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12.04.08 / Der bessere Patient? / Eine zweifelhafte Studie schürt eine Neiddebatte unter Krankenversicherten

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 15-08 vom 12. April 2008

Der bessere Patient?
Eine zweifelhafte Studie schürt eine Neiddebatte unter Krankenversicherten
von Mariano Albrecht

Gesetzlich Krankenversicherte sind Patienten zweiter Wahl. Niedergelassene Ärzte bevorzugen Privatpatienten, während Kassenpatienten in Wartezimmern leidend vor sich hinsiechen oder ewig auf einen Termin beim Facharzt warten müssen. Glaubt man der aktuellen Berichtterstattung in den Medien, die sich auf eine Studie des vom SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach geleiteten Instituts für Gesundheitsökonomie und Klinische Epidemiologie der Universität Köln berufen, sieht so der Alltag im deutschen Gesundheitswesen aus. Notstand für Patienten? Müssen gesetzlich Krankenversicherte gesundheitliche Risiken in Kauf nehmen, weil Ärzte Patienten privater Krankenkassen bevorzugen, die ihren Versicherten mit deutlich höheren Honoraren beim Arzt eine Vorzugsbehandlung erkaufen?

Die Wissenschaftler hatten im Raum Köln, Bonn und Leverkusen in 189 Praxen Behandlungstermine bei verschiedenen Fachärzten angefragt und sich dabei als Privat- oder Kassenpatient ausgegeben. Heraus kam, daß Kassenpatienten rund dreimal solange auf Termine warten müssen wie Privatversicherte. Der Grund: Private Krankenkassen erstatten für ihre Versicherten bis zu dreifache Honorarsätze, die Rechnungen werden innerhalb eines Monats beglichen, bei den gesetzlichen wird quartalsweise abgerechnet, die Honorare sind knapp bemessen, und dank der rot-grünen Gesundheitsreform steht den Medizinern für jeden gesetzlich Versicherten Patienten ein schmales Budget für Honorare und Verschreibungen zur Verfügung. Ist das Budget aufgebraucht, müssen Behandlungen unter Umständen ins nächste Quartal verschoben werden oder der Arzt zahlt drauf. Gesetzlich Versicherte Patienten seien keine gern gesehenen Kunden, folgern die Wissenschaftler. Doch Panikmache ist fehl am Platze, denn medizinisch notwendige Behandlungen müssen durchgeführt werden, in Deutschland wird kein Patient ohne notwendige Behandlung nach Hause geschickt. Wie repräsentativ ist die Studie? Ist eine private Versicherung die bessere, die erste Wahl?

Nordrhein-Westfalen hat im Kölner Raum die höchste Arztdichte Deutschlands mit einem hohen Anteil an Privatversicherten, dies ist auch auf die Nähe zur ehemaligen Bundeshauptstadt Bonn mit vielen besserverdienenden Beamten und Bundesangestellten zu- rückzuführen. Bundesweit sind 90 Prozent aller Bürger gesetzlich versichert. Von den Beiträgen wird das Gesundheitssystem finanziert.

Die Höhe des Beitrags richtet sich nach dem Einkommen des Versicherten, wer gut verdient, zahlt mehr. Anders bei den privaten. Seit der Gesundheitsreform ist der Zugang zu den privaten Kassen erschwert worden, nur Selbständige oder Bürger mit einem Einkommen von mehr als 4500 Euro monatlich über mindestens drei Jahre dürfen sich privat versichern. Trotz komfortablerer Leistungen liegen die Beiträge meist unter denen der gesetzlichen Krankenkasse. Erste Klasse für weniger Geld?

Nur unter bestimmten Voraussetzungen. Chronische Erkrankungen, gesundheitliche Risiken im Beruf und das Eintrittsalter in die Versicherung beeinflussen die Höhe des Versicherungsbeitrages. Bei den gesetzlichen Kassen sind alle Versicherten in der Behandlung gleichgestellt, private Kassen bieten Sonderleistungen an, die sich natürlich im Beitrag niederschlagen. So können Chefarztbehandlung, Einzelzimmer im Krankenhaus oder höhere Zuschüsse für Heil- und Hilfsmittel „zugekauft“ werden. Der zu Anfang günstige Beitrag hat seinen Preis.

