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19.04.08 / Vergangenheit als Waffe / Debatte über Stasi-Verstrickungen bei der »Berliner Zeitung«: Ehrliche Aufarbeitung oder bloßer Machtkampf?

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 16-08 vom 19. April 2008

Vergangenheit als Waffe
Debatte über Stasi-Verstrickungen bei der »Berliner Zeitung«: Ehrliche Aufarbeitung oder bloßer Machtkampf?
von Markus Schleusener

Manche Argumente werden nur angeführt, weil sie jemandem gerade in den Kram passen. Nicht weil sie besonders schlüssig sind. So zum Beispiel die Behauptung: Jemand, der Eigentümer einer Zeitung ist, kann nicht gleichzeitig ihr Chefredakteur sein. Dies gefährde die „journalistische Unabhängigkeit“ zu sehr.

Das ist Blödsinn. Dieter Stein ist gleichzeitig der Hauptinhaber der Berliner Wochenzeitung „Junge Freiheit“ und ihr Chefredakteur – und niemand hat je die Unabhängigkeit der Redaktion in Zweifel gezogen. Oder Rudolf Augstein: Er war Chef und (Mit-)Inhaber des „Spiegel“ in einer Person! Und gerade viele kleinere Magazine und Zeitschriften könnten anders gar nicht existieren.

Trotzdem beschweren sich die Mitarbeiter der „Berliner Zeitung“, Josef Depenbrock dürfe nicht gleichzeitig Chef des „Berliner Verlages“ und Chefredakteur der „Berliner Zeitung“ sein.

Depenbrock sei der „Höfling“ von „Mr. Pokerface David Montgomery“, schimpft der Chef der Journalistengewerkschaft DJV Michael Konken. Er wirft Depenbrock vor, die „Heuschreckenphilosophie“ seines Chefs umzusetzen. Montgomery ist der neue Eigentümer der Zeitung. Es heißt, er habe nur seinen Gewinn im Sinn.

Und gegen so einen Mann ist jedes Mittel recht. Zumal Montgomery Renditeerwartungen von 18 bis 20 Prozent aufgestellt haben soll, recht viel auf einem schwächelnden Markt wie dem der Tageszeitungen. Die Redaktion hat den Chefredakteur Anfang des Jahres zum Rücktritt aufgefordert – ein seltener Vorgang in der deutschen Pressegeschichte.

Nun schießen Montgomery, Depenbrock & Co. scharf zurück. Ihr Vorwurf: Die Redaktion der „Berliner Zeitung“ sei Stasi-verseucht. Tatsache ist, daß sich vor kurzem zwei Mitarbeiter offenbart haben. Thomas Leinkauf, Chef der Wochenendbeilage, und Ingo Preißler, ein stellvertretender Ressortchef, haben zugegeben, daß sie fürs MfS tätig waren. Die Frage ist nun: Wie viele Redaktionsmitglieder waren noch für Mielke unterwegs?

Wie die Preußische Allgemeine Zeitung in Erfahrung bringen konnte, war die MfS-Tätigkeit von Mitarbeitern der „Berliner Zeitung“ ein offenes Redaktionsgeheimnis. Offenbar, so eine Vermutung, werden die pikanten Fakten erst jetzt der Öffentlichkeit preisgegeben, weil sie ins Konzept der neuen Eigentümer passen, die mit der renitenten Redaktion fertig werden wollen.

1990 und in den Folgejahren sind die meisten Zeitungen von westdeutschen Verlagen geschluckt worden. Niemand hat damals nach der DDR-Vergangenheit der übernommenen Redakteure gefragt. Und das, obwohl gerade Journalisten oft SED-nah waren.

Besonders bei der „Berliner Zeitung“ ging es sehr lässig zu.  Erich Böhme, Chefredakteur von 1990 bis 1994, hielt eine Spitzeltätigkeit für Mielke & Co. wohl für eine Art Kavaliersdelikt. Der Sat1-Zuschauern als Talk-im-Turm-Moderator bekannte Journalist verzichtete auf eine gründliche Aufklärung. Er hatte Großes im Sinn, wollte die „Berliner Zeitung“ vom SED-Bezirksblatt zur „deutschen Washington Post“ veredeln. „Unsere DDR-Vergangenheit war unter Böhme kein Thema“, erinnert sich ein früherer Mitarbeiter.

Diese gleichgültige Haltung wird jetzt auch von der Chefin der Stasi-Unterlagenbehörde beklagt. Marianne Birthler kritisiert, die westdeutschen Verlage hätten 1990 völlig unkritisch das Ost-Personal übernommen. Und nun die Wende: Alles soll aufgeklärt werden. Deswegen haben die meisten Mitarbeiter der „Berliner Zeitung“ Einsicht in ihre Stasi-Unterlagen beantragt, um ihre Vergangenheit offenzulegen und ihre Glaubwürdigkeit wiederherstellen zu können. Doch selbst über die Aufklärung der Stasi-Vergangenheit sind sie sich uneins. Der verhaßte Chefredakteur wollte erst Wissenschaftler engagieren, die dies tun sollten, dann aber absagten. Danach griff er auf ehemalige Mitarbeiter zurück. Die kennen sich natürlich am besten aus, wenn es um die Belegschaft geht. Die Mitarbeiter aber behaupten, gerade Ex-Angestellte des Verlages seien befangen und könnten kein neutrales Urteil fällen.

Es bleibt nur die traurige Erkenntnis, wie fatal eng das Verdrängen, das Aufklären und das Mißbrauchen einer unangenehmen Vergangenheit beieinanderliegen können, wenn Macht und Mißgunst im Spiel sind.


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