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29.03.08 / Streß im Kinderzimmer / Leistung macht Spaß – kann aber auch überfordern / Das bleibt in der Familie (Folge 22)

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 13-08 vom 29. März 2008

Streß im Kinderzimmer
Leistung macht Spaß – kann aber auch überfordern / Das bleibt in der Familie (Folge 22)
von Klaus J. Groth

Kindheit ist Streß. Bereits Zehnjährige haben einen vollen Terminkalender, mit dem ein Manager aufwarten könnte. Kinder haben strenger auf ihr aktuelles „Outfit“ zu achten als die Erwachsenen, wollen sie nicht dem Gruppenterror ausgesetzt werden. Sie lernen bereits im Kindergarten ihre erste Fremdsprache, damit sie später in einem globalisierten Arbeitsmarkt mithalten können. Sie werden durch das um ein Schuljahr reduzierte Turbo-Abi gefegt. Wenn dann noch Mutter und Vater im täglichen vergeblichen Kampf gegen die Anforderungen von Beruf und Familie versuchen, allem gerecht zu werden, dann wirkt sich die Selbstüberforderung bis ins Kinderzimmer aus. Die Verdichtung der Anforderungen im Arbeitsleben, die viele Erwachsene heute zu Recht beklagen, sie beginnt bereits in der Kinderzeit.

Hohe Ansprüche haben einen hohen Preis. Wer alles mitnehmen möchte, was geboten wird, der muß bald feststellen, daß selbst großzügig bemessene Kapazitäten begrenzt sind. Eine Studienrätin, die mit ihren Schülern den Termin für ein kleines Klassenfest besprechen wollte, kapitulierte nach einiger Zeit. Sie kam sich vor, als müsse sie „mit vielbeschäftigten Managern“ einen Termin aushandeln. Die Elf- und Zwölfjährigen fanden einfach keinen gemeinsamen Termin. Am Montag hatten fünf von ihnen Flötenunterricht, am Dienstag drei Rudern, am Mittwoch drei Ballett, am Donnerstag sieben Tennis und am Freitag vier Klavierunterricht. Blieb noch der Sonnabend, aber da wollten zwei zum Reiten, und überhaupt kam der Sonnabend für einen schulischen Termin nun wirklich nicht in Frage.

Deutschlands Kinder sind immer mehr auf Achse – und die Eltern mit ihnen. Irgendwer muß den Fahrdienst schließlich organisieren – und ausführen.

Eine solche Fülle von Angeboten für die Freizeit hat es noch niemals gegeben. Die Möglichkeiten sind verführerisch. Doch die damit verbundene Reizüberflutung hat ihren Preis, den die Kinder zunehmend bezahlen müssen. Viele Kinder haben verlernt, sich selbst zu beschäftigen, sie erwarten, mit Angeboten versorgt zu werden.

Besonders in der bürgerlichen Gesellschaft und unter den Gymnasiasten grassiert die Hobbyritis. Das Kind mit Geigenkasten unterm Arm und Reitstiefeln an den Beinen, auch das ist ein Statussymbol der Wohlstandsgesellschaft. Auch wenn Ballett- und Musiklehrer es gerne herunterreden: Das Hobby kann leicht zum Streß einer 50-Stunden-Woche ausarten.

Noch niemals wurde so viel über Kinderarmut berichtet wie heute, auch nicht zu Zeiten, als die Zahl armer Kinder definitiv größer und ihre Not schlimmer war. Noch niemals fanden Kinderelend und Kindernot eine größere öffentliche Aufmerksamkeit. Gleichzeitig aber wurde niemals mehr Aufhebens um die Prinzessinnen und Prinzlein gemacht als gegenwärtig. 

Beides bedarf der kritischen Aufmerksamkeit, die Armut und der Überfluß. Auch das Übermaß kann für Kinder eine Not sein.

Allerdings: Jene Kinder, die auf Wunsch ihrer Eltern oder auch aus eigenem Antrieb für das sogenannte Turbo-Abi, auch G 8 genannt, büffeln, sie werden mit Verwunderung, vielleicht sogar ein bißchen Neid auf die Nöte einer überfrachteten Freizeit blicken. Die nämlich kam ihnen abhanden. Der verkürzte Weg über acht Klassen zum Abitur fordert von den Jugendlichen einen zeitlichen Einsatz, der gelegentlich das Arbeitspensum der Erwachsenen übertrifft.

Wenn der gleiche Lehrstoff bewältigt werden soll, für den im Regelfall neun Jahre veranschlagt wurden, dann sind sieben Schulstunden täglich zu absolvieren. Das ist sehr viel, auch wenn Übungs- und Wiederholungsstunden in diese Aufstellung einbezogen sind. Und die Lücken für die Hobbys in der Freizeit, die lassen sich da kaum noch finden.

