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19.04.08 / »Seelische Echos« auf der Leinwand / Zum ersten Mal werden Werke von Lovis Corinth in Paris ausgestellt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 16-08 vom 19. April 2008

»Seelische Echos« auf der Leinwand
Zum ersten Mal werden Werke von Lovis Corinth in Paris ausgestellt

Zum ersten Mal wird dem deutschen Maler Lovis Corinth, einem Schüler von Bouguereau und Robert-Fleury, eine Ausstellung in Paris gewidmet. Unter dem Titel „Lovis Corinth – Zwischen Impressionismus und Expressionismus“ werden im Musée d’Orsay rund 80 Gemälde und 30 Werke auf Papier (Zeichnungen, Radierungen, illustrierte Bücher) zu den verschiedenen Themen präsentiert (Porträts, Genre-szenen, biblische und mythologische Motive, Akte, Landschaften und Stilleben). Die Ausstellung ist chronologisch sowie thematisch gestaltet und hebt die Originalität seiner Malerei hervor, die sich zwischen Tradition und Moderne entwickelte.

Corinth wurde 1858 in Ostpreußen geboren. Er studierte zuerst an der Kunstakademie in Königsberg und dann in München. Vor seinem Studium an der Académie Julian in Paris unternimmt er eine Studienreise nach Antwerpen. 1890 wird sein Gemälde „Pietà“ (1889, es wurde 1945 zerstört) auf dem Salon mit einer Auszeichnung geehrt. Im folgenden Jahr läßt sich Corinth in München nieder und wird Gründungsmitglied der Sezession. Während sein Gemälde „Salomé II“ (1900) von der Jury der Münchner Sezession abgelehnt wird, wird es in Berlin, wohin er im Oktober 1901 zieht, begeistert aufgenommen.

Das Berliner Leben dient Corinth, der an der Spree eine Malschule für Frauen gegründet hat, als Inspirationsquelle. Er besucht Ausstellungen, Salons und verdient seinen Lebensunterhalt vor allem mit Auftragsporträts wie das Bildnis von Julius Meier-Graefe aus dem Jahr 1917 (heute im Besitz des Musée d’Orsay) zeigt. Als Sprungbrett dient ihm insbesondere die Berliner Sezession. Er stellt seine Bilder dort regelmäßig aus und wird auf diese Weise bei einem sachkundigen Publikum bekannt.

Der erste Ausstellungsraum im Musée d’Orsay ist den Anfängen des Malers und der Berliner Sezession sowie Werken seiner Zeitgenossen Liebermann, Slevogt und Leistikow gewidmet. Als erstes sieht man das Selbstporträt mit seiner Frau und Sektglas aus dem Jahr 1902. Diese Darstellung als verlorener Sohn in Begleitung seiner späteren Ehefrau Charlotte Berend, seiner Muse und seines Lieblingsmodells, ist ein Hinweis auf sein Vorbild Rembrandt. Durch die biblische Anspielung werden auf diesem Selbstporträt schon die Grenzen zwischen den Gattungen verwischt. Corinth entlehnt seine klassischen Motive der griechischen Mythologie, dem Christentum und der Literatur. Dieses Genre spielt in seiner Malerei eine wichtige Rolle. „Heimkehrende Bacchanten“ (1898) veranschaulicht, wie sehr den nackten Körpern seiner Figuren, die sich durch oftmals übertriebene Gesten und Grimassen auszeichnen, die für biblische oder mythologische Figuren charakteristische Anmut fehlt. Mit diesem Bild setzt sich Corinth als Maler der Sinnesfreuden durch, seine Kunst verfolgt keinerlei moralisierende Absicht.

