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12.04.08 / Alles andere als Bollywood / Tragisch-süßer Roman über den harten Alltag in Indien

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 15-08 vom 12. April 2008

Alles andere als Bollywood
Tragisch-süßer Roman über den harten Alltag in Indien

Da übergießt sich eine Frau mit Petroleum, weil sie es satt hat, von ihrem ständig sturzbetrunkenen Mann geschlagen und vergewaltigt zu werden. Im Krankenhaus geht es drunter und drüber. Ein Sammelsurium an Patienten, die jedes Schamgefühl verloren haben. Es wird gedroht, gebrüllt, geschlagen und auf die widerlichste Art gestorben. Mitleid unter den Patienten gibt es nicht.

Da befällt den ehrbaren ergrauten Familienvater vom zweiten Stock immer nur nachts die Lust aufs Töchterprügeln. Unter Zuhilfenahme eines Knüppels oder eines Ledergürtels drischt er auf seine Töchter ein. Der zehnjährige Bruder drückt sich das Kissen auf den Kopf und denkt bei sich, Frauen und Männer schlafen eben miteinander und setzen Kinder in die Welt. Wenn ich jemals heirate, werde ich es wohl ebenso machen. Ich, Bhaus treuer Abendschüler.

Mit diesen deftigen und schockierenden Geschichten beginnt der Roman „Sieben mal sechs ist dreiundvierzig“ von Kiran Nagarkar. Im Mittelpunkt steht das Leben des 30jährigen Ich-Erzählers Kushank. Auf beruflicher Selbstfindung und auf der Suche nach Liebe wühlt er sich durch einen Wust von Erinnerungen. Erzählt ist dies in einem Ton, der, wenn man es zynisch und brutal mag, auch einige Komik aufweist.

Eine beeindruckende Episode ist Kushanks Reise mit seinem Freund Raghun, der für eine internationale Hilfsorganisation in einem kleinen Dorf einen Brunnen graben soll. Der Spaß und die Abwechslung, welche die beiden auf ihrer Reise haben, und warum alles in einer überstürzten Flucht endet, wird mit bissigem Humor lustvoll beschrieben. Das Hilfsprojekt „Brunnen“ wird nach anfänglichen Schwierigkeiten ein Erfolg. Was für ein Irrtum! Das Schmunzeln gefriert dem Leser im Gesicht.

Frauen spielen in Kushanks Leben eine große Rolle. In Rückblicken erzählt er von seiner platonischen Liebe zu der launischen Aroti, von der schönen und verletzlichen Candani und von der Liebe zu einer Frau, bei der man nicht weiß, wer eigentlich wen verlassen hat und warum.

Dieser Roman schildert die häßlichen Seiten zwischenmenschlicher Beziehungen, Schmerz und Leid, Armut und scheiternde Liebe. Kiran Nagarkar erzählt rück-sichtslos von den für europäische Gemüter scheußlich anmutenden Verhältnissen des indischen Alltags, eingebunden in Traditionen und Kultur und nur unterbrochen von kurzen Momenten des Glücks. Dieses Leseabenteuer ist kein „Bollywood“-Roman. Es wird verraten, betrogen, geprügelt, gedarbt, verhungert und gestorben. Nichts für Zartbesaitete.            Barbara Mußfeldt

Kiran Nagarkar, „Sieben mal sechs ist dreiundvierzig“, A1, München, geb., 357 Seiten, 22,80 Euro


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