Im Gegenzug für geringe Beiträge wird dem Versicherten allerdings auch etwas abverlangt. Um den Beitrag attraktiv zu gestalten, sind oft Selbstbeteiligungen von mehreren hundert Euro im Jahr notwendig. Bei geringfügigen Erkrankungen zahlt der Patient seine Rechnungen also selbst, ohne daß die Versicherung einspringt. Für kostenintensive Behandlungen muß der Privatpatient immer etwas auf der hohen Kante haben, um die Behandlung vorzufinanzieren. Hinzu kommt die kleine Buchhaltung, das selbständige Abrechnen der Behandlungskosten mit der Versicherung. Außerdem droht die Altersfalle, denn mit zunehmendem Alter steigt das Krankheitsrisiko und mit ihm der Beitrag. Zwischen dem 30.und dem 40. Lebensjahr sind Beitragssteigerungen um bis zu 100 Prozent möglich, bis zum Rentenalter kann die Versicherungsprämie die einer gesetzlichen Versicherung weit übersteigen. Der Pferdefuß: In jungen Jahren verdienen die meisten Menschen besser als im Alter, was an Beiträgen gegenüber der gesetzlichen Versicherung eingespart wird, muß im Alter wieder draufgezahlt werden. Wenn Einkommen oder Rente dann nicht mehr so üppig sind, droht Ungemach. Ein Wechsel in die gesetzliche Krankenversicherung ist dann kaum noch möglich.

Kann in der gesetzlichen Versicherung unter Umständen eine ganze Familie zu einem Beitrag versichert werden, so gilt die Privatversicherung nur für einen Versicherungsnehmer. Ehegatten und Kinder müssen dann extra versichert werden, das kann schnell teuer werden und den Beitrag einer gesetzlichen Versicherung um ein vielfaches übersteigen. Die erste Klasse hat ihren Preis. Doch das wird in der Studie verschwiegen.

So wird vielen Versicherten zwar ein günstiger Beitrag mit vermeintlich Erster-Klasse-Leistungen angeboten, doch der Teufel steckt im Detail. Wer in jungen Jahren leichtfertig bestimmte Krankheitsrisiken ausklammert und nicht mitversichert, um am Beitrag zu sparen, der kann in fortgeschrittenem Alter schnell auf hohen Arztrechnungen sitzen bleiben. Hat zum Beispiel jemand beim Abschluß der Versicherung eine Allergieerkrankung nicht versichert und entwickelt im Laufe seines Lebens eine Allergie, zahlt die private Kasse nichts. Die gesetzliche Krankenversicherung greift auch bei der Veränderung von Lebens- und Gesundheitsumständen. Die Kölner Studie bedient Klischees.

In vielen Arztpraxen werden gesonderte Sprechstunden für Privatpatienten angeboten, eine Übervorteilung des Kassenpatienten ist somit während der regulären Sprechstunde weitgehend ausgeschlossen. Viele Ärzte räumen zwar ein, daß ein Privatpatient schon mal schneller drankommt, doch besonders bei Hausärzten zählt für die meisten die Dringlichkeit der Behandlung.

Wird mit der Lauterbach-Studie eine Neiddiskussion entfacht?

Offensichtlich, doch der Plan geht nicht auf, es geht um mehr. Ärzteverbände fordern höhere Honorare, gesetzliche Krankenkassen äugen nach der Klientel der privaten Versicherer, da diese nicht in das Solidarsystem einzahlen. Lobbyverbände von Ärzten, Krankenkassen, Klinikkonzernen und Pharmaindustrie beackern das Feld des Gesundheitswesens. Daß die Kölner Studie von Karl Lauterbach es darauf abgesehen hat, Zwietracht in das System zu streuen, verwundert nicht.

Lauterbach übt neben seinem Bundestagsmandat mehrere Beratertätigkeiten unter anderem für die AOK, und die Barmer Ersatzkasse aus, beim größten deutschen privaten Klinikbetreiber, der Rhön-Klinikum AG, sitzt Karl Lauterbach im Aufsichtsrat.

Mit Blick auf derart offensichtliche Lobbyarbeit im Gesundheitswesen dürften der Status von Versicherten und die Organisation von privaten Arztpraxen nur Nebenschauplätze sein.

Foto: Selbstbeteiligung kann teuer werden: Privatversicherung hat ihren Preis.


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