Corinth gilt auf Grund seiner provokatorischen und unkonventionellen Behandlung des Themas als subversiver Maler. Auf „Salo-me II“, für das Corinth das Thema der Verführung mit dem Tod verbindet, sind die Modelle identifizierbar. Das Bild ist kein Auszug aus der Geschichte sondern eine Parodie des Lebens. Dieses Werk ist das erste einer Phase, in der er sich zum „Maler des Fleisches“ entwickelt. Corinth betrachtet übrigens die Aktmalerei als das „Latein der Malerei“. Nach 1904 widmet er sich verstärkt dieser Gattung und verzichtet bei seinen Figuren allmählich auf jegliche mythologische oder religiöse Anspielung. Manche Gemälde schildern spontane Beobachtungen aus dem alltäglichen Leben. Auf Grund seines Interesses für die Darstellung von Körper, Blut und Fleisch kann Corinth Themen behandeln, die andere Maler meiden. So interessiert er sich in Anlehnung an sein Vorbild Rembrandt auch für Schlachthausszenen.

Wenige Monate nach seinem Schlaganfall (im Dezember 1911), der ihn sehr geschwächt hat, stellt sich der Maler als „Geblendeter Samson“ dar, ein Gemälde, das biblisch und autobiografisch inspiriert ist. Seine Christusdarstellungen erreichen mit Ecce homo (1925) ihren Höhepunkt.

Seine Spätwerke zeichnen sich besonders durch ihre Pinselführung aus. Der heftige Pinselstrich, der zu seinem Stilelement wird, steht dem Expressionismus nahe. Das Motiv dient oftmals als Vorwand für eine Malerei, die schon ihre Eigenständigkeit erlangt hat.  Die Stilentwicklung von Corinths Kunst verläuft nicht chronologisch. Die späten Landschaftsbilder, insbesondere die Ansichten des Walchensees, zeugen von Corinths Liebe für die Natur und von seinem Überdruß gegenüber der Stadt. Die Gemäldeserie, zu der ihn die bayerische Landschaft in den Jahren 1918 bis 1925 inspirierte, besticht durch die Eigenständigkeit der Farbe. Gegen Ende seines Lebens widmet er sich verstärkt der Malerei von Landschaften und Stilleben. Seine Motive entwickeln sich in diesem Kontext. Viele der ein wenig morbid wirkenden Bilder zeichnen sich durch verschwommene, ineinander übergehende Farben, sich auflösende Formen und eine schnelle Pinselführung aus. Er ordnet die genaue Wiedergabe des Motivs seiner ausdrucksstarken Malerei unter.

Sein letztes Selbstporträt von 1925 ist ein Brustbild vor einem Spiegel, der sein verzerrtes, vom Alter gezeichnetes Profil widerspiegelt. Ganz gleich ob er sich während einer Tätigkeit oder verzweifelt darstellt, Corinth gibt sich in seinen Selbstporträts preis und entwickelt seine Malerei weiter. Seine Gattin Charlotte formulierte es folgendermaßen: „Alle seine Seelenzustände, alle seelischen Echos und seine Einstellung sich selbst gegenüber entfalten sich vor unseren Augen.“

Die Ausstellung umfaßt auch eine umfangreiche grafische Sammlung. Abgesehen von der vorbereitenden Skizze, die dazu dient, die Haltung der Figur und die Komposition des Gemäldes zu studieren, sind die meisten Zeichnungen und Aquarelle eigenständige Werke. Die Buchillustrationen tragen zur Verbreitung seiner Kunst bei.

Anselm Kiefer hat der Aufforderung des Musée d’Orsay Folge geleistet und ein Werk als Hommage für Corinth geschaffen. Kiefer wurde 1945 in Donaueschingen geboren und gehört zu den bedeutendsten Künstlern der Gegenwart. Das Triptychon „Für Lovis Corinth. Selbstporträt mit Skelett“ (2007), das er für die Ausstellung kreiert hat, macht den Einfluß des Künstlers auf die Gegenwartskunst deutlich.    pm

Das Musée d’Orsay, Rue de Lille 62, ist täglich von 9.30 Uhr bis 18 Uhr, donnerstags bis 21.45 Uhr geöffnet, Eintritt 8  Euro / 5,50 Euro, bis 22. Juni. Anschließend ist die Ausstellung im Museum für bildende Künste Leipzig (11. Juli bis 19. Oktober) und Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg (9. November bis 15. Februar 2009) zu sehen.

Foto: Lovis Corinth: Walchensee, Landschaft mit Kuh (Öl, 1921; im Besitz der Staatlichen Museen Kassel)


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