Es muß nicht schädlich sein, wenn Kinder frühzeitig lernen, mit Herausforderungen fertig zu werden. Nur, die Herausforderungen, auch die vernünftigen und die gut gemeinten, sie bauen sich mittlerweile zu einer mächtige Bugwelle auf, in der für Experimente und Selbsterfahrung kein Platz mehr bleibt, in der Kinder, die nicht mithalten können, zur Seite gedrängt werden.

Gut gemeint ist nicht gut gemacht. Pädagogische Reformen rauschen seit mehr als 30 Jahren über die Schüler hinweg. Jede wird angekündigt als die endgültige, ultimative pädagogische Erkenntnis – und wenn die Welle dann wieder abebbt, dann gibt es angesichts des angerichteten Scherbenhaufens viele betroffene Gesichter und den lautstarken Ruf nach der nunmehr wirklich endgültigen, ultimativen Reform.

Der Druck, dem Eltern und Kinder ausgesetzt sind, ist enorm. Politik und Wirtschaft haben längst die „Lufthoheit über den Kinderbetten“ erlangt, nach denen Arbeitsminister Olaf Scholz einst drängte. Alles ist Wettbewerb, alles ist Standortsicherung, vom Plumquatsch im Kindergarten bis zu Pisa an den Schulen. Eltern haben ein schlechtes Gewissen, wenn sie nicht frühzeitig ihr Kind einer Potenzanalyse unterziehen lassen. Zur Standardausstattung gehört in jedem Haushalt mit Kleinkind ein Checkbuch, in dem abgehakt werden muß, was das Kind in einem bestimmten Alter können muß. Und wehe, es kann das nicht! Dann muß umgehend ein Experte konsultiert werden.

Wenn die Eltern es ganz besonders gut mit ihren Sprößlingen meinen, dann organisieren sie den Besuch eines zweisprachigen Kindergartens, „damit es das Kind später einmal leichter hat“.  Oder sie schenken ihrem Sprößling statt Harry Potter eines jener speziell für Kinder geschriebenen Sachbücher, die in diesem Jahr erstmals auf der Buchmesse in Leipzig vorgestellt wurden. Immer getreu dem Merksatz: Auch ein Kind hat heute keine Zeit zu verschenken. Das lebenslange Lernen kann nicht früh genug beginnen.

Klar, „Kinder sind unsere Zukunft“. Und wer will seine Zukunft schon in abgetragen Klamotten sehen. Die Zeiten, in den die Jüngeren tragen mußten, was den Größeren zu eng geworden war, die sind glücklicherweise – jedenfalls mehrheitlich – vorüber. Heute ist es eher umgekehrt: Die Älteren tragen, was die Jüngeren anziehen. Sohn und Vater, Tochter und Mutter im Partnerlook, das ist chic. Allerdings, Vorsicht Eltern! Das kann teuer werden. Zum Wohlfühlfaktor für das Kind gehören Designer-Klamotten. Für alle, die nicht so genau wissen, was „Kind“ heute so trägt, sei hier eine Bildunterschrift aus der Beilage „Kinderleben“ in der linksliberalen „Süddeutschen Zeitung“ zitiert: „Emma: Sweatshirt von Dior, Jeansrock von D&G; Sinas: Pullover von Armani, die Schlüsselkette von C&A; Luca: Jacke von RA-RE, Hose Petit Bateau; Rouven: Shorts von Benetton, T-Shirt: H&M“.

So wird auch die Jagd nach der richtigen Konsumware zum Streß. Finanziell mag der Klamottenterror in Familien kein Problem sein, in denen sich Mama schon mal ein Teil von Max Mara gönnt, da macht die Jagd auf die wirklich angesagten Teile gelegentlich schon größere Probleme. In Familien allerdings, in denen das Geld nicht so locker sitzt – und dazu gehört die Mehrheit, ist der Drang zur Markenklamotte häufig ein erhebliches Problem. Ein Blick in die Kinderzimmer in weniger guten Wohngegenden zeigt allerdings, daß sich dieses Defizit auf andere Weise kompensieren läßt: Sie sind vollgestopft mit Computern und Spielkonsolen.

Denn so etwas gehört noch früher zur Grundausstattung der Kleinen als das Handy.

Da sitzen die „Kids“ dann vor ihrem eigenen Fernseher und sehen in der Werbung, was man als Kind so ißt – von Fruchtzwergen über Fertigpasta bis zu Mini-Milchshakes. Wenn Mama und Papa sie nicht kaufen, wird Streß gemacht.

