und sprachlichen Einheit bewahrten. Das war deutsches Verdienst: Herder hatte die Südslawen auf die Schönheit ihrer Volksdichtung verwiesen, die diese nun eifrig sammelten und edierten, allen voran der Serbe Vuk Stefanovic Karadjic. Durch die Vermittlung des Slowenen Jernej Kopitar, damals „Zensor für slawische Bücher“ am Wiener Hof, und Jacob Grimms wurden diese Sammlungen in Deutschland berühmt – selbst Goethe war von ihnen begeistert. Mehr noch: Auf Insistieren Kopitars und Grimms schrieb Vuk eine Grammatik der südslawischen Volkssprache, die Grimm 1824 mit einer wunderbaren Einleitung bereicherte. Dabei prägte der große deutsche Philologe auch den Namen dieser Sprache: „Serbokroatisch“. Diese Benennung stand für die deutsche Überzeugung, die 1829 Leopold von Ranke in seiner „Serbischen Revolution“ formulierte: Alle Südslawen sind ein Volk, sprechen eine Sprache und wollen in einem Staat leben. Das fanden diese auch: Am 28. März 1850 schlossen die Abgesandten der Serben und Kroaten in Wien den „Schriftsprachenvertrag“, der mit den Worten beginnt: „Wir sehen ein, daß ein Volk eine Schriftsprache haben soll.“

„Schreibe, wie du sprichst, und lies, wie es geschrieben steht“, lautete Vuks lässiges Grundprinzip, das dem Serbokroatischen eine rein phonetische Rechtschreibung bescherte. Leicht war sie zu erlernen. Im 1918 entstandenen Jugoslawien bestimmten Vuks Prinzipien die Sprachenpolitik, die anfangs auch von den Kroaten mitgetragen wurde. Erst mit deren destruktivem Nationalismus griff auch ihr sprachlicher Separatismus um sich, pseudowissenschaftlich getarnt als „etymologische Orthographie“. Im Frühjahr 1941 zerbrach Jugoslawien unter dem Angriff Hitlers und Mussolinis, die auch die Paten des faschistischen „Unabhängigen Staats Kroatien“ wurden. Dessen buchstäblich erstes Gesetz im April 1941 galt der „Reinheit der kroatischen Sprache“ und war eines von vielen Instrumenten einer Vernichtungspolitik, der über 600000 Serben zum Opfer fielen.

Nach 1945 wollte Jugoslawien – das einzige Land Europas, das sich aus eigener Kraft, ohne fremde Hilfe befreite – zu sprachlicher Normalität zurückkehren. Der föderative Neuaufbau des Landes zwang indessen zu dem Eingeständnis, daß in Jugoslawien drei Sprachen gesprochen werden, im Norden Slowenisch, im Süden Mazedonisch und im großen Rest eine einheitliche Sprache, die die Serben Serbisch, die Kroaten Kroatisch nennen. Details regelte 1954 der Vertrag von Novi Sad: Natürlich sprechen Serben, Kroaten, Bosnier, Montenegriner etc. ein und dieselbe Sprache, aber weil sie sie verschieden schreiben, auch ein paar phonetische und lexikalische Unterschiede aufweisen, soll die gemeinsame Standardsprache eben in zwei Varianten auftreten, „Serbokroatisch“ und „Kroatoserbisch“. Verglichen mit den Unterschieden deutscher Dialekte waren die Differenzen dieser Varianten lächerlich gering, aber das wollten Kroaten nie einsehen. 1967 unterzeichneten kroatische Prominente eine „Deklaration über die Benennung und die Lage der kroatischen Literatursprache“, womit der Sprachenstreit zur politischen Sezession eskalieren konnte.

Sprachen ändern sich nicht durch politische Willensbekundungen, auch nicht durch Wortschatz-Differenzierungen. Wäre es anders, dann hätten 1947 der Wiener Kultusminister Felix Hurdes mit seiner „österreichischen Sprache“ und 1970 der Pankower Walter Ulbricht mit seiner „Sprache für die sozialistische deutsche Nation“ Erfolg gehabt.

Sprachen ändern sich nur durch Änderungen ihrer Strukturen, wovon bis heute bei Serben, Kroaten etc. keine Rede sein kann. Aber wir unterschätzten die Sprengkraft des interethnischen Hasses, der minimale Wortschatzunterschiede aufbläht und sie, hierbei in Kroatien der chauvinistischen Rigorosität der kroatischen „Ustasche“ von 1941 folgend, zu „Beweisen“ aufbläht, wie sehr die „kroatische Sprache“ vom Serbischen „verunreinigt“ wurde. Derselben Argumentation bedienten sich die Bosnier, als sie vor 15 Jahren eine „bosnische Sprache“ erfanden, und die Montenegriner, als sie am

19. Oktober 2007 eine „montenegrinische Sprache“ in ihrer Verfassung verankerten. Die hat sogar ihr eigenes Alphabet mit drei Buchstaben mehr als das serbische, was so anmutet, als wollte jemand das deutsche Alphabet mit Sonderzeichen für das rheinische gutturale L, das bayerische mouillierte Ü etc. anreichern.

Das alles ist lächerlich und tragisch zugleich. Tragisch sind die kulturellen Rückschläge überall: Zerfall regionaler Buchmärkte, Niedergang des Verlagswesens, Chaos in Fragen der Orthographie, Verfall der allgemeinen Sprachkultur, akademisches Unverständnis für Fächer wie „kroatische Sprache“ und vieles mehr. Ein Sprachenkrieg läuft, der nur einen zynischen Trost bereithält: Er kommt ohne Dolmetscher aus, weil Serben, Kroaten und alle anderen nach wie vor ein und dieselbe Sprache sprechen. Diese unüberhörbare Tatsache wird von „Wissenschaftlern“, „Experten“ mit „unerträglicher Verlogenheit und Feigheit“ verdrängt, zum Glück aber nicht mehr von Politikern: Seit Jahren spricht die UN in Bosnien nur von „local languages“, und seit Juni 2007 hat die EU den West-Balkanesen bedeutet, daß sie sich zu ihrer gemeinsamen Sprache bekennen sollten, um in die EU zu kommen. Brüssel will keine Dolmetscher für „Serbisch“, „Kroatisch“, „Bosnisch“, „Montenegrinisch“ etc. einstellen, die für teures Geld wie Papageien immer dasselbe reden.


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