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19.04.08 / Warten auf den rechten Augenblick / Das Forum für Nachlässe von Künstlerinnen und Künstlern e. V. zeigt Fotografien von Ingeborg Sello

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 16-08 vom 19. April 2008

Warten auf den rechten Augenblick
Das Forum für Nachlässe von Künstlerinnen und Künstlern e. V. zeigt Fotografien von Ingeborg Sello

Oft genug stehen Erben künstlerischer Nachlässe nicht nur vor einer Fülle von Kunstwerken, sondern auch vor einem ausgemachten Problem: Wohin mit den sperrigen Bildern, den gewichtigen Skulpturen, wohin gar mit dem schriftlichen Nachlaß und anderen Archivalien? Verkaufen? Kommt nicht in Frage. Museen oder Galerien sind entweder nicht interessiert oder stellen die Werke in ihr Depot, sprich in den Keller, wo sie vor sich hinmodern. Bald ist die Zeit über sie hinweggegangen, dabei hat die kunstinteressierte Öffentlichkeit ein Recht, auch etwas über weniger bekannte Künstlerinnen und Künstler und ihr Werk zu erfahren.

Das dachten sich auch Hamburger Wissenschaftler, Museumsleute, Nachlaßerben und Sammler. Sie gründeten 2003 den gemeinnützigen Verein „Forum für Nachlässe von Künstlerinnen und Künstlern e. V.“ und schufen so eine bundesweit einmalige Institution, die bereits viel Interesse erfuhr.

Die Kunstwissenschaftlerin Gora Jain vom Vorstand des Forums hob in einem Gespräch mit der Preußischen Allgemeinen Zeitung die dringende Notwendigkeit hervor, sich um die Nachlässe dieser Art zu kümmern. Zur Zeit betreue der Verein zunächst einmal nur Künstler, die einen Bezug zu Hamburg haben, darunter den Nachlaß des Malers und einstigen Berliner Akademiepräsidenten Friedrich Ahlers-Hestermann (1883–1973) und den der Fotografin Ingeborg Sello (1916–1982). Neben der Aufarbeitung stehen auch regelmäßige Ausstellungen auf dem Programm des Forums. So werden jetzt Fotografien von Ingeborg Sello gezeigt. Sohn Thomas berichtet in einem Faltblatt des Forums über die Arbeit seiner Mutter:

„Seit Gründung der ,Galerie der Jugend‘ im Dezember 1945 war Ingeborg Sello zu Besuch in zahlreichen Künstlerateliers. Anfangs ging es um die Entdeckung von Talenten für die eigene Galerie, wo es neben den als ,entartet‘ verfemten Expressionisten (Carl Hofer, Erich Heckel, Otto Mueller und anderen) die Künstler der ebenfalls zuvor ausgegrenzten Hamburgischen Sezession und die jungen Absolventen der Landeskunstschule zu sehen gab.

Als die Galerie durch den wirtschaftlichen Druck der Währungsreform 1950 schließen mußte, rückte die inzwischen zur Meisterfotografin Geprüfte mit Gehilfin und schwerer Fototasche (Rolleiflex, Linhof, ab 1955 Hasselblad, Stativen und Lampen) bei den Künstlern an, um das Bildmaterial für Reportagen und Kataloge zu liefern. An der Seite von Gottfried Sello entstanden zahlreiche Berichte über das aktuelle Kunstgeschehen und seine Protagonisten in Hamburg und auch in den Pariser Museen und Galerien, auf der documenta in Kassel oder der Biennale in Venedig.

Doch am intensivsten war der Blick der Fotografin, wenn sie die Künstlerinnen und Künstler bei der Arbeit traf und über den sichtbaren Arbeitsprozeß und die umgebenden Werke eine spontane Beziehung entstand.

Nicht zuletzt die täglichen Arbeitsstunden im eigenen Atelier mit alten und neuen optischen Geräten, Schneidetisch, Pinseln und Rasierklingen zum Retuschieren und der geheimnisvollen Dunkelkammer ließen die Ateliers der Maler, Bildhauer und Grafiker im Auge der Fotografin zu beredten Orten der Geborgenheit werden. Und es galt, durch den Blick in dies ganz persönliche Reich, den Künstler und sein Werk besser zu verstehen.

,Sie wollte niemand mit der Wahrheit des eigenen Bildes erschrecken, sie erlegte mit ihrer Kamera keine Beute und lieferte niemand seiner Eitelkeit aus. Es hat den Anschein, als habe sie alles getan, daß die Porträtierten mit sich selbst im Reinen waren, unverkrampft, gelassen, dabei selbstbewußt. Im Zweifel gehörte ihnen immer ihre Sympathie.‘ So beschreibt Manfred Sack die Regie, nach der die Fotos entstanden.  Und Fritz Kempe formuliert: ,Sie entreißt ihren Objekten die Wahrheit über sich.‘ Das gilt für die bildenden Künstler, umgeben von Pinseln, Farben, Skizzen, fertigen und unvollendeten Leinwänden, Gipsmodellen und Skulpturen genau wie für die Schauspieler, wenn sie hinter den Kulissen vor dem Spiegel sitzen, im Dialog mit ihrer fast vollendeten Gesichtsmaske.

Daß es in solchen intimen Situationen nie zu voyeuristischen Peinlichkeiten kam, kennzeichnet den Stil der Fotografin: ,Man muß dem Objekt unbefangen und ohne bestimmte Vorstellungen gegenübertreten und auf den rechten Augenblick warten, in dem der Ausdruck des Menschen ganz spontan und dabei doch charakteristisch ist. Wenn sich trotzdem so etwas wie ein eigener Stil herausbildet, so ist das wie mit der eigenen Handschrift, um die man sich auch nicht bemüht‘, sagte Ingeborg Sello 1955.

Der Nachlaß von Ingeborg Sello umfaßt Tausende von originalen Abzügen vom Ende der 40er Jahre bis zum Jahre 1982, Kunstreproduktionen, Theater- und Opernfotografien auf der Bühne und hinter den Kulissen, Porträts von Prominenten der Kultur, Reportagen über den Alltag, Berufe, Mode, insbesondere der Nachkriegszeit, Reisen. Vieles entstand im Auftrag von Zeitungen, anderes zum Vergnügen und künstlerischen Experiment. Dabei wurden fast alle Bilder eigenhändig in der Dunkelkammer entwickelt: von der Wahl des Bildausschnitts (vom quadratischen Format der 6 x 6-Filme zum Rechteck des Papierformats), der Veränderung von Kontrasten durch die Gradation der Papiere und Nachbelichtung und gelegentliche Retuschen.

Häufig gingen die Formate weit über die für Reproduktionszwecke notwendigen hinaus. 18 x 24 Zentimeter war Standard. Aber viele Bilder wurden aus Freude am Bild oder in Hinblick auf eine Ausstellung auf oft noch größere Formate gebracht. Darüber hinaus gibt es rund 25000 Negative, in der Regel sorgfältig inventarisiert und beschriftet, ein Schatz, der darauf wartet, vom Forum für Künstlernachlässe gehoben zu werden.“                           hst

Die Ausstellung mit Fotografien von Ingeborg Sello ist im Künstlerhaus Sootbörn, Sootbörn 22, 22453 Hamburg, donnerstags und freitags von 16 bis 19 Uhr, am Wochenende 12 bis 17 Uhr sowie nach Vereinbarung (Telefon 040 / 52 20 18 80) geöffnet, Eintritt frei, bis 27. April.

Foto: Atelierbesuch: Ingeborg Sello fotografierte den Bildhauer Gustav Seitz.


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