Was Wunder, wenn verzweifelte Eltern schließlich klagen, die Kinderzimmer seinen voller kreischender Gremlins und kleiner Monster. Doch die wurden nicht geboren, die wurden gemacht.

In der nächsten Folge lesen Sie: „Das sag ich meinem großen Bruder“ – Schwestern: Immer Zwietracht? – Vom Vorteil, Geschwister zu haben

 

Familienmenschen (und andere)

Johann Carl Friedrich Gauß (* 30. April 1777 in Braunschweig; † 23. Februar 1855 in Göttingen) hatte das Glück, daß seine mathematische Begabung schon sehr früh erkannt wurde. Zudem begleiteten Förderer seinen Weg. Bereits als Dreijähriger soll Gauß seinen Vater bei der Lohnabrechnung korrigiert haben. Er selbst erzählte später in seinen Erinnerungen, er habe das Rechnen noch vor dem Sprechen erlernt. Beim Start seiner schulischen Karriere war Gauß eher ein Spätentwickler. Er war bereits neun Jahre alt, als er zur Volksschule kam. Da in den Klassen mehrere Jahrgänge gleichzeitig unterrichtet wurden, stellten die Lehrer Aufgaben, mit denen ein Teil der Schüler für eine Weile beschäftigt war. So auch in der Klasse, die Gauß besuchte. Die Schüler sollten die Zahlen 1 bis 100 summieren. Das, so glaubte der Lehrer, dauere seine Zeit. Gauß jedoch war unerwartet schnell fertig. Er hatte 50 Paare mit der Summe 101 gebildet (1 + 100, 2 + 99, ..., 50 + 51). Das Ergebnis: 5050. Die daraus entwickelte Formel ist als „der kleine Gauß“ bekannt. Ein Rechenbuch aus Hamburg und die Versetzung auf das Gymnasium waren Lohn für diese Leistung. Der Wunderknabe Gauß wurde im Alter von 14 Jahren dem Herzog Carl Wilhelm Ferdinand von Braunschweig vorgestellt. Der stolze Landesvater unterstützte ihn finanziell. An der Wiege hatte man Gauß einen solchen Weg nicht voraussagen können. Seine Mutter, Dorothea, war nahezu analphabetisch aufgewachsen. Sie arbeitete als Dienstmädchen, ehe sie heiratete. Sein Vater, Gerhard Dietrich Gauß, verdiente seinen Lebensunterhalt als Gärtner, Schlachter, Maurer, Kaufmannsgehilfe und Schatzmeister einer kleinen Versicherungsgesellschaft. Der als Einzelkind aufgewachsene Johann Carl Friedrich Gauß war zweimal verheiratet und Vater von sechs Kindern

Angelika Kauffmann (* 30. Ok-tober 1741 in Chur; † 5. November 1807 in Rom) wurde bereits mit sechs Jahren wegen ihrer Malkünste als Wunderkind angesehen. Ihr Vater, der Porträt- und Freskenmaler Joseph Johann Kauffmann, förderte die Begabung seiner Tochter nach Kräften. Er ließ sie von verschiedenen Lehrern in Como und Mailand in Malerei und Musik unterrichten. Den Unterricht in den Grundkenntnissen des Lesens und Schreibens übernahm er selbst, da es für Mädchen keine reguläre Schulausbildung gab. Für den Sprachunterricht war die Mutter, Cleophea Kauffmann, zuständig. Sie vermittelte der Tochter Kenntnisse in Deutsch und Italienisch, später in Englisch und Französisch. Alle diese Sprachen sollte Angelika Kauffmann auf ihrem Lebensweg benötigen. Das Wichtigste aber blieb für sie die Malerei. Mit elf Jahren malte sie ihr erstes Selbstbildnis. Porträts waren später ihre Spezialität, mit der sie zu Ruhm gelangte. Besonders berühmte Reisende, die Italien besuchten, malte sie. Zu den von ihr porträtierten Persönlichkeiten gehörten auch Johann Wolfgang von Goethe und Johann Joachim Winckelmann. So erfolgreich Angelika Kauffmann als Malerin war, so wenig Glück hatte sie in der Ehe. Ihr erster Mann, der angebliche schwedische Graf Frederick de Horn, war ein Heiratsschwindler, der mit den Ersparnissen durchbrannte. Die zweite Ehe mit dem venezianische Maler Antonio Zucchi (1726–1795) hatte Bestand.

Foto: Erdrückend: Schule, Hobby, wo bleibt die Zeit fürs Kind sein?


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