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19.04.08 / »Hattest du mich lieb?« / Fragen eines Heimkindes

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 16-08 vom 19. April 2008

»Hattest du mich lieb?«
Fragen eines Heimkindes

Hanne Wickop hatte eine schwere Kindheit, aber statt Straftäterin, wie man es Kindern, die keine Liebe erfuhren, nachsagt, wurde sie Künstlerin. In 45 kurzen Briefen an ihren Vater, den sie erst als Erwachsene richtig kennengelernt hat, richtet sie zahlreiche Fragen an ihn. Den nur wenige Zeilen umfassenden Briefen folgen verschiedene Erinnerungen an ihre Kindheit. Auch wenn die Autorin ihren Vater nie direkt anklagt, die den Briefen folgenden Erinnerungen haben diesen Effekt. Wieso hat er, der Vater, seine eigene Tochter nicht vor den verschiedenen Heimen gerettet und sie zu sich genommen, sie zusammen mit ihrem jüngeren Halbbruder aufgezogen? „Du wußtest, daß es mich gibt, Vater, Du wußtest auch, daß ich in einem Heim lebte. Aber warum hast Du mich nie besucht, zu keinem Geburtstag ein Geschenk geschickt und mir nicht geschrieben oder was man sonst für eine Tochter tut, die zwar nicht bei einem lebt, die man aber doch lieb hat? Hattest Du mich lieb?“

Da ihre Mutter zwar sehr schön, vom Verhalten und Charakter jedoch derartig auffällig war, daß die Nationalsozialisten entschieden, sie zu sterilisieren, ist auch die Tochter auf ewig gebrandmarkt. Nur kurzfristig ist Hanne in der Obhut ihrer Mutter, schnell wird sie ins Kinderheim gebracht und dort nur sporadisch von ihrer Mutter besucht. Der Vater, der schon lange von der mit wechselnden Partnern zusammenlebenden Mutter getrennt ist, läßt sich die ersten Jahre gar nicht blicken. Und nicht nur ihre Eltern lassen das Mädchen im Stich: „Warum hat mir eigentlich nie eines der Geschwister meiner Mutter geschrieben oder mich im Heim besucht?“ Einmal jedoch schick-ten die Zwillingsschwestern ihrer Mutter ein Paket mit einer Puppe, auf der ausdrücklich der Name „Hanne“ stand. „Aber dann bekam meine Cousine die Puppe – ich bräuchte keine, da es im Heim welche gäbe …“ Einmal kommt das Mädchen zu Pflegeeltern, doch der Sohn der Familie schiebt alle Schuld an seinen Lausbubenstreichen auf das Heimkind, so daß dieses als schwererziehbar wieder im Heim landet. Inzwischen Bettnässer, wird sie regelmäßig für ihr Tun bestraft, was dazu führt, daß sie allein aus Angst, ins Bett zu machen, ins Bett macht.

„Als Kind habe ich Dich sehr vermißt, Vater, Dich herbeigesehnt, auf Post oder Besuch gehofft. Ich war immer nur eine von vielen, die mit der Nummer 25. Dieses Gefühl, unter vielen Menschen einsam zu sein, ist mir geblieben, es macht mich noch immer befangen und verwirrt mich.“

Hanne Wickops Kindheitserinnerungen erschüttern und geben zugleich Einblicke in den Kinderheimalltag der 50er Jahre. Daß die Autorin als Erwachsene später selbst Kinder aus Heimen adoptiert beziehungsweise auch zur Pflege bei sich aufgenommen hat, zeigt, daß sie es geschafft hat, sich über ihre lieblose Kindheit zu erheben und obwohl so lange selbst keine Liebe empfangen, in der Lage war, Liebe zu geben.          Bel

Hanne Wickop: „Lieber Vater – Erinnerungen eines Heimkindes“. A1 Verlag, München 2007, geb., 168 Seiten, 17,80 Euro


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